Farbe bekennen: Was es heisst, ein «Ginger» zu sein
Es gibt zwar inzwischen einen Markt für rothaarige Erotik, aber Zurückweisungen erleben Ginger-Männer nach wie vor
Im antiken Rom verehrt, im Mittelalter verfolgt und hingerichtet. Seit ein paar Jahren gibt es einen grossen Hype um rothaarige Kerle. Ist nun alles gut? Martin Busse spricht darüber, was es heisst, ein «Ginger» zu sein.
Polizeitruppen stürmen verschiedene Gebäude und machen gnadenlos Jagd auf rothaarige Jungen und Männer. Sie zerren sie aus ihren Verstecken, verschleppen sie in die Wüste und lassen sie dort über ein scharfes Minenfeld laufen, gehetzt von Gewehrschüssen. Im Video zu «Born Free» von der britischen Künstlerin M. I. A. inszeniert Regisseur Romain Gavras ein Horrorszenario. Doch ist es eins, dem traurigerweise ein reales Problem die Vorlage bot: Ausgrenzung und Gewalt gehören für viele Rothaarige zur Tagesordnung.
Als ich das Video zum ersten Mal sah, lief mir ein Schauer über den Rücken. Wie viele von uns hatte auch ich in der Vergangenheit häufiger mit Hohn und Spott zu kämpfen, wenn es um meine orange-rote Haarpracht ging.
Zum Glück bin ich mit Ausnahme einiger Absagen für Dates und des fast schon obligatorischen Fakts, dass mein Umfeld mir aufgrund des Hypes um die «South Park»-Folge «Ginger Kids» meine Seele abspricht, recht gut davongekommen. Meinen Leidensgenossen erging es da teils anders.
Kinder können grausam sein «Es gab in meiner Kindheit sehr viel Mobbing. Das reichte von ‹Iiih, rote Haare!› bis zu ‹Wir lassen dich nicht mitspielen›. Ich war bereits früh auf mich allein gestellt und musste lernen, unabhängig zu sein. Im Laufe der Zeit habe ich mir dann eine Art Panzer zulegt, der mich auch ziemlich gut durch die Pubertät gebracht hat.» Den Panzer, von dem Matthias Panitz, Berliner Grafiker und Mitbegründer der Kampagne «Travestie für Deutschland», spricht, kennen viele von uns sogenannten Gingers. «Natürlich wurde man oft als Pumuckl oder Feuerkopf bezeichnet. Ich denke, das prägt einen, jedoch bekommt man dadurch auch ein dickes Fell», meint Lars Tönsfeuerborn.
Auch wenn Rothaarige besonders sind, so ist doch jeder einzelne Mensch für sich genommen besonders. Und das ist, was am Ende zählt. (Lars Tönsfeuerborn)
Der 28-Jährige lebt und arbeitet in Düsseldorf und startet gerade mit der Podcastreihe «schwanz & ehrlich» auf Spotify durch. Seine roten Haare sind zu seinem Markenzeichen geworden. Eins, das ihm bei Instagram etliche Likes beschert, das er aber erst mit voranschreitendem Alter und mehr Reife anzunehmen vermochte. «Irgendwann kam die Erkenntnis, sich glücklich schätzen zu können. Auch wenn ich früher gehänselt wurde, ist mir heute umso klarer, wie schön es ist, mit roten Haaren ein eher seltenes Exemplar zu sein.» Und das ist Lars.
Man geht heute davon aus, dass weniger als ein Prozent der Gesamtpopulation auf unserem Planeten rothaarig ist. Mir selbst war das lange gar nicht klar, kam ich schliesslich aus einem Mikrokosmos, den ich mir mit zwei rothaarigen Schwestern, einer rothaarigen Tante, einem rothaarigen Onkel und zwei rothaarigen Cousinen teilte. Das verzerrt das Bild natürlich. Erst der Kontakt mit der Aussenwelt zeigte die Tatsache, dass wir anders zu sein scheinen. Liefen wir zum Beispiel als Geschwistertrio die Strasse entlang, drehten sich viele Menschen nach uns um, steckten die Köpfe zusammen oder zeigten mit dem Finger auf uns. Kein Wunder, dass man sich dann irgendwann fragt, ob etwas mit einem nicht stimmt.
Geschmackssache Dass Seltenheit allein nicht zwangsweise auch eine besonders hohe Nachfrage bedeutet, zeigen zahlreiche Studien zum Attraktivitätsempfinden. Dort lässt sich ein fast schon niederschlagender Trend beobachten. Während Menschen mit blonden, braunen oder schwarzen Haaren hohe Beliebtheitswerte bei den Befragten erzielen konnten, wurde die Anziehungskraft roter Mähnen als gering eingestuft. Doch damit nicht genug. Auch verschiedene Samenbanken vermeldeten in den letzten Jahren, dass es kaum noch Abnehmer für Sperma von rothaarigen Spendern gebe. Schlimmer noch. Rotschöpfe wurden sogar bei der Anmeldung abgewiesen.
Als ich in meinen Teenagerjahren anfing, mit Mädchen ausgehen zu wollen, merkte ich, dass die Begeisterung für mein Äusseres sich in Grenzen hielt. Kurzerhand wurde ich selbst zu meinem schlimmsten Kritiker und griff entschlossen zu einer Färbepackung, um dem glänzenden Kupfer ein für alle Mal den Kampf anzusagen – und zwar mit dem tiefsten Schwarz, das ich finden konnte. Im Nachhinein bewerte ich diese Kurzschlusshandlung als eine der dümmsten Entscheidungen, die ich je getroffen habe.
