Arabische Länder verbieten «Little America»-Folge über queere Muslime
Eine Folge der neuen Serie wurde im Mittleren Osten und Russland verboten, weil es darin um einen schwulen Mann aus Syrien geht, der von seiner Familie verstossen wird und sein Glück in den USA findet
Wie können die Geschichten queerer Muslime erzählt werden, wenn sie mit Staatsgewalt unsichtbar gemacht werden? Die Frage stellt sich aktuell angesichts der Reaktionen von zehn arabischen Ländern (und Russland), die die Ausstrahlung einer Folge der Serie «Little America» verbieten, die seit Freitag bei AppleTV zu sehen ist. Die Episode «The Son» handelt von Rafiq, der Asyl in den USA beantragt, nachdem er von seiner eigenen Familie misshandelt und verstossen wurde.
Die Episode – die Teil von insgesamt acht Episoden-Dramen in «Little America» ist – beginnt in Syrien, wo Rafiq (gespielt von Haaz Sleiman) von seiner Familie umgeben ist und man die ganze Wärme eines arabischen Familienzusammenseins spüren kann. Essen steht auf dem Tisch und lädt zum gemeinsamen Mahl ein, Rafiqs Bruder verkündet unter allgemeinem Beifall seine Verlobung. Doch diese Familienwärme schlägt unmittelbar in Schmerz um, als Rafiqs Vater seinen Sohn erwischt, wie dieser einen Mann küsst.
Der Vater zieht seinem Sohn daraufhin die Haut vom Arm – und erklärt dies zu einem «Akt der Barmherzigkeit». Denn: Es seien nur einige wenige Sekunden des Schmerzes, meint der muslimische Mann, Rafiq solle sich vorstellen wie sich eine Ewigkeit solcher Schmerzen in der Hölle anfühlen würden!
Die Geschichte von Shadi Ismail Die Episode «The Son» basiert auf der wahren Geschichte von Shadi Ismail, einem schwulen Mann, der wegen seiner sexuellen Orientierung aus Syrien geflohen ist, erst nach Jordanien, bevor er schliesslich im US-Staat Idaho landete. Sein Weg wurde, genau wie die anderen «Little America»-Geschichten, veröffentlicht im Epic Magazine und für die 30-Minuten-Folge adaptiert von den Autoren Stephen Dunn und Amrou Al-Kadhi.
Angesichts des oft wiederholten Vorwurfs, dass nur «Betroffene» aus den Regionen selbst solche Geschichten erzählen «dürfen», um keine «Verfälschung» und unangebrachte «westliche» Vorstellungen von Gay Liberation hineinzubringen, sei darauf hingewiesen, dass Al-Kadhi selbst ein Mann ist, der sein Heimatland Irak verliess, um nach Grossbritannien zu flüchten, nachdem er seinerseits von seiner Familie verstossen worden war.
Er bezeichnet sich als non-binär und hat seine eigene Geschichte als Drag-Performer niedergeschrieben im jüngst veröffentlichten Buch «Unicorn: The Memoir of a Muslim Drag Queen». Ein Buch, von dem u. a. Serienmacher Russell T. Davies («Queer As Folk») geschwärmt hat. Man darf gespannt sein, ob und wann daraus eine Serie wird.
Gemeinsame Erfahrung Al-Kadhi weiss sehr genau wie es sich anfühlt «wegzurennen, auf der Suche nach einem Ort, wo man hingehört», wie er in einem Interview mit dem Magazin The Advocate sagte. «Stephen [Dunn] hatte auch eine schwere Zeit mit seiner Familie [in Kanada], ich mit meiner», sagt Al-Kadhi. Diese gemeinsame Erfahrung, als queere Teenager verstossen worden zu sein, habe sie dazu gebracht, sich mit Menschen zu umgeben, «die füreinander da sind, auch wenn sie nicht miteinander verwandt sind».
Deshalb haben die beiden Drehbuchautoren die Geschichte von Rafiq auch zu einer Kraft-der-Freundschaft-Story gemacht, statt sich auf die spätere Liebesgeschichte zu fokussieren, die Shadi Ismail ebenfalls erlebte.
«Ich wollte eine Geschichte aus dem Mittleren Osten erzählen, ohne das ewige westliche Narrativ vom Terrorismus. Der Mittlere Osten ist elektrisch aufgeladen, voller Familien, Rituale, Gemeinschaft und Freude. Das wollten wir zelebrieren, weil man es so selten auf Bildschirmen sieht. Dabei wollten wir aber auch die anderen Themen nicht vernachlässigen, sondern einflechten», so Al-Kadhi.
Koloniale Wahrnehmungsmuster Doch gerade um die Darstellung dieser «anderen Themen» ist schon vielfach heftiger Streit auch innerhalb der Queer Community entbrannt. Erinnert sei etwa an die Debatte rund ums Schwule Museum Berlin und Rassismusvorwürfe, weil dort auf einer Infowand auf die gesetzliche Strafverfolgung Homosexueller in muslimischen Ländern hingewiesen wurde (genauso wie auf die Verfolgung von LGBTIQ in anderen Ländern, inklusive im christlichen Abendland). (MANNSCHAFT berichtete.)
