«Aufgeben ist keine Option»

Über die Krise der Grünen

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Tammo Westphal (Foto: zVg)

Tammo Westphal ist Mitglied der Grünen und wollte eigentlich im September in den Brandenburger Landtag einziehen. Daraus wurde nichts.

Wer macht in Brandenburg jetzt eigentlich Queerpolitik? Wie muss es mit den Grünen weitergehen? MANNSCHAFT+ spricht mit einem queeren Mitglied, das Entfremdung mit der Partei spürt, aber bleiben und kämpfen will.

Tammo, wie hast du den Wahlabend vor einer Woche erlebt?

Wir wussten, dass es ein langer Abend werden wird und am Ende nur ein paar Stimmen entscheiden würden. Der Wahlabend war am Ende ein Schlag in die Magengrube. Die AfD steht in Brandenburg und Ostdeutschland kurz vor der Machtübernahme. Zu sehen, wie der Balken der AfD weit nach oben geht und die SPD ihren Wahlsieg auf Kosten unserer Demokratie feiert, war nur schwer zu ertragen.

Es war die Spitze eines Wahlkampfs, bei dem es nur um die Frage ging, wer noch schneller und besser abschieben kann. Ein Wahlkampf, der ein Überbietungswettbewerb rechter Rhetorik und mit der persönlichen Zukunft von Dietmar Woidke eng verbunden war. Durch den verpassten Einzug von Bündnis 90/Die Grünen wird es nun keine Stimme für Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und eine humane Asylpolitik geben. Daneben haben an diesem Abend vielen Mitarbeiter*innen der Fraktion ihren Job verloren.

Auch wenn in den kommenden Jahren viele langjährig aufgebaute Strukturen wegbrechen werden und viel weniger Geld für politische Arbeit zu Verfügung stehen wird, hatte ich auch ein grosses Gefühl von Dankbarkeit für diesen Wahlkampf. Für all die Unterstützung und die vielen Erfahrungen die ich machen durfte. Zudem gab es auch ein Gefühl von „Jetzt erst recht». Wir stehen in den nächsten Jahren zwar vor enormen Herausforderungen, doch wir werden wie ein Phoenix aus der Asche zurückkommen.

Es gibt im Brandenburger Landtag nun keine Partei mehr, die dezidiert Queerpolitik macht. Was sind die Folgen?

Das macht mir grosse Angst und auch Sorgen. Die Situation queerer Menschen in Brandenburg droht sich weiter zu verschlechtern. Die SPD Brandenburg muss mit dem BSW regieren. Eine SPD die gerne Geld bei queeren Projekten kürzt, mit einer Partei um Sarah Wagenknecht, die das Selbstbestimmungsgesetz auf Bundesebene als «gefährlichen Irrsinn» bezeichnet hat. Das alles in Zeiten, in denen Queersein wieder ein Sicherheitsrisiko geworden ist.

Queere Menschen, Verbände und Initiativen in Brandenburg haben jetzt kaum noch Ansprechpartner*innen im Landtag, an die sie sich mit ihren Anliegen wenden können. In Zukunft wird es noch wichtiger sein, queere Netzwerke zu unterstützen und für deren fortbestehen auf die Strasse zu gehen. Gerade die kleinen CSDs im ländlichen Räum werden noch mehr Unterstützung benötigen. In den kommenden Jahren werden wir als Gesellschaft noch vehementer für die Rechte queerer Menschen und echte Selbstbestimmung einstehen, auf die Strasse gehen und uns in Initiativen engagieren müssen. Dafür braucht es von der Gesellschaft in diesen Zeiten volle Solidarität mit allen queeren Menschen.

Es treten nicht nur die beiden Bundesvorsitzenden zurück (MANNSCHAFT berichtete), auch der Grünen Jugend. Teils treten sie ganz aus der Partei aus. Hast Du dafür Verständnis? Hast Du in der letzten Zeit ähnliche Gedanken gehabt?

Ich würde die Rücktritte unabhängig voneinander betrachten. Der Rücktritt der Grünen-Vorsitzenden begegne ich mit viel Respekt, auch wenn ich nicht immer einer Meinung mit ihnen war. Sie zeigen in schwierigen Zeiten Haltung und ziehen auch persönliche Konsequenzen aus den Fehlern der letzten Monate.

Den Rücktritt des Bundesvorstands der Grünen Jugend kann ich inhaltlich nachvollziehen, teile aber die strategische Überlegung dahinter nicht. Zudem habe ich leider kein Verständnis für der Art und Weise des Rücktritts. Asylrechtsverschärfung, Kompromisse um Lützerath oder dem Klimaschutzgesetz auf Bundesebene haben mich extrem wütend gemacht. Das lässt einen zweifeln, ob man sich noch in der richtigen Partei engagiert. Das hat einen immer wieder fragen lassen, ob ich das alles noch mittragen kann und hat auch ein Stück weit zur Entfremdung zur Partei beigetragen.

Nichts desto trotz bin ich geblieben, weil ich weiter die Hoffnung habe, dass Bündnis 90/Die Grünen die einzige Partei ist, die für echte Veränderungen und eine lebenswerte Zukunft kämpfen kann. Wenn andere zu einer anderen Schlussfolgerung kommen, ist das völlig in Ordnung. Ich halte es jedoch brandgefährlich in Zeiten, wo die AfD in Ostdeutschland kurz vor der Machtübernahme steht, Hass und Hetze die Gesellschaft spalten und die Zivilgesellschaft vor grossen Herausforderung steht, die politische Linke weiter zu spalten. Wir müssen im Kampf für unsere Demokratie als politische Linke zusammenstehen! Wir müssen uns organisieren, kritisch bleiben und dürfen den Fokus und den wahren Feind nicht aus den Augen verlieren: den Faschismus.

