Barbies vs. Business
Ist Einkaufen nach Geschlecht noch zeitgemäss?
Über Kinderkleidung in Pink und Blau, den Reiz von Flohmärkten und den Druck, zu shoppen: Einblicke in die Gedanken eines Konsumentenvertreters.
Der moderne Mensch kauft fast täglich ein. Wie häufig aber denken wir über unsere Shopping-Gewohnheiten nach? Beim Besorgen von Lebensmitteln zum Beispiel verhalten wir uns oft wie Gnus auf der Flucht vor hungrigen Hyänen: Gehetzt galoppieren wir kurz vor Ladenschluss durch die Supermarktkorridore und füllen unsere Körbe mit der Geschwindigkeit japanischer Hochleistungsroboter. Und wie sieht es bei den Klamotten aus? Sobald wir den kürzlich erstandenen Pullover nicht mehr prickelnd finden, besorgen wir uns eben einen neuen, bevor wir das neuste Smartphone abholen und uns dann – bewaffnet mit einer «Caramel-Latte» im «To-go»-Becher – im Multiplex-Kino den neusten Bond-Streifen in 3D reinziehen und dabei mit Schleichwerbung von Omega und Land Rover eingedeckt werden. Der österreichische Autor Markus Prem beschreibt unser Konsumverhalten folgendermassen: «Lemminge. Kaufen, kaufen, kaufen, kaufen. Tote Materie.»
Konsum: Ein Thema, das bewegt Natürlich, diese Beschreibungen sind überspitzt. Schliesslich scheint sich der Trend dahingehend zu entwickeln, dass immer bewusster konsumiert wird. So greifen die Leute etwa vermehrt zu Bioprodukten. Das Magazin Der Spiegel widmete der Thematik eine ganze Ausgabe und beschäftigte sich darin mit den «neuen gesellschaftlichen Tendenzen», wonach immer mehr Menschen «einfacher leben und mit weniger Besitz auskommen» wollen. Wörter wie Konsumwahn, Überschuldung und Nachhaltigkeit sind aus dem Alltagsdiskurs nicht mehr wegzudenken, und regelmässig werden Rufe laut, die eine Rückbesinnung auf materielle Bescheidenheit fordern – nicht zuletzt im Hinblick auf die Ressourcen der Natur und den voranschreitenden Klimawandel.
Trotz diesen Entwicklungen: In unseren Gefilden wird nach wie vor viel eingekauft und verbraucht. Und nach wie vor geschieht dies immer wieder, ohne dass wir unser Konsumverhalten gross hinterfragen.
Mit geschärftem Blick durch die Einkaufsläden Einer, der unser Konsumverhalten von Berufes wegen hinterfragt hat, ist Michel Rudin. Bis vergangenen Sommer arbeitete der 30-Jährige als Geschäftsführer des Konsumentenforums kf. In dieser Funktion vertrat er drei Jahre lang die Interessen der Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten. Er nahm die Mannschaft mit auf einen Ladenrundgang durch die Berner Innenstadt. Dabei zeigte er auf, was ihn beim Shoppen beschäftigt, was ihm auffällt und durch den Kopf geht. Er sprach über Prinzessinnen und Cowboys, den Wert von Secondhand und die Wichtigkeit, den Selbstwert nicht über ein Label-Logo zu definieren.
«Süsse» Mädchen, «starke» Jungs Den ersten Halt macht Michel Rudin in der Kinderklamottenabteilung eines Kaufhauses. «Hier geht es mir darum, den zunehmenden Trend zurück zur klaren Geschlechtertrennung aufzuzeigen», erklärt er. Und tatsächlich – wer bewusst darauf achtet, stellt zwischen der Mädchen- und der Knabenmode frappante Unterschiede fest. In den Regalen der Mädchen funkelt und glitzert es. Pink, Rosa und Weiss, soweit das Auge reicht. Alles ist verziert, mit Blümchen, Punkten, Rüschen und Schleifen. Herzen, Schmetterlinge und Sterne prangen auf Pullovern, Ponys und Einhörner tänzeln über T-Shirts.
