Angeklagter wollte Schwule für «schwere Sünde» mit Tod bestrafen
Ein 21 Jahre alter Syrer muss sich seit Montag am Oberlandesgericht (OLG) Dresden für Mord, versuchten Mord und schwere Körperverletzung verantworten
Koran-Verse interpretierte der Täter als Handlungsanleitung: Der Prozess um die tödliche Messerattacke in Dresden offenbart die krude Gedankenwelt eines jungen Mannes, der aus religiösem Hass ein schwules Paar angriff und einen Mann tötete.
Er wollte als Anhänger des Islamischen Staates (IS) in Deutschland Ungläubige töten und dann ins Kalifat auswandern: Ein 21 Jahre alter Syrer muss sich seit Montag am Oberlandesgericht (OLG) Dresden für Mord, versuchten Mord und schwere Körperverletzung verantworten.
Seine Opfer waren zwei Männer aus Nordrhein-Westfalen. Ein 55-Jähriger aus Krefeld starb, sein 53-jähriger Partner aus Köln wurde lebensgefährlich verletzt. Der Angeklagte habe die Männer für ein homosexuelles Paar gehalten und sie für die aus seiner Sicht «schwere Sünde» mit dem Tode bestrafen wollen, sagte ein Vertreter der Bundesanwaltschaft zum Auftakt vor dem Staatsschutzsenat und schloss auch eine Sicherungsverwahrung nicht aus.
Der Angeklagte, der aus Aleppo stammt und in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs, kam 2015 als Flüchtling nach Deutschland. 2018 war er vom OLG Dresden 2018 wegen Werbung für das Terrornetzwerk Islamischer Staat (IS) zu einer Jugendstrafe verurteilt worden, die nach Angriffen auf Beamte im Gefängnis erhöht wurde. Ende September 2020 wurde er aus der Haft entlassen, am 4. Oktober griff er das schwule Paar an (MANNSCHAFT berichtete). Knapp drei Wochen später wurde der damals 20-Jährige gefasst.
Der geschäftsführende Vorstand der Magnus-Hirschfeld-Stiftung, Jörg Litwinschuh-Barthel, fordert verbindliche Standards für das Erfassen von Hasskriminalität gegen homosexuelle und trans Menschen. Das Nichtbenennen der tatsächlichen Hintergründe solcher Straftaten, wie es auch im Fall von Dresden immer wieder zu beobachten war (MANNSCHAFT berichtete), sei ein grosses Versäumnis der Behörden, sagte der Berliner Medienwissenschaftler im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Der Beschuldigte selbst will sich im Prozess nicht zu dem Verbrechen äussern und sich «schweigend verteidigen», wie es sein Anwalt ausdrückte. Sein Mandant lehne das Gericht als «irdisches Gericht ab, das nicht zu bewerten hat, was er aus göttlicher Sicht getan hat». Dennoch wurden schon zu Beginn zahlreiche Details der Tat und ihrer Umstände bekannt. Dem forensischen Psychiater Norbert Leygraf aus Münster gegenüber zeigte sich der Angeklagte auskunftsbereit, als der in der Justizvollzugsanstalt Dresden mehrfach mit ihm sprach.
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Demnach trug er sich schon in der Haft mit dem Gedanken, seiner Meinung nach Ungläubige zu töten. Er bezog sich dabei auf Verse aus dem Koran, wonach man auf dem Wege Gottes jene bekämpfen solle, die einen selbst bekämpften. Am 4. Oktober 2020 betete der Syrer den Angaben zufolge erst in der Moschee. Dann hörte er sich eine Predigt und religiöse Lieder an, um sich zu rüsten. Am Abend fuhr er mit der Bahn in die Dresdner Innenstadt, mit zwei Messern bewaffnet und auf der Suche nach Opfern. Erst hatte er demnach ein Pärchen im Visier, später folgte er einen einzelnem Mann.
