Auf grosser Reise mit Lana Del Rey
Auch das neue Album «Did You Know ... » besticht durch Genre-Kreuzungen und Experimentierfreude
Zwischen Poesie, Melancholie und abgeklärtem Hip-Hop bewegt sich das neue Album von Lana Del Rey. Es vereint Altes mit Neuem – und das mit einem inhaltlich überraschenden Schwerpunkt.
Von Jonathan Penschek, dpa
Lana Del Rey hat mit dem nach Sehnsucht klingenden Melancholie-Pop den Sound der letzten Dekade geprägt. Ihren Durchbruch hatte sie 2012 mit dem Song «Video Games» und ihrem offiziellen Debütalbum «Born to Die».
Lana del Rey hat eine grosse queere Fangemeinde, was sie u.a. Songs wie «Summertime Sadness» verdankt (der Song ist ebenfalls auf «Born to Die» zu hören) und dem dazugehörigen Musikvideo. Lana Del Rey und die Schauspielerin Jaime King sind darin als lesbisches Paar auf einem Roadtrip zu sehen, der in einer Tragödie endet. (Vor zwei Jahren sang sie «Stille Nacht» für obdachlose junge Queers – MANNSCHAFT berichtete).
Auf ihrem neunten Studioalbum nun mit dem Titel «Did You Know That There’s a Tunnel Under Ocean Blvd» beweist die US-Musikerin ein weiteres Mal, dass sie viel mehr kann, als traurige Indie-Hymnen in die Welt hauchen.
In Deutschland und der Schweiz steht es schon in den Top 5 der Albumcharts, auch in den USA verkauft es sich sehr gut.
Musikalisch erinnert es an Del Reys ganz frühe Kompositionen, als sie 2008 noch unter dem Namen Lizzy Grant ihr erstes Album veröffentlichte. Auch 15 Jahre später finden sich Genre-Kreuzungen und die Experimentierfreude, die zur Handschrift der 37-Jährigen wurde. Kein Wunder also, dass sie das Album als eines ihrer persönlichsten bezeichnet. Nun gut, das behaupten viele Künstler zu ihrem aktuellen Werk, aber hier geht es tatsächlich weit zu ihren Wurzeln zurück. Und auch inhaltlich wird es überraschend persönlich und familiär.
Der Opener-Song «The Grants» startet mit sanften Gospelklängen und führt in das grosse Thema des Albums ein: ihre Familie. Sie besingt die Erinnerungen an ihre Nichte, ihre Grossmutter und ihren Onkel, die sie mit ins Grab nehmen wird. Aber auch mit ihrer eigenen Sterblichkeit setzt sie sich auf dem Album mehrfach auseinander. So singt Del Rey im Titelsong davon, dass sie nicht vergessen werden will, wie der einstige Fussgängertunnel unter dem Ocean Boulevard in Long Beach, Kalifornien. Der ist 1967 geschlossen worden, aber noch immer intakt.
«All die Mosaik-Decken sind noch perfekt erhalten, aber niemand kann mehr herein», erzählte Del Rey dem US-amerikanischen Magazin Interview im Vorfeld der Albumveröffentlichung. Für sie war die Idee eines wunderschönen Tunnels, in den niemand hinein kommt, die Inspiration für das Album.
Wird meine Familie bei mir sein, wenn ich sterbe?
In der Mitte des Albums finden sich Orchester- und Klavierballaden, die Del Rey als die persönlichsten Songs des Albums beschreibt. In «Kintsugi» verarbeitet sie zum Beispiel den Schmerz, den sie durch den Tod ihrer Verwandten fühlt. «Fingertips» wiederum erinnert an ihren Gedichtband («Violets Bent Backwards Over The Grass», 2020), weil sie auch in diesem Song ihre innersten Gefühle teilt. «Werde ich jemals Kinder haben?» und «Wird meine Familie bei mir sein, wenn ich sterbe?», fragt sich Del Rey in dem Song.
Ein wenig abschreckend wirkt zunächst die Länge des Albums, das sich mit über 77 Minuten in 16 Tracks jedoch zu einer wohlüberlegten Reise entpuppt. «A&W» markiert als vierter Titel den ersten Bruch der musikalischen Reise durch Del Reys Gedankenwelt. In dem Song zu sexueller Selbstbestimmung und ihrem medialen Image gibt es in der Mitte einen rapiden Wechsel von dunklem Gitarrenpop zu einem Trapbeat aus massiven, ja aggressiven Basstrommeln und einer verspielteren Seite mit rollenden Hi-Hat-Becken, die Del Rey bereits in früheren Produktionen – so zum Beispiel «Lust For Life» von 2017 – zeigte. An dieser Stelle wird auch das Album von einer sehnsüchtigen Traumreise zu einem manischen Fiebertraum.
Teils arrhythmische und dissonante Klavierkompositionen («Candy Necklaces») füllen das Album mit Spannung. Die beiden rund vier Minuten langen sogenannten Interludes, also Zwischenspiele, lassen mehr Fragen offen, als sie beantworten. In einem verfolgt der Zuhörer eine Predigt eines Pastors, im anderen ist der Oscar- und Grammy-Preisträger Komponist Jon Batiste («We Are») zu hören.
Für den einen oder anderen wirkt der Mittelteil der Platte womöglich etwas zäh und undurchdringlich. Wer dran bleibt, wird am Ende aber belohnt: «Taco Truck x VB» liefert eine überraschende Neuauflage ihres Songs «Venice Bitch» (2019), mit «Peppers» und «Let The Light In» liefert Del Rey gleich zwei sehr gelungene Features mit der offen bisexuellen Rapperin Tommy Genesis und Folk-Sänger Father John Misty.
Neben diesen Gästen finden sich auf dem Album auch altbekannte Wegbegleiter wie Jack Antonoff, der auch mit Taylor Swift arbeitet und schon frühere Alben produzierte («Norman Fucking Rockwell»,2019; «Chemtrails Over The Country Club», 2021). Auch Produzent Drew Erickson ist nach dem letzten Album «Blue Banisters» (2021) wieder dabei.
«Did You Know That There’s a Tunnel Under Ocean Blvd» ist kein Album, das sich unbeschwert nebenher anhören lässt. Wer zu einem Album von Lana Del Rey greift, erwartet das aber auch nicht unbedingt. Die Platte bietet viel mehr eine Tiefe, die sich nach dem ersten Hören nicht sofort erschließt und ergründet werden will. Es lohnt sich, die knapp 80-minütige Reise anzutreten.
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