Brandenburg und Ostdeutschland braucht starke Gewerkschaften, soziale Träger*innen, Umweltverbände und eine starke Klimabewegung. Hier wird jede helfende Hand gebraucht. Wir brauchen keinen weiteren linken Jugendverband, denn den gibt es schon: die Grüne Jugend! Bündnis 90/Die Grünen sollte es schon länger zu denken geben, warum sich so viele junge Menschen von der Partei abwenden, sie nicht mehr wählen oder jetzt auch austreten. Es braucht daher auch eine Aufarbeitung innerhalb der Partei.

Für dich hat es in Brandenburg bei der Wahl nicht gereicht: Willst Du weiter politisch aktiv bleiben?

Aufgeben ist keine Option, dafür geht es einfach um zu viel! Für mich geht es definitiv an anderer Stelle weiter. Der Horror in Brandenburg ist wahr geworden. Ich lebe jetzt in einem Bundesland in dem ein keine einzige progressive, linke Partei im Landtag gibt. In einem Brandenburg, wo 30 Prozent der Menschen eine rechtsextreme Partei gewählt haben, diese auch noch eine Sperrminorität im Landtag hat. Es muss mit Putin-Freund*innen zusammengearbeitet werden, damit eine stabile Regierung gebildet werden kann.

Es wird im kommenden 5 Jahren keine Stimme für Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit oder eine menschliche Asylpolitik im Landtag geben. Das alles macht mir Angst, aber ich habe keine Lust in meiner Heimat in Angst leben zu müssen. Es ist natürlich bitter, dass sich der ganze Einsatz und die vielen Stunden an Haustüren, Wahlkampfständen oder Podien nicht in Wähler*innenstimmen umgemünzt hat. Nichts desto trotz müssen wir weiter um unsere Zukunft kämpfen, auch ausserhalb des Parlaments. Jetzt erst recht! Ich möchte auch weiter dafür kämpfen, dass junge Menschen ein Stimme in der Politik haben, denn es geht um unsere Zukunft. Die

Menschen in Brandenburg, die vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die Umwelt- und Sozialverbände haben es verdient, auch ausserhalb des Parlaments eine starke Stimme und einen stabilen Bündnispartner an ihrer Seite zu haben. Brandenburg ist mein Zuhause und ich werde nicht zulassen, dass hier in Zukunft menschenverachtende Politik gemacht wird!

Was muss sich bei den Grünen jetzt ändern?

Wir müssen ehrlich mit uns selbst sein: Wir haben das Vertrauen bei den Menschen verloren, dass unsere Politik ihr Leben wirklich verbessern kann. Besonders weh tut das natürlich bei jungen Menschen. Sie haben kein Vertrauen mehr, das wir die Zukunftsfragen lösen können. Wir müssen endlich Anfangen mit den Menschen auf Augenhöhe Politik zu machen. Eine Politik, die die soziale Frage in den Mittelpunkt rücken muss, denn egal ob Klimawandel, Inflation oder Migration: die Menschen haben Angst, dass sie bei all den Krisen am Ende immer tiefer in den Geldbeutel greifen

müssen.

«Es ist wichtig, nicht nur gegen Rechts zu sein, sondern echte politische Alternativen und Lösungen anzubieten.»

Es braucht dringend eine andere Politik, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert und somit allen ein gutes Leben ermöglicht. Eine Politik die nah an den Menschen gemacht wird, klassenorientiert ist und die den Menschen dient, nicht irgendwelchen Profitinteressen. Für Bündnis 90/Die Grünen Brandenburg bedeutet die Zeit in der ausserparlamentarischen Opposition vor allem Bündnisarbeit. Menschen, auch in nicht Wahlkampfzeiten, nah an ihrer Lebensrealität ehrlich zuzuhören, Ansprechbar sind und die Sorgen und Ängste ernst nehmen. Dabei ist wichtig, nicht einfach «Gegen Rechts» zu sein, sondern echte politische Alternativen und Lösungen anzubieten. Das gelingt nur gemeinsam mit unseren Bündnispartner*innen. In dem wir uns weiter mit Streikenden solidarisieren und Klimaaktivist*innen wieder den Rücken stärken.

Wir müssen wieder klar machen, dass wir die Partei des Ostens sind, die gerade den Menschen im Osten zuhört und in der Tradition von Bündnis 90 für gleiche Löhne, höhere Tarifbindung und gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West kämpft. Wir müssen als Bündnis 90/Die Grünen Haltung zeigen, zu unseren Werten stehen, linke Bündnisse schmieden und jungen Menschen wieder die Hoffnung zu geben, dass eine bessere gerechtere und solidarische Zukunft in Brandenburg möglich ist.

Dazu gehört auch ernst zu machen, wenn wir sagen: Tax the rich oder «Kein Mensch ist illegal». Das dürfen keine leeren Floskeln sein, sondern sind Leitlinien unser Politik, die wir auch wirklich umsetzen wollen. Dafür müssen wir den Druck erhöhen.

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