«Die Zukunft der HIV-Therapie liegt in individuellen Lösungen»

Junger, lächelnder Mann mit roter HIV Aids Schlaufe
(Bild: Adobestock)

HIV-Therapien haben sich in den letzten Jahren rasant entwickelt – mit besser verträglichen Medikamenten und individuellen Lösungen. Infektiologe Prof. Dominique Laurent Braun spricht über Chancen, Herausforderungen und neue Wege in der Versorgung.

Prof. Braun, seit 2008 betreuen Sie Menschen mit HIV. Wie hat sich die Therapie in den letzten 17 Jahren gewandelt? Die Veränderungen sind massiv. Noch 2008 begannen wir die Behandlung erst, wenn die Anzahl Helferzellen auf ein bestimmtes Niveau gefallen waren. 

Seit 2015 starten wir die Therapie unmittelbar nach der Diagnose. Somit können wir das Übertragungsrisiko senken und Folgeerkrankungen wie Aids, Herzinfarkte oder Krebserkrankungen reduzieren.

Und die Medikamente? 2008 mussten Patienten noch häufig toxische Wirkstoffe einnehmen, oft zwei Mal täglich mit erheblichen Nebenwirkungen. 2009 kamen erste Kombipillen auf den Markt, die drei Wirkstoffe in einer Tablette vereinten. 

Spätere Medikamente wurden noch verträglicher und einfacher in der Anwendung. Heute liegt mein Fokus auch auf der Verhinderung von Folgeerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Beschwerden oder Krebs.

Prof. Dominique Laurent Braun
Prof. Dominique Laurent Braun (Bild: zvg)

Prof. Dominique Laurent Braun

Prof. Dominique Laurent Braun ist Facharzt für Infektiologie, Innere Medizin und Pharmazeutische Medizin. Seit 2008 beschäftigt er sich intensiv mit der Behandlung von HIV-Patient*innen und arbeitet bei klinischen Studien mit, insbesondere zu neuen HIV-Therapien.

Nach seiner langjährigen Tätigkeit in der Infektiologie, hauptsächlich am Universitätsspital Zürich (USZ), eröffnete er im April 2025 seine eigene Praxis für Infektiologie in der Klinik Hirslanden in Zürich. Zuvor leitete Prof. Braun das Kohortenzentrum Zürich, das Teil des Schweizerischen HIV-Kohortenstudien-Netzwerks ist.

Er ist aktiv in der HIV-Forschung und -Lehre und publiziert zu diversen Aspekten von HIV – von psychosozialen Faktoren über Diagnostik und Behandlung bis hin zur Grundlagenforschung. Prof. Braun setzt sich für eine ganzheitliche Betrachtung von HIV-Patienten ein. Privat ist er verheiratet und lebt mit seinem Ehemann in Wollerau.

Aus Sicht Ihrer Patient*innen: Welche Veränderung hatte für sie die grösste Bedeutung? Für sie ist die Lebensqualität ein entscheidender Faktor. Die Virusunterdrückung ist wichtig, aber Patienten wollen keine gravierenden Nebenwirkungen oder soziale Stigmatisierung durch die Medikamenteneinnahme. Sie möchten zum Beispiel mit Freunden verreisen ohne Angst haben zu müssen, dass die Medikamente entdeckt werden – sei das per Zufall im Badezimmer oder bei einer Gepäckdurchsuchung am Flughafen. 

Viele wünschen sich Alternativen zur täglichen Tabletteneinnahme, etwa langwirksame Injektionen, die seltener verabreicht werden müssen. Diese könnten helfen, Stigmatisierung zu reduzieren und das Leben einfacher zu machen. 

Wie wird sich die HIV-Therapie aus Ihrer Sicht in den nächsten 10 Jahren entwickeln? Künftig geht es darum, Behandlungsoptionen weiter zu individualisieren. Einige meiner Patientinnen und Patienten bevorzugen die tägliche Tablette, andere wünschen sich langwirksame Injektionen, idealerweise über mehrere Monate oder sogar in Eigenverabreichung. Auch einmal wöchentliche oder monatliche Tabletten sind in Entwicklung. Viele Patienten möchten nicht täglich daran erinnert werden, dass sie mit HIV leben.

Herausforderungen gibt es vor allem bei schwer erreichbaren Gruppen, etwa wohnungslosen oder suchtkranken Menschen. Mobile Teams könnten helfen, regelmässige Injektionen sicherzustellen. Auch für ältere Patienten mit Mobilitätseinschränkungen braucht es Lösungen.

Gibt es bei der Prep, also bei der Prävention, aus Ihrer Sicht ähnliche Perspektiven? Die Prep ist ein dynamisches Forschungsfeld. Eine vielversprechende neue Option ist eine langwirksame Injektion. Ich gehe davon aus, dass künftig immer weniger Menschen täglich Medikamente einnehmen. Alternativen wie wöchentliche oder monatliche Prep-Präparate gewinnen an Bedeutung. 