Der Vorwurf des in Berlin ansässigen Vereins GLADT (eine unabhängige Migrant_innen-Selbstorganisation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans, Inter und Queers) lautete Anfang 2019, mit der Infowand würden «koloniale Wahrnehmungsmuster» reproduziert und die Betroffenen in den jeweiligen Ländern nicht selbst zu Wort kommen. Rafia Shahnaz Harzer von GLADT kritisierte: «Im Iran beispielsweise gibt es grosse, aktive queere Communities. Nur zu sagen, dass Homosexualität im Iran illegal ist, greift daher viel zu kurz.»
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Das mag stimmen. Aber die weitergefasste Geschichte von «The Son» (ganz zu schweigen von Al-Kadhis «Unicorn»-Buch) findet auch kein Gehör und die «grossen, aktiven queeren Communities» im Mittleren Osten werden einfach mit dem Mantel des Schweigens zugedeckt, auch von Aktivistengruppen wie GLADT; zumindest kann es diesen Anschein haben. Und im Fall von «The Son» auch von den muslimischen Communities im Westen. Denn berichtet haben über den Zensur-Fall bei AppleTV bislang ausschliesslich westliche LGBTIQ-Medien.
Und das grosse Interview mit dem schwulen Hauptdarsteller Haaz Sleiman, der ursprünglich aus dem Libanon stammt, zu LGBTIQ-Themen und über das Verhältnis zu seiner eigenen muslimisch gesprägten Familie veröffentlichte die US-Zeitung Salon unter der Überschrift «Die Homoehe bedeutet Evolution».
Dreharbeiten in Kanada wegen Trumps Einreiseverbot Die Dreharbeiten zu «Little America» waren von Anfang an schwierig wegen des Einreiseverbots, das Präsident Trump für verschiedene arabische Länder verhängt hatte. Da diverse Schauspieler aus dem Mittleren Osten stammen, musste die Produktion nach Kanada verlegt werden, um überhaupt realisiert werden zu können. Und jetzt, wo sie endlich auf dem Markt ist, wird sie dort, wo es vermutlich am wichtigsten wäre, dass sie gezeigt wird, von der Staatsgewalt entfernt.
Am Montag läutete Al-Kadhi auf Twitter die Alarmglocken. «Es bricht mir das Herz, besonders weil es so schwierig war, diese Folge überhaupt zu drehen.»
«Ich kenne viele queere Araber und Muslime, die derzeit im Mittleren Osten leben und Angst haben, sich zu äussern. Sie hatten verzweifelt gehofft, dass diese Episode ein bisschen Trost spenden und vielleicht wie eine Art Heimat funktionieren könnte», so Al-Kadhi. «Es macht mich sehr traurig daran zu denken, dass diese Episode nun für sie nicht zugänglich sein wird.»
Laut Al-Kadhi würden nun alle Optionen geprüft, wie man sie dennoch «zu ihnen bekommen kann».
Rechter Nationalismus und Heilungsprozess Allerdings kam die Zensurmassnahme auch nicht als echte Überraschung. «Es ist die traurige Realität, wenn man versucht queere arabische Geschichten zu erzählen in einem globalen Klima von extrem rechtem Nationalismus. Dadurch wird die Sache nicht einfacher – weswegen es umso wichtiger ist zu kämpfen und die Geschichte dennoch zu erzählen», sagt Al-Kadhi.
«Allah liebt Vielfalt» – 1. Muslim Pride in London geplant
Im Interview mit The Advocate hatte Dunn betont, wie wichtig es sei mit Serien wie «Little America» nicht nur die Akzeptanz von Migranten zu fördern, sondern auch von LGBTIQ und anderen marginalisierten Gruppen.
«Unsere Gesellschaft ist zu sehr geteilt und hat Angst vorm jeweils anderen», so Dunn. «Ich weiss es ist nur eine TV-Serie. Aber ich glaube, dadurch, dass wir solche Narrative allgemein zugänglich machen, setzen wir vielleicht einen Heilungsprozess in Gang, der hilft, dass wir uns besser verstehen.»
Mit Blick auf die «The Son»-Episode meint Al-Kadhi: «Wir werden uns durchsetzen.»
Die wirklich interessante Frage wird letztlich sein, wie sehr sich der Konzern Apple einschalten und Druck ausüben wird, um die Zensur aufzuheben. Und welche Möglichkeiten der Tech-Gigant hat, um die Zensur in diesen zehn arabischen Ländern sowie Russland zu umgehen – wo er doch selbst an anderer Stelle (etwa im Apple-Store) radikale «Community Standards» forciert, auf die sich die betroffenen Ländern ihrerseits berufen können.
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