«Ich muss nicht neben meinem Partner auf dem Roten Teppich stehen»

ARCHIV - 14.08.2007, Nordrhein-Westfalen, Köln: Der Schauspieler Udo Kier steht am Rande von Dreharbeiten zu dem Kinofilm «Lulu und Jimi» in Köln am Rhein. Der deutsche Schauspieler Udo Kier ist gestorben. Der Hollywood-Star starb am Sonntag im Alter von 81 Jahren im kalifornischen Palm Springs, wie sein Management in Los Angeles der Deutschen Presse-Agentur bestätigte
Udo Kier (Bild: Jörg Carstensen/dpa)

Er ritt im Weltall auf einem T-Rex, spielte für Warhol Dracula und prägte mit einem einzigen Blick ganze Filme. Udo Kier, schwule Ikone und Meister der Nebenrolle, ist tot.

Von Lisa Forster und Christina Tscharnke, dpa

In seinem letzten veröffentlichten Film war er nur wenige Minuten zu sehen - doch das genügte, um Eindruck zu hinterlassen. Udo Kier, der jetzt im Alter von 81 Jahren in Kalifornien gestorben ist (MANNSCHAFT berichtete), war bekannt für seinen stechenden Blick. Er gehörte zu den Schauspielern, die man nicht mehr vergisst, wenn man sie einmal gesehen hat.

Ob als empfindsamer Aussenseiter in seinem jüngsten Kinofilm «The Secret Agent» oder als entrückter Bösewicht in «Iron Sky - Wir kommen in Frieden!» - Kier verlieh jeder Rolle eine Note, die sofort wiederzuerkennen war.

Man sah den gebürtigen Kölner oft in skurrilen Nebenrollen. Insgesamt hat Kier in mehr als 250 Film- und Fernsehproduktionen mitgewirkt. Er wurde zu einer Ikone des Arthouse-Kinos, war aber auch gefragter Hollywood-Schauspieler.

Kier ist einer der wenigen deutschen Schauspieler, die im internationalen Filmgeschäft über Jahrzehnte präsent waren. Dabei spielte er oft Bösewichte - nicht zuletzt wegen seines prägnanten Blicks aus Augen, die manche als blau, manche als grün bezeichneten.

Er arbeitete mit Kultregisseuren wie Rainer Werner Fassbinder oder Lars von Trier zusammen, hatte aber auch eine Vorliebe für Trash-Spektakel. Zu seinen berühmtesten Filmen zählen «Melancholia», «My Private Idaho», der Vampir-Film «Blade» oder die Komödie «Ace Ventura».

Im zweiten Teil der Science-Fiction-Komödie «Iron Sky» reitet Trier als Herrscher einer Nazi-Gemeinde auf einem T-Rex im Weltall. «Ich arbeite gerne an interessanten Geschichten - ob sie Sinn machen oder nicht, ist eigentlich egal», sagte er einmal. Er spielte an der Seite von Bruce Willis («Armageddon»), tauchte aber auch mal im «Tatort» auf.

Kier wurde am 14. Oktober 1944 als Udo Kierspe in Köln-Mülheim geboren. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und wurde von seiner alleinerziehenden Mutter großgezogen. In seiner Jugend absolvierte der Rheinländer eine Lehre als Grosshandelskaufmann in der Werkzeugbranche, jobbte eine Zeit lang beim Autobauer Ford am Fliessband. Mit 19 Jahren machte er sich auf nach London und knüpfte erste Kontakte mit der Filmbranche.

Schon seit 1991 lebte Kier in den USA. Einige Jahre pendelte er zwischen seinen Häusern in Los Angeles und Palm Springs, wo er in einer alten Bücherhalle wohnte. Dort lebte auch seine Riesenschildkröte namens Han Solo.

Arbeit mit Warhol, Fassbinder, Schlingensief Zur Kunst-Szene hatte Kier seit jeher ein enges Verhältnis - schon früh freundete er sich mit namhaften Künstlern an. Besonders eng war Kiers Kontakt zu Filmemacher Rainer Werner Fassbinder, mit dem er unter anderem «Lili Marleen» oder «Berlin Alexanderplatz» drehte. Für Gus Van Sant stand er ebenfalls vor der Kamera. Der Schauspieler arbeitete mit weiteren deutschen Regisseuren zusammen, zum Beispiel mit Wim Wenders, Christoph Schlingensief oder Fatih Akin.

Bekannt auch als schwule Ikone Im Jahr 2020 wurde Kier auf dem «Walk of the Stars» in Palm Springs mit einer Sternenplakette verewigt. Als Gastredner erinnerte damals US-Regisseur Gus Van Sant an Kiers Rolle in seinem Film «My Private Idaho – Das Ende der Unschuld» (1991). An der Seite der Jungstars Keanu Reeves und River Phoenix spielte Kier in diesem Film einen Freier.

«In meiner Generation mussten die Leute, wenn sie zum Beispiel in eine Schwulenbar gingen, vor der Tür nach links und rechts schauen, um sicherzustellen, dass niemand sie beim Reingehen sah.»

Udo Kier

Wiederholt verkörperte Kier queere Rollen. Der Schauspieler lebte offen schwul zu einer Zeit, in der dies keineswegs selbstverständlich war. «In meiner Generation mussten die Leute, wenn sie zum Beispiel in eine Schwulenbar gingen, vor der Tür nach links und rechts schauen, um sicherzustellen, dass niemand sie beim Reingehen sah», sagte er in einem Interview. «Heute halten junge Schwule in Applebee's oder McDonald's Händchen.»

Er rede nicht viel über sein Privatleben, sagte Kier 2022 im Interview des Magazins GQ. «Es heisst ja nicht umsonst so. Privat. Ich muss etwas für mich haben. Wenn ich fotografiert werde mit meinem Freund, ist das okay. Alle meine Freunde kennen den. Aber ich muss nicht mit ihm auf dem roten Teppich stehen. Wem will ich denn imponieren? Wir wissen ja beide, wo wir hingehören, nach 22 Jahren.»

Einprägsame Nebenrollen bis zuletzt Wer Kier aktuell im Kino sehen will, kann sich «The Secret Agent» ansehen. Der Thriller wurde in Cannes mehrfach ausgezeichnet und gilt als ein Oscar-Anwärter. Kier verkörpert in dem brasilianischen Thriller einen deutschen Juden namens Hans, der fernab seiner Heimat unter seiner Vergangenheit leidet.

Wie häufig hat Kier in diesem Film eine Nebenrolle - kurz, aber einprägsam. Das war auffallend: Obwohl er nicht lange zu sehen war, lobten anschliessend viele Filmfans seinen Auftritt in dem Film des brasilianischen Regisseurs Kleber Mendonça Filho. Kier war einer, der dem Kino zeigte, wie viel Ausdruck man in einen nur wenige Minuten dauernden Auftritt vor der Kamera legen konnte - oder in einen einzigen Blick.

Kier wirkt in Madonnas «Deeper and Deeper»-Video mit und war auch in ihrem Skandalbuch «Sex» zu sehen. Die Zusammenarbeit kam zustande, nachdem sie ihn in «My Own Private Idaho» gesehen hatte. «Sie wollte, dass ich ihren dekadenten Ehemann spiele – sie im Abendkleid, ich im Smoking, und wir reiten auf nackten Männern, die Hundehalsbänder tragen und angeleint sind», erzählte er im Watson-Interview vor 10 Jahren.

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