Es wird jedoch weiterhin Menschen geben, die eine bedarfsgerechte Prep bevorzugen, also eine kurzfristige Einnahme je nach Situation. Ich denke, dass sich auch hier neue Optionen entwickeln werden, die eine kürzere Halbwertszeit haben und weniger lange im Körper verbleiben. Die Zukunft der HIV-Therapie liegt in individuellen Lösungen – sowohl in der Behandlung als auch in der Prävention. 

Anzumerken ist, dass die neusten Medikamente nicht automatisch in der Schweiz zugelassen werden, hier braucht es für eine Zulassung auch den Nachweis der Wirtschaftlichkeit und Zweckmässigkeit und billigere Alternativen in Form von Generika spielen eine wichtige Rolle.

Zurück zur HIV-Therapie: Welche Herausfordernungen sehen Sie bei einer langwirksamen Injektion gegenüber der täglichen Pille? Bei der Pille ist man flexibler – man nimmt sie, wann es passt. Die Injektionen müssen in einer Praxis innerhalb bestimmter Zeitfenster verabreicht werden und das erfordert Zeit. In der Schweiz haben wir aktuell Injektionen, die alle zwei Monate verabreicht werden. 

Falls ein Patient auf Reisen ist und den Termin verpasst, müsste er vorübergehend wieder auf eine orale Therapie umsteigen. Ein weiterer Nachteil ist, dass nicht jeder eine Spritze möchte – manche haben Angst davor. 

Was antworten Sie, wenn Ihre Patient*innen Sie nach dem Stand der Forschung fragen. Wie sind die Chancen auf eine Heilung von HIV? Das ist immer noch ein grosses Thema. Auch wenn Menschen mit HIV heute eine normale Lebenserwartung haben, bleibt die Frage nach einer Heilung zentral. Es gibt zwei Ansätze: Bei einer kompletten Heilung ist das Virus nachweislich nicht mehr im Körper. Das wurde bislang nur bei sieben Menschen erreicht[1], die eine aufwendige Stammzelltransplantation erhielten. Das ist allerdings extrem risikoreich und teuer. 

Bei der funktionellen Heilung bleibt das Virus zwar im Körper, wird aber vom Immunsystem unterdrückt. Hier wird zum Beispiel mit Antikörpertherapien oder frühzeitiger Behandlung experimentiert, um das Virus dauerhaft in Schach zu halten[2].

Die WHO hat das Ziel «Null Neuinfektionen bis 2030» ausgegeben. Wie realistisch ist das? In der Schweiz hatten wir 2023 etwa 352 neue Diagnosen, im Vorjahr waren es 359[3]. Das zeigt eine Plafonierung. Dabei muss man beachten, dass diese Diagnosen nicht unbedingt neu übertragene Infektionen sind – manche Menschen leben seit Jahren mit HIV, ohne es zu wissen und werden erst dann getestet. 

Dennoch glaube ich, dass wir mit den aktuellen PrEP-Angeboten die Zahlen weiter senken können. Wenn wir bei den neu übertragenen Infektionen deutlich unter die 200er-Marke kommen, wäre das aus meiner Sicht bereits ein Erfolg.

Sie haben in der Klinik Hirslanden in Zürich Ihre Praxis eröffnet. Wie sieht ihr Alltag aus? Für das Spital betreue ich allgemein infektiologische Fälle, zum Beispiel postoperative Infektionen. Des weiteren bin ich am Universitätsspital Zürich an der Forschung über sexuell übertragbare Infektionen (STI) und langwirksame HIV-Injektionstherapien führend. In meiner ambulanten Praxis liegt der Fokus zu 90 % auf HIV und ich biete alle HIV-Therapien an. 

Ich finde den Bereich weiterhin spannend, gerade weil sich viel verändert und es neue Therapien gibt. Daher ist es wichtig, dass sich ein Patient nicht geniert, seinem Arzt oder seiner Ärztin Fragen zu stellen – gerade bei diesem Thema, das oft noch mit Stigmatisierungen behaftet ist. Ich versuche mit Patienten immer gemeinsam eine Antwort zu finden. 

ViiV Healthcare

Finde heraus, was für dich bei deiner HIV-Behandlung und deinem Leben mit HIV wichtig ist und wie du mit deiner Ärztin oder deinem Arzt zusammenarbeiten kannst, um den besten Weg zur Erhaltung einer optimalen Lebensqualität zu finden.

ViiV Healthcare fokussiert sich auf die Erforschung neuer Medikamente, um die Behandlungs­ergebnisse für Menschen mit HIV zu verbessern. Damit erreichen wir ein besseres Verständnis für die Krankheit und wie sie verhindert und therapiert werden kann. Wir stärken das Bewusstsein von Menschen mit HIV für ihre Gesundheit und setzen uns dafür ein, dass Vorurteile über HIV abgebaut werden. – viivhealthcare.com

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