Bernhard Pulver: «Den Backlash halte ich für ein grosses Problem»
Der Grüne tritt für den Kanton Bern bei den Ständeratswahlen an
Bernhard Pulver will für den Kanton Bern in den Ständerat. Bei einer Wahl wäre der Grüne der einzig offen schwule Politiker in der kleinen Kammer.
Interview: Daniel Frey
Bernhard Pulver politisiert seit 40 Jahren: Er war erster Generalsekretär der Grünen Schweiz, war Stadtrat, Grossrat und Regierungsrat. Und er trat bei allen Wahlen offen schwul an. Er engagierte sich auch politisch für queere Anliegen. So engagierte er sich als Mitglied der Politischen Kommission von Pink Cross stark für das Partnerschaftsgesetz und reichte bereits 2002 im Grossen Rat des Kantons Bern eine Parlamentarische Initiative für ein Partnerschaftsgesetz ein. Und er ist seit rund 30 Jahren Mitglied von HAB Queer Bern. Nun tritt Bernhard Pulver am 22. Oktober für die Ständeratswahlen an. Ein Interview von Daniel Frey, Aktivist bei HAB Queer Bern.
Bernhard, bei der Bern Pride bist du zusammen mit 10’000 Menschen marschiert und hast anschliessend auf dem Bundesplatz mitgefeiert. Was hat sich in den letzten 40 Jahren in deinen Augen wesentlich verändert? Es ist unglaublich, wie viel sich in diesen 40 Jahren verändert hat. In den 80er-Jahren gab es beispielsweise noch kaum offen queere Politiker*innen, und von der Ehe für alle wagten wir nicht einmal zu träumen – zuerst mussten wir den Boden ebnen für ein Partnerschaftsgesetz. Dieses wurde nach einem langen Kampf 2007 endlich Realität – und 2022 von der «Ehe für alle» abgelöst. Diese Zeit beweist für mich: Gemeinsamer Einsatz lohnt sich – man kann die Gesellschaft verändern und etwas erreichen. Aber noch heute gibt es wichtige Themen, für die es sich zu kämpfen lohnt.
Selbst in der Schwulen- und Lesbenbewegung war in den 80er- und 90er-Jahren die Forderung nach der Öffnung der Ehe noch umstritten.
Als Regierungsrat warst du Erziehungsdirektor im Kanton Bern – und offenbar war dein Schwulsein in dieser Zeit nie ein Problem … In der Tat hatte ich nie ein Problem. Ein paar anonyme oder nicht anonyme Briefe, ja. Insgesamt zeigte sich für mich aber, dass der Weg des klaren Coming-out der richtige war. Es war gegen aussen immer alles klar und ich hatte nie Stress mit dem Thema. Ich kann das allen nur empfehlen. Aber klar: Bei den Grünen war Schwul- oder Lesbischsein schon in den 80er-Jahren null Problem. In anderen Parteien war das noch anders oder ist es heute noch.
Du hast dich sehr stark für das Partnerschaftsgesetz eingesetzt – ein Kompromiss auf dem Weg zur Öffnung der Zivilehe. Dabei wollten wir nie Sonderrechte – sondern einfach nur die Gleichstellung. War es richtig, dass wir diesen Kompromiss eingegangen sind? Es ist nicht anders gegangen. Die Öffnung der Ehe war in der Schweiz damals noch nicht mehrheitsfähig, und es wäre falsch gewesen, zuzuwarten. Die Probleme gleichgeschlechtlicher Paare etwa beim Erbrecht oder beim Aufenthaltsrecht waren wirklich gross. Zum Glück haben wir diesen Zwischenschritt erreicht. Und: Selbst in der Schwulen- und Lesbenbewegung war in den 80er- und 90er-Jahren die Forderung nach der Öffnung der Ehe noch umstritten. Das glaubt man heute fast nicht mehr. Umso mehr: Wir haben soooo viel erreicht! Unglaublich.
Aktivist*innen haben immer vor einem Backlash gewarnt. In meinen Augen ist dieser in der Zwischenzeit auch in der Schweiz angekommen. Spürst du diesen Gegenwind auch? Ja, ich halte das für ein grosses Problem. Die Gesellschaft ist offen und tolerant geworden, aber die rückwärtsgewandten Kreise geben sich noch nicht geschlagen. Die SVP hetzt gegen Gender- und Trans-Veranstaltungen, so dass diese sogar Polizeischutz brauchen oder abgesagt werden. Das ist besorgniserregend. Wir müssen wachsam und vor allem aktiv bleiben: Menschenrechte und gesellschaftliche Verbesserungen sind nie ein für alle Male gesichert. Denken wir daran, wie liberal die Szene in Deutschland in den 1920er-Jahren war und was nachher folgte!
Du bist im Wahlkampfmodus und kandidierst für die Grünen für einen Sitz im Ständerat, und LGBTIQ-Themen werden einer von fünf Schwerpunkten sein. Was für queere Themen sind dir da vor allem wichtig? Erstens ist eine klare Präsenz von queeren Politiker*innen im Parlament nötig, um die erwähnten Bedrohungen abzuwenden und für junge LGBTIQ-Menschen als Vorbilder hinzustehen. Dann gibt es eine Reihe von Themen, wo wir weiter gehen müssen: Antidiskriminierung, Hate Crimes, Verbot von «Konversionstherapien», Unterstützung von LGBTIQ-Organisationen, das dritte Geschlecht, Verbot von Zwangsoperationen bei intergeschlechtlichen Kindern – es bleibt wirklich noch einiges zu tun. Ich freue mich, dass auch nach dem Inkrafttreten der «Ehe für alle» so eine breite Bewegung existiert – wie die Pride es gezeigt hat. Es braucht uns alle, und zwar auch politisch aktiv!
Dieses Interview erschien erstmals auf bern.lgbt. Mehr: Schweizer Dragqueens fordern: Wählt queerfreundlich!
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