Wörter und Schriftzüge auf Englisch zieren die Kleidungsstücke, «Girl», «Kiss Me» oder «Love To Be Cute» (ich liebe es, süss zu sein). Ganz anders präsentiert sich die Knabenmode. Die Farben sind neutraler, gedeckter. Die Sujets auf den Oberteilen – Traktoren, Feuerwehrautos oder Surfbretter – stehen für Action. Ein bisschen Radau darf sein und gehört nun mal zu Jungs, das sagt der Satz «Let’s Make Some Noise».
Reflexion seitens der Eltern notwendig Dasselbe Bild bei den Spielsachen: Star-Wars- und Actionfiguren, Werkzeug-Spielkästen und Autos sollen Knabenaugen zum Strahlen bringen, Pferde, Barbies und Puppen die Mädchen zum Spielen animieren. «Die Botschaft, die hier vermittelt wird, ist klar», sagt Michel Rudin. Mädchen hätten zuckersüss und prinzessinnenhaft zu sein, bei den Knaben hingegen gehe es um die Vermittlung von Kraft, Stärke und Sport. «Das ist Barbie versus Business, und zwar von ganz klein auf.»
Ein Mädchen sollte nicht a priori zur Prinzessin erzogen werden.»
Es sei heikel, wenn derart früh eine solche Rollenzuteilung vorgenommen werde, findet Rudin. Er hat den Eindruck, die letzten Generationen hätten ihre Kinder genderneutraler erzogen, nun sei eine Gegenentwicklung feststellbar. «Eltern müssen sich dieser Stereotype bewusst werden und sie reflektieren», findet Rudin. «Ein Mädchen sollte nicht a priori zur Prinzessin, ein Junge nicht von Beginn weg zum Cowboy erzogen werden.»
«Verwirrung» beim Einkaufen!? Dieser Ansicht ist offenbar auch das US-amerikanische Spielzeug-Unternehmen «Toys’R’Us». Es brach eine Lanze für die Abschaffung der rigiden Gendereinteilung und richtete seine Verkaufsläden neu ein. Künftig werden die Artikel nur noch nach Spielzeugtyp, Marke oder Altersgruppe sortiert. Damit will der Spielwaren-Riese gegen die Stereotypisierung in der Branche vorgehen. Eine Schweizer Tageszeitung kommentierte diese Anpassung dahingehend, dass «Toys’R’Us» die «Geschlechter abgeschafft» habe, was den Spielzeugkauf schwieriger mache. «Vielbeschäftigte» Paten könnten das Präsent nun nicht mehr «je nach Geschlecht der Patenkinder» suchen. Vielleicht wird Geschenkeshopping künftig tatsächlich mehr Zeit beanspruchen, weil man sich ernsthafte Gedanken zum Charakter, den Interessen und den Vorlieben des Kindes machen muss und die Wahl des Geschenks nicht mehr zur Hauptsache vom biologischen Geschlecht abhängig gemacht werden kann. Dies ist ein Preis, den zu bezahlen wir alle gerne bereit sein sollten.
Vermehrt nachhaltig Den nächsten Stopp legt Michel Rudin bei der Berner Filiale von «Fizzen» ein. Dieses Label bietet nebst neuen Teilen auch Vintage-Klamotten sowie sogenannte «reworked and upcycled clothing» an – Kleidungsstücke also, die aus «alten Lederjacken, Mänteln, Röcken und anderen Vintage-Kleidern zu neuen Artikeln umgearbeitet werden», schreibt Fizzen auf der eigenen Homepage.
Den Vorteil solcher Secondhand-Mode sieht Michel Rudin in der Nachhaltigkeit. Man könne sich schon fragen, warum man so viele Kleidungsstücke einfach wegwerfe, sagt er. «Wir geben unserer Garderobe auf deren Alter hin oft keinen Wert mehr». Bei Möbeln sehe das anders aus, Antiquitäten stünden oft hoch im Kurs – «warum gilt dies bei den Klamotten nicht auch»? Rudin sieht allerdings Fortschritte in dieser Hinsicht. «Auch grosse Modefirmen achten zunehmend auf Nachhaltigkeit.» Als Beispiel nennt er den schwedischen Textil-Giganten H&M. Dieser fordert seine Kunden seit einiger Zeit auf, «aussortierte Kleidung in eine der H&M-Filialen zu bringen», damit sie wieder verwendet oder verwertet werden könne.
