«Queers, die ihre Freiheit verlieren, gehen uns immer etwas an»
Mit den neuen Machthabenden in Afghanistan drohen LGBTIQ drastische Strafen, die bis zur Todesstrafe reichen
Die Aussenminister der EU-Staaten haben sich auf fünf Bedingungen für eine beschränkte Zusammenarbeit mit den militant-islamistischen Taliban in Afghanistan verständigt. Die Taliban sollen eine Regierung unter Einbindung auch von anderen politischen Kräften im Land bilden und u.a. die Einhaltung von Menschenrechten gewähren. Was für LGBTIQ und Frauen getan werden muss, dazu unser Samstagskommentar*.
Es ist ja nicht das erste Mal, dass die Frauen in Afghanistan ihre Freiheit verlieren, denn es war unter dem letzten König des Landes in den 60er und 70er Jahren den Frauen schon erlaubt, ohne Schleier auf die Strasse zu gehen. Afghanistan gehörte damals zu den modernsten Ländern in der Region. Das kann man sich heute kaum noch vorstellen.
1973 wurde der damalige König gestürzt und das Land instabil. Die Sowjetunion griff 1979 das Land an, der Krieg wütete mehr als 10 Jahre. Und weil kalter Krieg zwischen dem Osten und dem Westen herrschte, bewaffneten die USA und europäische Staaten ausgerechnet die radikalreligiösen Taliban, um ihren Einfluss in der Region nicht zu verlieren. Der kalte Krieg hatte ein weiteres Schlachtfeld gefunden. Am Ende siegten 1996 die Taliban. Sie herrschten mit eiserner Faust nach den Gesetzen der Scharia. Für die Frauen und alle anderen, die von der Liberalisierung des Landes profitiert hatten, war das ein tiefes Trauma.
Die Herrschaft der Taliban fand nach dem Anschlag am 11. September 2001 ja ein jähes Ende, denn die USA marschierten mit ihren Verbündeten auf der Jagd nach den Attentätern in Afghanistan ein, ihre Allianzpartner folgten ihnen mit eigenen Kontingenten. Während der militärischen Anwesenheit wurden die Taliban zurückgedrängt. Mit Hilfe von anderen Organisationen öffneten sich Schulen wieder für Mädchen, Universitäten für Frauen. Journalistinnen konnten ihre Arbeit aufnehmen. Die afghanischen Frauen vernetzten sich, fanden zunehmend zu ihrer eigenen Sprache und Kultur zurück.
Mit dem hastigen Abzug der fremden Nationen und der Machtübernahme der Taliban droht jetzt die erneute Verbannung der Frauen und Mädchen aus der Öffentlichkeit, denn so verlangt es die Scharia, das religiöse Recht, das die Taliban wieder einsetzen wollen. Frauen werden rechtlos. Ihren Männern müssen sie “zur Verfügung stehen“ wann immer diese es möchten. Für gleichgeschlechtlich liebende und queere Personen wird der Alltag sogar lebensgefährlich.
Zwar waren Lesben, Schwule und queere Personen bisher auch eher stigmatisiert, viele Lesben und Schwule verheiratet. Ihre Homosexualität oder ihre queere Identität wurde eher geduldet als respektiert. Mit den neuen Machthabenden drohen ihnen drastische Strafen, die von Auspeitschen bis zur Todesstrafe reichen (MANNSCHAFT berichtete). Das sind Fakten. Keine Frage, was das Land Afghanistan in den letzten vierzig Jahren an Fremdbestimmung und Besatzung über sich ergehen lassen musste, ist unentschuldbar. Doch der Einfluss der besetzenden Armeen hat den Frauen und auch den queeren Personen im Land eine gewisse Sicherheit und Freiheit gegeben. Die Frauen haben diese Freiheit genutzt, ihr öffentliches Leben zu gestalten.
Es ist also durchaus kein Kulturimperialismus oder Islamophobie, sich für den Schutz von Frauenrechtlerinnen, Journalistinnen und queeren Personen einzusetzen. Freie Religionsausübung sollte für jeden freiheitsliebenden Menschen selbstverständlich sein – selbst wenn Lesben, Schwulen und anderen queeren Personen es angesichts radikalreligiöser Ablehnung manchmal schwerfällt. Wichtig dabei ist aber immer, genau diese Tendenzen in jeder Religion, ob Islam, Christentum, Judentum oder jeder anderen Religion, zu trennen: Zum einen Religion als ganz persönliche spirituelle Erfahrung, die Gläubige mit anderen Gläubigen teilen, ohne sie anderen aufzwingen zu wollen; zum anderen Religion, die zum Machtmissbrauch und zur Unterdrückung, Verfolgung und Vernichtung Andersgläubiger, Andersfühlender oder Frauen führt.
Es ist nicht wichtig, ob eine Person für sich allein die eigene Religion besonders intensiv leben will und sich beispielsweise als Frau verschleiert. Auch in unseren Breitengraden treten Männer und Frauen in religiöse Gemeinschaften ein oder konzentrieren sich intensiv auf ihren Glauben. Es kommt aber darauf an, ob eine Person sich auch dagegen entscheiden kann, ohne verfolgt, gedemütigt oder gar getötet zu werden. Lesben, Schwule, Queers und Frauen, die ihre Freiheit verlieren oder denen Haft und Todesstrafe drohen, gehen uns immer etwas an, denn wir würden in ihrer Situation auch auf Unterstützung hoffen. Deshalb sollten wir Petitionen unterschreiben, die ihre Freiheit fordern. Wir sollten Initiativen unterstützen, die ihnen die Flucht ermöglichen (MANNSCHAFT berichtete). Wir sollten ihnen ein Forum geben und uns für Homosexualität, feministischen Aktivismus und queere Identität als Asylgrund einsetzen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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