Darf es ein bisschen rot sein? Ob man als rothaariger Mann beim eigenen Geschlecht landen kann oder nicht, hängt neben Ausstrahlung und Selbstbewusstsein immer auch vom Geschmack des Gegenübers ab. «Ich merke, dass es ein grosses Interesse an rothaarigen Männern gibt. Besonders bei Kerlen, die vom Typ her eher dunkler sind», bemerkt Lars Tönsfeuerborn, und auch Matthias Panitz kann dem nur beipflichten: «Vor allem südländische Männer stehen auf meine roten Haare. Ich habe ja nicht umsonst einen italienischen Freund. Man will angeblich immer das, was man selbst nicht hat.»
Thomas Kraft hingegen kritisiert, dass viele Gingers zu reinen Fetischobjekten degradiert werden. «Machen wir uns nichts vor, die Homowelt dreht sich um Oberflächlichkeiten. Ich habe Anschriften über Datingportale bekommen, in denen geschrieben wurde, dass jemand unbedingt Sex mit einem Rothaarigen haben will, um es von seiner To-do-Liste zu streichen.» Das Stereotyp des ewig wollüstigen, sexuell aktiven Rotschopfs, der leidenschaftlich und temperamentvoll ist, befeuert dabei die Fantasie.
Gegenteilige Meinungen begegnen einem dann aber vermutlich häufiger. Als ich zuletzt verschiedene Datingapps nutzte, schienen meine dort eingestellten Bilder nicht eindeutig genug gewesen zu sein. Ich vergass unverschämterweise, vor meiner eigentümlichen Haarpracht zu warnen. Denn mein «Ja» auf die per se schon recht anmassende Frage «Sag mal, bist du ein Ginger?» führte in vielen Fällen dazu, dass ich geblockt wurde oder mir anhören durfte, dass das «leider so gar nicht ginge».
Heiss, heisser, rothaarig Dass es dennoch einen nicht gerade kleinen Markt für die Kombination aus Rothaarigkeit, Maskulinität und Erotik gibt, konnte der britische Fotograf und Musiker Thomas Knights feststellen, als er sein «Red Hot»-Projekt ins Leben rief. «Da ich selbst ein Rotschopf bin, liegt mir das Projekt wirklich am Herzen. Mich beeindruckte, wie viel Aufmerksamkeit rothaarigen Frauen in unserer westlichen Kultur entgegengebracht wird. Sie gelten als Idealbild für Weiblichkeit, während rothaarige Männer kaum beachtet werden und ihnen in Filmen und der Literatur ihre sexuelle Ausstrahlung gänzlich abgesprochen wird.»
Die Erfolge von Knights Bildbänden «Red Hot 100» (Bruno Gmünder, 2014) und «Red Hot II» (Bruno Gmünder, 2016) sowie seinen jährlich realisierten Kalendern unterstreichen den Wandel in der Wahrnehmung rothaariger Männer. Eine wichtige Pionierarbeit, die auch einer recht speziellen Form des Rassismus vorbeugen soll. «Da Rothaarige oft weisse Haut haben, fällt die Diskriminierung, die ihnen entgegengebracht wird, in eine rechtliche Grauzone. Deswegen ist sie überhaupt schon derart lange möglich und wird gesellschaftlich toleriert», beklagt Knights.
Mir gefällt an Rotschöpfen, dass sie anders sind und aus der Menge hervorstechen.(Thomas Knights)
Der erste Schritt ist gemacht, nur liegt noch ein langer Weg vor uns Tatsächlich erfahren Rothaarige deutlich mehr akzeptierte Diffamierungen als viele andere Minderheiten. Die Gründe dafür sind vielfältig. Ob es die historisch unterstellte Nähe zum Teufel ist, die mit der Haarfarbe assoziiert wird, die eigentümliche Optik oder auch die fragliche Darstellung in den Medien – fest steht, dass etliche Klischees und Stereotype in den Köpfen der Menschen manifestiert sind und es noch immer an wirklich erfolgreichen Rollenmodellen fehlt. «Es gibt definitiv einen Mangel an Vorbildern. Prince Harry und die Weasleys von Harry Potter sind die einzigen, die mir so auf die Schnelle einfallen. Das sind definitiv nicht genug», bemerkt Matthias Panitz.
Mich selbst verwunderte, wie lange es brauchte, rothaarige Emoticons auf den Smartphones verfügbar zu machen. Erst 2018 war es so weit. Lange nachdem Regenbogenfamilien, Gesichter jedweder Hautfarbe und allerhand unnötige Lebensmittel und Fabelwesen die Chats der Messenger beherrschten. Vielleicht aus Sicht mancher eine unnötige Beschwerde meinerseits, aber eben eine, die dir als Rothaarigem deine Wichtigkeit im Gesamtkontext verdeutlicht. Wenn wir über Gleichberechtigung reden, dann sollten wir dies auch in letzter Instanz tun. Ich freue mich über jede neue Lanze, die für mich und alle anderen Rotschöpfe gebrochen wird. Wir sind da, und wir sind mehr, als man meinen mag.
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