Homosexuelle darf man als Feinde Gottes bekämpfen und töten.
Die beiden Touristen wurden nach Darstellung der Bundesanwaltschaft als «Repräsentanten einer vom ihm als «ungläubig» abgelehnten freiheitlichen und offenen Gesellschaftsordnung» gesehen. Dem Gutachter hatte der Angeklagte gesagt, die beiden Männer hätten sich an den Händen gehalten. Homosexuelle dürfe man als Feinde Gottes bekämpfen und töten. Denn schliesslich habe Gott Frau und Mann geschaffen, um Kinder zu zeugen – so das Weltbild des Angeklagten.
Kurz vor dem Angriff sollen dem Mann nach eigenem Bekunden noch einmal Zweifel gekommen sein. Doch durch einen Schwur gegenüber Gott habe er sich verpflichtet gefühlt, die Tat auszuführen. Er attackierte die Männer von hinten, stach beiden in den unteren Rücken und flüchtete, als sie am Boden liegend um Hilfe riefen. Er versteckte sich in einem Haus und kehrte erst am Morgen in seine Unterkunft zurück.
Ein Streifenpolizist berichtete sichtlich bewegt vom Anblick am Tatort: zwei schwerverletzte Männer und eine grosse Blutlache. Der Ältere hatte keine Chance, er verblutete aufgrund innerer Verletzungen, sagte eine Rechtsmedizinerin. In seinem Körper steckte noch die 20 Zentimeter lange Klinge eines Messers. Der 53-Jährige habe knapp überlebt, der Stich wurde von der Lendenwirbelsäule gestoppt und reichte nicht bis in die Bauchhöhle, berichtete ein Kollege. Er sprach von «massiver Wucht» der Stiche.
Nach den Worten von Leygraf hatte sich der Beschuldigte im Gespräch nachdenklich und auf eine «irritierende Weise selbstkritisch» zu der Tat geäussert. Denn er machte sich Vorwürfe, nicht stark genug gewesen zu sein. Er habe zwar zugestochen, aber «nicht mit dem Herzen» gehandelt. Auch dass eines der beiden Messer abbrach, wertete als Beleg für mangelnde Stärke. Gegenüber dem Gutachter bedauerte er, dass er zu schwach war, seinen Plan vollständig auszuführen und den «Märtyrertod» zu sterben. Er habe auch die Frage bejaht, ob er eine solche Tat wieder tun würde. Einen Fehler sah er lediglich darin, sich vorher nicht mit Vertretern des Kalifats verständigt und dem IS einen Treueschwur geleistet zu haben.
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Verteidiger Peter Hollstein gab in einer Verhandlungspause zu, dass der Beschuldigte mit den Äusserungen gegenüber dem Gutachter de facto ein Geständnis abgelegt habe. «Die Katze ist insofern aus dem Sack. Er hat die Tat eingeräumt. Es ist hier der richtige Täter vor Gericht.» Sein Mandant habe mit dem Gutachter auch über seine Motivlage gesprochen. Die von der Bundesanwaltschaft genannten Mordmerkmale seien erfüllt. Die andere Frage sei aber, ob Jugendstrafrecht und die Sicherungsverwahrung zur Anwendung kommen.
Laut Hollstein geht es beim Jugendstrafrecht darum, ob Reifedefizite bestehen. Sein Mandant sei damals nach Jugendstrafrecht verurteilt worden und habe drei Jahre in einer Jugendstrafanstalt abgesessen. Die Frage sei nun, wo eine «Nachreifung» erfolgt sein soll: «Was ist jetzt anders als vor der Inhaftierung?» Das Tat selbst sei allerdings nicht «jugendtypisch». Das sei allen bewusst. Das Gericht müsse jedoch die Frage der Reife klären. Die Frage der Reue stehe nicht im Raum. Der Syrer habe aus religiösen Motiven gehandelt und sei überzeugt, das Richtige getan zu haben.
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