«Sie sehen hier eine offen queere, nicht-weisse Frau»
Immer wieder spielten die Rechte von LGBTIQ bei der Oscar-Verleihung eine Rolle
Drei Preise für die Tragikomödie «Coda», nur eine kurze Einblendung zum Ukraine-Krieg: Nach vielen eher drögen Jahren ist die Oscar-Verleihung dieses Jahr mit einiger Action über die Bühne gegangen.
Von Lisa Forster, dpa
Der Western «The Power of the Dog» von Jane Campion, der mit zwölf Nominierungen als Favorit ins Rennen gegangen war (MANNSCHAFT berichtete), gewann letztlich nur eine Auszeichnung für die beste Regie. Jessica Chastain wurde als beste Hauptdarstellerin für «The Eyes of Tammy Faye» ausgezeichnet. In ihrer Dankesrede schlug sie ernste Töne an.
«Wir sind mit Diskriminierung und einer bigotten Gesetzgebung konfrontiert, die über unser Land mit dem Ziel hinwegfegt, uns noch mehr zu spalten», sagte Chastain unter anderem in Hinblick auf die LGBTIQ-Community. «Es gibt Gewalt und Hassverbrechen, ausgeübt an unschuldigen Bürgern überall in der Welt.» In Zeiten wie diesen denke sie an Tammy und ihre radikale Liebe.
«The Eyes of Tammy Faye» ist eine Filmbiografie über die christliche TV-Predigerin Tamara Faye Messner, die in den 1970er und 1980er Jahren in den USA für Aufsehen sorgte. Wegen ihrer Toleranz und auch ihres Äusseren war sie für viele Nicht-Heterosexuelle eine Ikone.
Immer wieder spielten die Rechte von Minderheiten bei der Oscar-Verleihung eine Rolle. Etwa in der Dankesrede von Ariana DeBose, die den Oscar als beste Nebendarstellerin für ihre Rolle im Musical «West Side Story» bekam. Sie sagte zum Publikum: «Sie sehen hier eine offen queere, nicht-weisse Frau, eine Afro-Latina, die ihre Kraft und ihr Leben durch die Kunst gefunden hat.»
Und auch die drei Moderatorinnen machten zum Thema, dass die Oscars jahrzehntelang Menschen, die nicht weisse Amerikaner sind, ignorierten. In einem vorgedrehten Video tourte etwa Gastgeberin Wanda Sykes durch das Academy Museum of Motion Pictures. Unter den Exponaten, die sie sich dort ansah, war auch ein Kasten ohne Inhalt, der der Schauspielerin Hattie McDaniel gewidmet sein sollte – die erste afroamerikanische Schauspielerin, die in der Kategorie als beste Nebendarstellerin gewann. Der leere Kasten erinnere auch an alle Oscars, die von schwarzen Regisseuren gewonnen wurden, scherzte sie.
Vor allem einer dürfte mit seinem Auftritt in Erinnerung bleiben: Will Smith, der gleich zweimal auf die Bühne kam. Der Ukraine-Krieg spielte bei der Gala keine grosse Rolle – obwohl einige Stars vorab gefordert hatten, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zuzuschalten. Dass der Hauptpreis in der Nacht zu Montag an die Tragikomödie «Coda» vergeben wurde, geriet über den Ausbrüchen von Will Smith ziemlich in den Hintergrund.
Der Grund? Nachdem der Komiker Chris Rock während der Verleihung einen Witz über Smiths Frau Jada Pinkett gemacht hatte, lief Smith auf die Bühne, gab Rock eine Ohrfeige und kehrte an seinen Platz zurück. Zweimal rief er anschliessend in Rocks Richtung: «Lass den Namen meiner Frau aus Deinem verdammten Mund!» Abgesprochen oder spontan? Das blieb erstmal unklar. Rock hatte sich zuvor an Jada Pinkett Smith gewandt und gewitzelt: «G.I. Jane 2 – ich kann es nicht abwarten, das zu sehen.» – eine Anspielung auf den Film «G.I. Jane», in dem sich Demi Moore als Soldatin den Kopf rasierte. Jada Pinkett Smith hatte in der Vergangenheit offen über ihren Haarausfall gesprochen.
Als Will Smith schliesslich den Oscar als bester Hauptdarsteller für seine Rolle in «King Richard» gewann, schien er sich in seiner Dankesrede für die vorherige Situation zu rechtfertigen. «Richard Williams war ein erbitterter Verteidiger seiner Familie», sagte er. Smith spielt im Film von Reinaldo Marcus Green den Vater der legendären Tennisspielerinnen Venus und Serena Williams. Durch hartes Training und Beharrlichkeit ermöglichte er seinen talentierten Töchtern Sportkarrieren.
Liebe lässt einen verrückte Dinge machen.
Er wolle sich bei der Filmakademie und den anderen Nominierten entschuldigen, sagte der 53-jährige Smith unter Tränen. «Kunst imitiert das Leben, und ich wirke wie der verrückte Vater (…) aber Liebe lässt einen verrückte Dinge machen.» Er hoffe, dass die Filmakademie ihn wieder einlade.
Was bleibt sonst von der Nacht im Gedächtnis? Natürlich die viel gelobte Tragikomödie «Coda», die den Oscar als bester Film gewann. Regisseurin Siân Heder erzählt darin von einem Mädchen, das in einer gehörlosen Fischerfamilie aufwächst. Der Film erhielt insgesamt drei Auszeichnungen. Als kleinerer Film, der auf Apple TV+ zu sehen ist, hatte «Coda» sich zuletzt etwas überraschend zum Favoriten gemausert.
Regisseurin Heder hat alle gehörlosen Figuren mit gehörlosen Schauspieler*innen besetzt. So etwa Troy Kotsur, der den Oscar für den besten Nebendarsteller gewann. In der Tragikomödie spielt er den Vater der 17-jährigen Ruby, die als einziges Mitglied der vierköpfigen Fischerfamilie hören kann und von einer Karriere als Sängerin träumt. Kotsur ist gehörlos und hielt seine bewegende Dankesrede in Gebärdensprache.
Doch trotz politischer Untertöne blieb der aktuell grösste Konflikt nur am Rande erwähnt. Stars wie Sean Penn oder die Moderatorin Amy Schumer hatten vor der Verleihung gefordert, dass der ukrainische Präsident Selenskyj zugeschaltet werden sollte. Doch daraus wurde nichts. Das Kriegsgeschehen spielte nur am Rande, etwa bei den Accessoires einiger Stars, eine Rolle. Selbst Mila Kunis, die in der Ukraine geboren wurde und zuletzt Millionensummen für Menschen in dem Land sammelte, sprach nur etwas allgemein von «jüngsten Geschehnissen». Für einen kurzen Schweigemoment wurde eine Solidaritätsbekundung mit der Ukraine eingeblendet. Es sei Realität, dass Millionen Familien in der Ukraine Essen, Medizin, sauberes Wasser und Notfallversorgung bräuchten. «Und wir – gemeinsam als globale Gemeinschaft – können mehr tun.»
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