Wird Oscar Wildes Gefängniszelle zur Luxuswohnung?
Das Justizministerium lehnte ein Gebot der Gemeinde Reading ab
Die LGBTIQ-Community wollte das alte Zuchthaus von Reading in ein Kulturzentrum verwandeln. Auf dem Grundstück sollen nun Wohnungen gebaut werden.
Am Standort des Zuchthauses von Reading im Westen von London soll neuer Wohnraum entstehen. Damit gibt das britische Justizministerium der privaten Wohnbauentwicklung den Vorzug. Die Gemeinde Reading wollte im alten Gefängnis ein Kulturzentrum errichten, war Oscar Wilde doch sein prominentester Häftling.
Der irische Schriftsteller gilt als Vorkämpfer der Entkriminalisierung homosexueller Handlungen. Seine Affäre mit dem 16 Jahre jüngeren Lord Alfred Douglas führte zu einem Skandal in der gehobenen Gesellschaft Londons und zu mehreren Gerichtsverfahren. 1895 sprach ihn ein Gericht der schweren Unzucht schuldig und verurteilte ihn zu zwei Jahren Zuchthaus mit schwerer Zwangsarbeit.
Einen Grossteil seiner Strafe sass Wilde in Reading ab. Obwohl seine Gesundheit enorm unter dem harschen Gefängnisalltag litt, hörte er nicht mit Schreiben auf. Er verfasste einen offenen Brief, in dem er sich kritisch über sein früheres Leben äusserte und die demütigenden Haftbedingungen beschrieb. Der Text wurde posthum unter dem Titel «De Profundis» veröffentlicht.
Die Hinrichtung von Charles Thomas Wooldridge, der ebenfalls Häftling von Reading war, inspirierte Wilde zu seinem letzten zu Lebzeiten veröffentlichten Werk: das Gedicht «The Ballad of Reading Gaol» (deutsch: «Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading»).
Ausstellungen, Lesungen und Rundgänge
Das Zuchthaus von Reading war rund 170 Jahre in Betrieb und schloss im Januar 2014. Im Rahmen des Kulturjahres 2016 machte die Gemeinde Reading die Räumlichkeiten erstmals der Öffentlichkeit zugänglich. Die Denkmalschutzorganisation National Trust bot geführte Rundgänge im Gefängnis an, unter anderem konnte man auch die Zelle von Oscar Wilde besichtigen sowie die berüchtigte Tretmühle – ein Folterinstrument, an das er mit seinen Mitinsassen während einem Monat täglich sechs Stunden gefesselt war.
Es fanden Ausstellungen und Lesungen statt, oft unter Einbezug des LGBTIQ-Blickwinkels. Rupert Everett trug in der Gefängniskapelle von Reading «The Ballad Reading Gaol» vor. Der offen schwule Schauspieler verkörperte Wilde im Film «The Happy Prince» (MANNSCHAFT berichtete).
Die Gemeinde Reading sowie LGBTIQ-Aktivist*innen – darunter der Komiker Stephen Fry – versuchten bis zur letzten Minute einen Verkauf an eine Investorenfirma zu verhindern. Eine geplante Demonstration von Anwohner*innen musste aufgrund der Lage um das Coronavirus abgesagt werden. «Aus dem historischen Zuchthaus soll kein Luxusbau entstehen, sondern ein erstklassiges Kulturerbe, das offen für die ganze Community ist», schrieb die Gruppe «Save Reading Gaol» in den sozialen Medien.
«Oscar Wildes Gerichtsverhandlungen und seine Haftstrafe haben weltweite Auswirkungen auf LGBTIQ-Geschichte, -Kultur und -Rechte», sagte Molly Merryman von Queer Britain gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. «Das Zuchthaus von Reading stellt das wichtigste Kapitel der LGBTIQ-Geschichte des 19. Jahrhunderts dar und muss erhalten werden.»
MANNSCHAFT im April: Nicht ohne meinen Vierbeiner!
Noch ist nicht bekannt, welche Investorenfirma den Zuschlag vom Justizministerium erhalten hat. In einer Medienmitteilung gab Jason Brock, Gemeinderat von Reading, bekannt, dass er eng mit den Bauherren zusammenarbeiten wolle, um das Wahrzeichen zu schützen: «Ich möchte den erfolgreichen Bieter bei der ersten Gelegenheit treffen, um sicherzustellen, dass der historische und kulturelle Wert des Zuchthauses bei der Erstellung der Pläne in den Mittelpunkt gerückt werden.»
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