Sonntägliches Prokrastinieren oder Goodbye, Kiel
Die neue MANNSCHAFT+-Kolumne «Alter Ego»
Es ist Sonntagnachmittag, und ich schaue traurig mein Sofa an.
Ich: Ach, Mann, wie schön wäre es, frei zu haben. Ich würde mich hinlegen und in ein gutes Buch abtauchen, vielleicht ein bisschen dösen. Später könnte ich einen Spaziergang mit dem Hund machen und dann irgendwas Leckeres kochen . . . Aber nein, morgen ist Deadline für diese blöde Reportage, und Herr Beetschen darf wieder einmal am Wochenende arbeiten.
Alter Ego: Den Abgabetermin kennen wir seit zwei Monaten. Ich: Vielen Dank, das hilft mir jetzt sehr. Sehnsüchtig schaue ich zum Fenster raus.
Ich: Alle anderen können ein ganzes Wochenende lang tun und lassen, was sie wollen, nur ich muss wieder ran. Alter Ego: Genau. Die Bahnmitarbeitenden und Bäckersleute, die Ärzt*innen und Krankenpfleger*innen, die Theaterschaffenden und Musiker*innen – alle, alle haben sie frei.
Ich grummle etwas Unverständliches und setze mich seufzend ans Pult.
Ich: Erst einmal die Mails. Alter Ego: Lass die doch jetzt und fang mit dem Text an, dann haben wir’s in zwei Stunden. Ich: Du mit deinem Zweckoptimismus. Ich sitze bestimmt wieder bis am Abend hier. Alter Ego: Wenn du alle fünf Minuten die Mails checkst schon . . .
Ich checke die Mails.
Ich: Ah, die hier ist von gestern, muss ich unbedingt beantworten. Alter Ego: Das reicht morgen auch noch. Ich: Nein, besser jetzt. Alter Ego: Du prokrastinierst! Ich: Ruhe, ich muss mich konzentrieren.
Zehn Minuten später ist die Mail geschrieben und abgeschickt, als ein Newsletter reinkommt.
Ich: Mmh, schöne Vasen. Mal schauen, was die noch so auf der Website haben. Alter Ego: Ich würde jetzt mit dem Text beginnen. Ich: Nur ganz kurz.
Während ich mich durch japanische Keramik klicke, höre ich, dass im Bad die Wäsche fertig ist. Ich stehe auf, während mein Alter Ego sitzen bleibt.
Alter Ego (genervt): Und was machst du jetzt? Ich: Nur schnell das Bettzeug aufhängen. Alter Ego: Das eilt doch sonst nicht so.
Ich: Es ist besser, nasse Sachen gleich aus der Maschine zu nehmen. Alter Ego: Dann schmeiss sie wenigstens in den Tumbler. Sonne ist ja eh nicht. Ich: Nein, wir müssen Strom sparen. Sonst kommt das Energieministerium.
Mein Alter Ego sitzt vor dem Bildschirm und trommelt mit den Fingern.
Alter Ego: Wolltest du heute Abend nicht den Tatort sehen? Ich (Wäsche aufhängend): Ja, unbedingt, Kiel kommt. Das reicht noch dicke. Alter Ego (murmelt): Bin ich mir nicht so sicher. Ich: Das hab’ ich gehört.
Bevor ich mich wieder an den Schreibtisch setze, mache ich mir einen Tee, lese und beantworte eine neue SMS, rufe meine Eltern an, suche nach Schokolade, schaue, ob die Wäsche schon trocken ist, mache mir einen weiteren Tee und setze mich wegen akuter Müdigkeit aufs Sofa. Mein Alter Ego beobachtet mich mit zusammengekniffenen Augen.
Alter Ego: Goodbye, Kiel. Ich (gähnend): Was? Alter Ego: Ach, nichts.
Wie queer ist eigentlich Harry Styles, Ariana Grande, Madonna, Jennifer Lopez oder Céline Dion? Finde es raus in unser gleichnamigen Rubrik «Wie queer ist … ?»
Unterstütze LGBTIQ-Journalismus
Unsere Inhalte sind für dich gemacht, aber wir sind auf deinen Support angewiesen. Mit einem Abo erhältst du Zugang zu allen Artikeln – und hilfst uns dabei, weiterhin unabhängige Berichterstattung zu liefern. Werde jetzt Teil der MANNSCHAFT!
Das könnte dich auch interessieren
People
Alice Weidel ist «grösste Absurdität der rechtsnationalen Geschichte»
Jasna Fritzi Bauer und Partnerin im Interview. Die beiden haben ein Buch zusammen geschrieben
Von Newsdesk Staff
Lesbisch
Buch
Kultur
TV
Homofeindliches Motiv? Brutale Tötung bei «Aktenzeichen XY»
Vor fast 42 Jahren wird eine Leiche in Bochum gefunden - mit zahlreichen Gewaltspuren am nackten Körper. Der ungelöste brutale Cold Case wird nun in einer ZDF-Fahndungssendung präsentiert.
Von Newsdesk/©DPA
Deutschland
Queerfeindlichkeit
News
Film
Der Sommer bringt wieder grosses queeres Kino ins Fernsehen
Seit 2018 gibt es rbb Queer. Der BR setzt mit BR Queer seit 2022 ebenfalls einen starken Fokus auf das queere Kino. In diesem Jahr schliesst sich erstmals der MDR an. Zu sehen u.a. «Passages» mit Franz Rogowski und Ben Whishaw
Von Newsdesk Staff
Queer
TV
Schwul
Unterhaltung
Schwul
Schwule Zwillinge, getrennt zwischen Dresden und Tunesien
Badr und Dali Rtimi sind eineiige Zwillinge. Sie wachsen in Tunesien auf, arbeiten in derselben NGO, geraten beide ins Visier der Polizei. 2019 beantragt Badr politisches Asyl in Dresden. Dali bleibt zurück.
Von Newsdesk Staff
Aktivismus
Coming-out
Leben
LGBTIQ-Rechte