«In Österreich wurde nach der Nazi-Zeit vieles totgeschwiegen»

Yannick Shetty (NEOS) fordert eine Entschuldigung für die nach Paragraf 209 verurteilten Homosexuellen

Yannick Shetty (Foto: Facebook)
Yannick Shetty (Foto: Facebook)

Österreich muss endlich die zu Unrecht verurteilten Homosexuellen rehabilitieren, fordert Yannick Shetty (NEOS). Er ist mit 24 der jüngste Abgeordnete im Nationalrat und offen schwul.

Österreichs neue Regierung ist am Dienstag vereidigt worden. Von 17 Mitgliedern sind acht weiblich. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) regiert das erste Mal mit den Grünen. Doch in Sachen LGBTIQ-Rechte ist das Regierungsprogramm für viele NGOs enttäuschend – das merkte u. a. das Rechtskomitee Lambda an.

Obwohl zahlreiche offen schwule und lesbische Politiker*innen verhandelt haben, finden sich im 300 Seiten starken Regierungsprogramm kaum LGBTIQ-Anliegen (MANNSCHAFT berichtete). Darunter fehlt eine Entschuldigung für die zu Unrecht verurteilten Homosexuellen, wie Yannick Shetty (NEOS) sie fordert.

Was in Deutschland Paragraf 175 besorgte, erledigte in Österreich Paragraf 209. 2002 wurde er durch den Verfassungsgerichtshof aufgehoben – wie es in Österreich oft bei Rechten der Fall ist, die für die Community erkämpft wurden. «Das fand ich in Deutschland viel schöner, etwa wie die Ehe geöffnet wurde – nämlich durch einen Beschluss des Bundestags (MANNSCHAFT berichtete). Solche Entscheidungen sollten die politischen Entscheidungsträger treffen, nicht das höchste Gericht», so Shetty im Interview mit MANNSCHAFT.

In § 209 ging es um das unterschiedliche Schutzalter, für gleichgeschlechtliche Beziehungen unter Männern lag es bei 18, unter Frauen bei 14. «Worum es uns geht, ist: All jene, die hier zu Unrecht verurteilt wurden, sollten zumindest öffentlich rehabilitiert werden. Der Nationalrat soll sich entschuldigen.» Es brauche diese symbolische Geste – auch wenn oder gerade weil nicht mehr viele der Veurteilten am Leben sind, so Shetty.

Es wurden wohl um die 7000 Menschen nach Gesetzen verurteilt, die sich überwiegend gegen Homosexuelle richteten. Von den Überlebenden will leider niemand darüber sprechen. «Die Verurteilung war für die Menschen traumatisch, dazu kam die Stigmatisierung. Sie sind zwar Richtung 2000er Jahre nicht mehr zu Gefängnis verurteilt worden, aber noch zu recht hohen Geldstrafen. Sie haben dadurch ihren Job verloren, waren sozial isoliert – das war eine Zäsur in ihrem Leben.»

In Deutschland machen nur wenige Homosexuelle von ihrem Recht auf Entschädigung Gebrauch (MANNSCHAFT berichtete). Darum ist es Shettys Wunschvorstellung, dass die Entschädigung in Österreich automatisch erfolgt. Doch ohnehin gehe es den meisten um die Rehabilitierung.

Die Entschädigungssumme läge laut Shetty bei ein paar hundert Euro oder vielleicht 1000 Euro – je nachdem, wie das Strafmass damals ausfiel. Worum es ihm aber vor allem geht, das sei ein Entschuldigung und das Bekenntnis: Das war nicht rechtens, wie wir Euch behandelt haben. «Da wäre ich im ersten Schritt schonmal zufrieden. Und für die Betroffenen wäre es ein wahnsinnig schönes Zeichen, eine späte Genugtuung.»

Allerdings gibt es bei dem Vorhaben juristische Herausforderungen, erklärt Yannick Shetty. So seien Menschen aufgrund des homophoben Strafgesetzes verurteilt worden, aber zusätzlich auch aufgrund von Strafgesetzen, die mit der sexuellen Identität nichts zu tun hatten.

«Etwa wenn ein 25-Jähriger einen 16-Jährigen vergewaltigt hat, so wurde er verurteilt nach § 209, aber auch wegen Vergewaltigung. Aus den alten Fällen ist leider nicht mehr erkenntlich, aufgrund welches Gesetzes jemand verurteilt wurde. Wir wollen natürlich nicht, dass Menschen rehabilitiert werden, die heute auch noch genauso verurteilt würden.» Da fielen einige Fälle in einen Grenzbereich, so der NEOS-Politiker. «Klar ist: Wir wollen keine Vergewaltiger oder Kinderschänder rehabilitieren.»

In Deutschland ging die Schwulenverfolgung nach dem Zweiten Weltkrieg nahtlos weiter. In Österreich verlief der ganze Ent-Nazifizierungsprozess vermutlich noch unbefriedigender, erklärt Shetty.

«Auch die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus kam ja bei uns viel später. In Österreich begann man eigentlich erst mit der Waldheim-Affäre, als 1986 die NS-Verstrickungen Österreichs entlarvt wurden. Da erst setzte man sich damit auseinander: Was ist mit den ganzen Richtern, den Beamten von damals? Die wurden nach dem Zweiten Weltkrieg übernommen und bekamen wieder ranghohe Positionen in der Republik. Darum glaube ich, es wurde in Österreich noch viel mehr unter den Teppich gekehrt und totgeschwiegen.»

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