Unkultur zur Unzeit: Tapete in der «Tagesschau»
Die neue MANNSCHAFT+-Kolumne «Alter Ego»
Ich sitze mit einem Feierabendbier auf dem Sofa. Im Fernsehen läuft die Tagesschau». Es werden die üblichen Nachrichten verlesen – Mord, Krieg, Börsenstürze –, als die Moderatorin einen Experten zuschaltet, der seine Analyse eines Sachverhalts aus dem Homeoffice präsentiert.
Ich: *Seufz*
Mein Alter Ego runzelt die Stirn. Der Experte im Fernsehen redet sich ins Element.
Ich: *Seufz* Alter Ego (genervt): WAS? Ich: Er hat ein Kurzarmhemd an. Alter Ego: ??? Ich: Und er sitzt vor einer weissen Raufasertapete.
Alter Ego: Im Ernst jetzt? Es geht um ein internationales, UN-sanktioniertes und bis dato nie angewandtes Wirtschaftsembargo zur Schlichtung eines Konflikts zweier Grossmächte, und du ärgerst dich über so was?!
Ich: Da fängt doch alles an. Alter Ego: Was fängt da alles an? Ich: Die Unkultur. Alter Ego: Die was?
Ich: Die Unkultiviertheit! Wenn die Leute es nicht einmal mehr schaffen, sich anständig zu kleiden und ihre eigenen vier Wände zu gestalten, wie wollen wir dann die Welt verändern? Alter Ego: Vielleicht gibt es Menschen, die, gerade weil sie die Welt verändern, keine Zeit haben, sich so hedonistischen Dingen wie Mode oder Interior Design hinzugeben.
Ich: Da bin ich eben anderer Meinung. Kultiviertheit zeigt sich im Kleinen. Das ist doch ein gebildeter, reflektierter Mensch. Wie kann er sich da einem potentiellen Millionenpublikum so präsentieren? Und dann noch dieser billige Monet-Druck im Hintergrund! Alter Ego: Das ist so oberflächlich.
Ich: Nein, ist es eben nicht! Oberflächlich ist, sich keine Gedanken darüber zu machen. Es ist oberflächlich, die Wand einfach weiss zu lassen. Es ist oberflächlich, sich mit klischierten Postern etablierter Künstler zufriedenzugeben, anstatt sich mit zeitgenössischer Kunst und Kultur auseinanderzusetzen. Alter Ego: Vielleicht ist Kunst einfach nicht sein Thema. Ich: Wieso hängt er sich dann den Abklatsch eines impressionistischen Meisterwerks an die Wand?
Alter Ego: Dann hat er halt keinen Geschmack. Ich: Einen Geschmack haben alle. Und wenn man einen schlechten hat, kann man daran arbeiten. Aber das ist den Leuten heute ja zu anstrengend. Da ist es doch viel angenehmer, das Hirn auszuschalten und sich dem passiven Konsumrausch hinzugeben.
Alter Ego (zeigt auf den Fernseher): Reden wir dabei immer noch über ihn? Ich (grummelnd): Nein, natürlich nicht. Alter Ego: Gut, dann würde ich mich gerne wieder auf den Inhalt konzentrieren.
Wir schweigen. Im Fernseher kommt ein Aussenkorrespondent zu Wort.
Ich: *Seufz* Alter Ego: Was jetzt?! Ich: Diese Kameraeinstellung. Und das grelle Licht. Also ich an deren Stelle . . . Alter Ego: *Seufz*
Wie wohnt einer der bekanntesten Schweizer Modedesigner? Julian Zigerli hat uns seine Tür geöffnet: im 22. Stock eines Turmes. Nichts für schwindelanfällige Nerven. Dafür ein Abenteuer fürs Accessoire-liebende Auge (MANNSCHAFT+).
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