«Wieso sollte man Kinder vor queeren Lebensentwürfen schützen?»
Man könne gar nicht früh genug anfangen, über Sexualität und ihre Ausrichtung zu sprechen, findet Ursula Strauss
Ursula Strauss gehört zu den erfolgreichsten Schauspieler*innen Österreichs, ab 2. April ist sie als markante Kommissarin im ARD-Mehrteiler «Euer Ehren» zu sehen. Im Stern-Interview erzählt sie über ihren ersten Berufsweg als Kindergärtnerin und ihre Erfahrungen mit Kindern.
«Kinder werden leider oft wie kleine Trottel behandelt, nicht als vollwertige Mitmenschen», sagt die 47-Jährige. «Ich hatte zwischendurch grosse Krisen mit diesem Beruf, weil ich nicht damit zurechtkam, wie unterschiedlich gern ich die Kinder hatte. Ich habe oft geweint und sehr an mir gezweifelt. Irgendwann dachte ich dann, dass ich ja auch nicht alle Erwachsenen gleich gern mag. Es geht nicht ausschliesslich um Zuneigung, sondern um Respekt und Gerechtigkeit im Umgang.»
Will man Kindern als Eltern nicht die bestmögliche Vorbereitung auf ihr Leben geben?
Im Gespräch äussert sich Strauss auch zum wichtigen Einfluss von Kinderliteratur sowie dem aktuellen Projekt des Stern, das diverse Kinderbuch «Märchenland für Alle» zu veröffentlichen: «Ein grossartiges Projekt!“ In Ungarn hatte die Veröffentlichung für hitzige Debatten gesorgt und führte zu einem Referendum über die Sichtbarkeit queerer Menschen (MANNSCHAFT berichtete). Der Herausgeber erhielt Morddrohungen (MANNSCHAFT berichtete).
«Wieso sollte man Kinder vor queeren Lebensentwürfen beschützen, man verschweigt ihnen ja auch nicht die Existenz von heterosexuellen nicht?», so Strauss. «Und was ist denn, wenn die Kinder queer sind? Will man ihnen als Eltern nicht die bestmögliche Vorbereitung auf ihr Leben geben? Ein Nein ist immer eine Tür, die sich schliesst. Dabei ist es unser aller Aufgabe, den Kindern so viele Jas wie es geht aufzumachen.»
Die klassischen Einwände von konservativer Seite, Kinder sollten nicht zu früh mit Sexualität konfrontiert werden, kann sie nicht nachvollziehen. «Das lässt sich nicht vermeiden, Sexualität ist eine der wichtigsten menschlichen Triebfedern. Sexualität beginnt nicht erst in der Pubertät. Sobald man geboren wird, ist man ein sexuelles Wesen. Frühkindliche Sexualität ist ein Tabu, unter anderem deshalb sind wir als Gesellschaft eher verklemmt.» Man könne gar nicht früh genug anfangen, über Sexualität und ihre Ausrichtung zu sprechen, weil es immer ein ganz natürlicher Bestandteil dieser Welt sei und sein werde.
Ihr sei es als Kind nie schwergefallen, Märchenfiguren zu abstrahieren, so Strauss im Stern. «Mich haben keine Fabelwesen oder sprechenden Tiere paralysiert, wieso also schwule Prinzen? Ich glaube bis heute daran, dass, wenn ich eines Tages nach Island reise, mir dort ganz sicher Feen begegnen werden. Wir alle brauchen etwas Mystik, ein Geheimnis. Ich bin keine Esoterikerin, aber ich habe auch Lust auf Dinge, die mir nicht sofort erklärbar sind. Ich mag auch die alten Märchen – trotz der Schwarz-Weiss-Zeichnungen von Menschen darin.»
In der Idee einer «Normalität», die Kindern vermittelt wird, sieht die fünffache Romy-Preisträgerin die «Wurzel vielen Übels». Der Begriff der Normalität macht so viel kaputt. Das einzige, was als normal bezeichnet werden sollte, sind der gegenseitige Respekt, und ein grösseres Verständnis füreinander. Der Versuch, sich in andere hineinzudenken, hilft oftmals auch andere Zugänge Sichtweisen oder Probleme zu verstehen und über den eigenen Tellerrand zu schauen.»
Dass tradierte Geschlechterrollen auch in den heutigen Kinder- und Jugendgenerationen weiterhin präsent sind, sieht Strauss kritisch. «Es wäre schön, wenn diese Mädchen und Frauen sich aus eigenen Stücken entschieden hätten, so sein zu wollen. Aber viele erfüllen bloss Erwartungen, Klischees, Marketingkonzepte», sagt sie.
«Generell finde ich: Frauen sollten sich nicht mehr erklären müssen, für das was sie sind. Hat man Kinder, hat man keine, ist man Karrierefrau, kümmert man sich um die Familie. Alle Lebensentwürfe haben ihre Berechtigung, und keiner hat das infrage zu stellen. Ich hatte zum Beispiel lange Zeit meine Schwierigkeiten damit, keine Kinder bekommen zu können.» Wichtig sei für sie gewesen, «dass ich mir irgendwann selber glauben konnte, dass ich dadurch als Frau und als Mensch nicht weniger wertvoll bin. Aber es hört nicht auf, ich werde so oft danach gefragt, wieso ich keine Kinder habe. Einem kinderlosen Mann wird diese Frage nie gestellt.»
Für Strauss selbst waren die Bücher Christine Nöstlingers am prägendsten. «So eine kluge, mutige Frau, eine moderne Heldin, besonnen und kämpferisch zugleich», sagt sie über die 2018 verstorbene Wiener Kinderbuchautorin, die sie noch persönlich kennenlernen durfte. Ab 14. April ist Strauss in der Verfilmung des Nöstlinger-Klassikers «Geschichten vom Franz» zu sehen.
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