Individuelle Note Darüber hinaus hätten ältere Kleidungsstücke auch etwas mit Individualität zu tun, findet der ehemalige Konsumentenschützer. Schlussendlich gehe es bei Klamotten darum, dass sie gut zu einem passten und bequem seien. «Da hat auch etwas Älteres Platz – gerade auch, weil es einen Look persönlicher machen kann.» Es gehe ihm nicht darum, dass nur noch Secondhand-Teile gekauft würden, stellt Rudin klar. «Auch ich kaufe natürlich neue Dinge». Der Reiz liege in der Kombination.
Vielseitiges Einkaufen An dieser Stelle weist er auch darauf hin, dass sich seiner Meinung nach das Shoppingverhalten der Leute verändert habe. Die Konsumenten seien unberechenbarer und mündiger geworden. «Manches wird im Ausland erstanden, anderes auf dem Flohmarkt, jenes bei der preiswerten Modekette und dieses auch in der teuren Boutique.» Eine Zeit lang habe man angenommen, die Leute kauften gemäss ihrem Kontostand fast ausschliesslich entweder teuer oder billig ein, sagt er.
Heute stelle man fest, dass die Kundschaft ihre Kaufentscheide vermehrt nach ihrem konkreten Bedürfnis fälle. Die Unterwäsche für Sport sei heute zum Beispiel oft eine andere als diejenige, die man vor dem Freund trage. «Dementsprechend kauft man an verschiedenen Orten ein und gibt unterschiedlich viel Geld dafür aus.»
Vorsicht vor Überstilisierung Schliesslich kommt Michel Rudin auch auf den Konsum bei Schwulen zu sprechen. «Ich stelle öfters fest, dass bei uns der Selbstwert einer Person über Shopping und Kleidung definiert wird.» In gewissen Schwulenkreisen sei es schon sehr wichtig, in welchen Restaurants und Clubs man verkehre, welche Klamotten man trage. «Das kann Druck erzeugen.» Sich pflegen, sich schön anziehen wollen, das sei an sich kein Problem, findet er. «Das ist auch Ausdruck von Lebensfreude.»
In gewissen Schwulenkreisen sei es schon sehr wichtig, in welchen Restaurants und Clubs man verkehre.
Heikel werde es aber dann, wenn beim Essen jedes Gramm abgewogen werde, damit die Skinny Jeans passt, und man Geld ausgebe, über das man gar nicht verfüge. «Es wichtig zu erkennen, dass es nicht nur den Prototyp des reichen schwulen Mannes gibt – und das ist auch in Ordnung so». Die Szene sei ein Querschnitt aller sozialen Schichten. Diesem Umstand solle man Rechnung tragen. «Leben und leben lassen, das ist die Devise», findet Rudin. «Da müssen wir uns selbst noch vermehrt an der Nase nehmen und einsehen, dass Kleidungsstücke nichts über den Wert einer Person aussagen.»
Schwule in der Werbung Im Zusammenhang mit den Themen «Schwulsein» und «Konsum» fällt auch immer wieder der Begriff des «Pinkwashing». Damit werden Marketingstrategien beschrieben, die Unternehmen als LGBT-freundlich erscheinen lassen. Beispiele hierfür gibt es unterdessen viele: Die Schweizer Versicherungsgesellschaft «Mobiliar» zum Beispiel bildete auf einem Werbeplakat ein schwules Paar ab, der schwedische Vodka-Hersteller «Absolut» produziert regenbogenfarbene Flaschen und unterstützt Gay-Events, und Burger King lancierte anlässlich der San Francisco Pride vor zwei Jahren den «Proud Whopper» – einen Burger in Regenbogenverpackung, deren Innenseite der Slogan «Innen sind wir alle gleich» zierte.
Wichtige Zielgruppe Was sagt der Experte zu dieser Werbestrategie? Zum einen sei sie absolut verständlich, sagt er, schliesslich bildeten Schwule mit einem Marktanteil von fünf bis zehn Prozent ein attraktives Kundensegment. «Zum anderen finde ich es schön, wenn man auf unsere Bedürfnisse eingeht und uns als Kundengruppe ernst und wahrnimmt.» Natürlich würden auch hier wieder diejenigen ausgegrenzt, die sich die beworbenen Güter nicht leisten können. «Das ist aber ein ganz allgemeines und kein schwulenspezifisches Problem», sagt Michel Rudin. «Da ist es wichtig, sich abzugrenzen und nicht unter Druck setzen zu lassen.»
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