Wenn deine Sippe mit dem Dead­name Geister beschwört

Eine neue Ausgabe unserer Kolumne: Familie ist, wenn man trotzdem lacht

Symbolfoto: Erik Muller/Unsplash
Symbolfoto: Erik Muller/Unsplash

Offiziell läuft es ganz gut für trans Personen in Deutschland, könnte man meinen. Ab November gilt das Selbstbestimmungsgesetz. Aber was tun, wenn sich die Angehörigen nicht anpassen wollen?

Es ist jetzt über zwei Jahre her, dass sich eins meiner Patenkinder als trans geoutet hat. Ich habe schon hier und da darüber geschrieben. Auf der Arbeit wissen es alle und in meiner Familie auch.

Seither ist viel passiert. Seit August 2022 trägt sie stolz den Ergänzungsausweis bei sich, mit ihrem neuem Namen: Laura. Sie macht eine Therapie und fährt dafür mehrmals im Monat nach Berlin, weil sie in der Region, in der sie wohnt (Niedersachsen), keinen Platz gefunden hat.

Dank der Therapie bekommt sie nun auch Hormone, Tabletten und Pflaster. Ihren Termin für die Anpassung von Geschlecht und Vornamen beim Standesamt hat sie auch schon. Und der Kleiderschrank füllt sich mit Frauensachen. Läuft also alles.

Wenn da nicht ihre Mutter wäre. Sie tut sich seit zwei Jahren schwer damit, zu akzeptieren, dass ihr Kind trans ist. Nur selten schafft sie, Laura bei ihrem neuen Namen anzusprechen. Als mein Patenkind dies neulich mal wieder einforderte, erklärte die wenig einfühlsame Mutter: „Das mache ich erst, wenn es in deinem Pass steht.“ Sie stellt ein Dokument, das der Staat ausstellt, über die Gefühle des eigenes Kindes.

Das wird die Leser*innen nun möglicherweise verstören und ärgern, und das ist auch meine Reaktion. Nur kenne ich fragliche Mutter schon sehr lange: Es handelt sich nämlich um meine Schwester. Empathie war noch nie ihre Stärke. Sowas wird ja auch im Alter selten besser (sie ist dieses Jahr 63 geworden).

Offenbar hilft es in diesem Fall auch nicht, wenn es sich um das eigene Kind handelt. Mit Vorsatz, so scheint es, tut sie ihrem Kind weh. Dass meine Mutter (Jahrgang 1939) das mit dem Vornamen nicht hinkriegt, ist auch nicht schön, aber bei ihr würde ich eine Art Altersmilde gelten lassen (Milde ob ihres Alters, nicht meines). Mit 63 aber, finde ich, kann man durchaus noch dazulernen.

Wenn wir vier uns zu Geburtstagen oder Feiertagen treffen, dann verwenden meine Schwester und Mutter konsequent den Deadname meiner Nichte, während ich ebenso konsequent Laura zu ihr sage. Es ist absurd. Man könne meinen, da sässen fünf Personen am Tisch.

Bisher war meine Haltung eben dieser Nichte gegenüber: Ich könnte dazu was sagen, aber für dich ist es besser, du tust es selber und korrigierst sie. Wird ja in deinem Leben möglicherweise immer mal nötig sein. Meine Nichte aber, krankheitsbedingt, kann das nicht. Aber welchem 100 % gesunden Menschen (falls es sowas gibt) gelingt das schon, gegen alte Gewohnheiten der Familie anzukämpfen?

Ein solches Familientreffen steht nun auch an diesem Wochenende bevor. Als Geist wird auch der Deadname meiner Nichte wieder angerufen. Wohl wird sich Laura damit nicht fühlen. Nach der neuerlichen Absage meiner Schwester an ihre Tochter, ihren neuen Namen zu nutzen, mag ich das aber nicht mehr tolerieren. Ich fürchte, es wird ein ungemütliches Beisammensein.

*Die Meinung der Autor*innen von Kommentaren und Kolumnen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

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