«Shwule Grüsse vom Balkan» (22) – Augen wie Austern
Ohne Gehirn kein Schmerz
In unserer MANNSCHAFT+-Kolumne «Shwule Grüsse vom Balkan» lüftet Jascha sein Geheimnis und zeigt danach sein wahres Gesicht.
«Ich hoffe, Jascha und du vertragt euch wieder», verabschiedet sich der Fussball-Nachwuchsstar Alen von seinem Bruder Aleks an einem Bahnhofsimbiss in Zürich. Zuvor haben beide den Checkpoint aufgesucht, um Alens HIV-Infektion überprüfen zu lassen. Jascha – Aleks’ Freund und Liebhaber, aber auch Boulevardjournalist – hat sie dabei beobachtet und kurz darauf Aleks angerufen: Er wittert die nächste Enthüllungsstory, gibt aber vor, ihren Streit wegen Jaschas Geheimnistuerei beizulegen.
Dazu bestellt er Aleks in die Brasserie Lipp an der Uraniastrasse, wo er vor Jahren erstmals in seinem Leben Austern probiert hat. Der Genuss hielt sich in Grenzen: Die zuerst im Zitronensaft zuckende und danach im Gaumen schlabbrig anmutende Masse hat Aleks’ Gaumensegel mehr erschüttert denn entzückt. Jascha hingegen scheinen die Muscheln zu munden: «Sind die nicht lecker?», schlürft er in Aleks’ Richtung. «Ich dachte, du seist Veganer», giftet ihn Aleks an. «Genau genommen haben Austern kein Gehirn. Wo kein Gehirn, da auch kein Schmerz.»
‹Das muss wohl meine Mutter mit Slowenen und Klugscheisserei gemeint haben›, denkt sich Aleks grätig und kommt gleich zum Punkt: «Du hast mich wohl nicht zum Sezieren von Austern aufgeboten.» Jascha greift zur edlen Stoffserviette und verwischt dabei die Spuren des Austernmassakers in seinen Mundwinkeln: «Genau. Ich will ehrlich zu dir sein: Ich bin kein Food-Blogger, sondern ein Journalist bei einem Boulevardmagazin.»
«Das war also dein Geheimnis», spielt Aleks den Überraschten. «Nun ja», kratzt sich Jascha am Nacken, «ich wollte unsere Beziehung nicht aufs Spiel setzen, bloss weil ich ein Boulevardjournalist bin und dein Bruder bald ein Fussballstar. Ich hatte Angst, dass du mit mir Schluss machst, weil du irgendwelche Hintergedanken befürchtest.» Aleks’ Kopf fühlt sich an, als hätte er seine Grosshirnrinde gegen Vodka-getränkte Marshmallows getauscht: Einerseits ahnt er, dass Jascha was im Schilde führt. Andererseits ist dieser gerade völlig ehrlich zu ihm. Soll er ihn abservieren oder ihm noch eine Chance geben?
Jascha merkt, wie er Aleks an der Angel hat: «Wie wäre es mit einer Homestory zu eurer Familie? Wir zeigen, wie ihr lebt, wie Alen die ersten Schritte Richtung Profifussball gemacht hat und du ihn dabei als liebender Bruder unterstützt.» «Das klingt schön und gut», beginnt Aleks, «bloss wissen einige, dass ich shwul bin. Das könnte ein schlechtes Licht auf Alen werfen.»
Der baldige Fussballstar hat einen shwulen Bruder, zu dem er voll und ganz steht.
Jascha beruhigt ihn: «Im Gegenteil: Alen, der baldige Fussballstar hat einen shwulen Bruder, zu dem er voll und ganz steht. Weisst du, wie das auf die Fans und die queere Community wirkt?» Jaschas Idee leuchtet Aleks ein. Dennoch vermutet er einen Haken dahinter: «Und was willst du ihn so fragen?» «Wie hast du’s mit den Austern?», neckt ihn Jascha. «Aber es eilt noch nicht. Ich muss die nächsten Tage nach Moskau – wegen der Story ‹Wie angle ich mir einen Millionär›. Vorher wollte mich mit dir aussöhnen.» Er fällt Aleks um den Hals, der sich endgültig breitschlagen lässt.
Einen Monat später kommt es zur Homestory in der Wohnung von Aleks’ Eltern. Mutter Bogdana hat inzwischen alles auf Hochglanz poliert und ihre selbst gehäkelten Deckchen drapiert. Wo überall möglich. Auch dort, wo es unmöglich ist. Am Familientisch stellt Jascha die üblichen Fragen zur Herkunft der Familie sowie zu Alens Weg zum Fussballprofi. Nun die klassische Frage zur Freundin: «Ich bin derzeit Single», antwortet Alen.
«Ah, ja? Jekaterina hat mir was anderes erzählt», wirft Jascha stumpf in den Raum. Alens Augen wandeln sich zu Fragezeichen. «Jekaterina aus Moskau», bohrt Jascha nach. «Ich kenne Jekaterina nicht», versucht sich Alen zu retten. «Sie ist doch die Stripperin, die dir nach dem Trainingscamp einen Lapdance mit Zugabe beschert hat», engt ihn Jascha ein.
Während Mutter Bogdana und Vater Cvetko ihre Augen zu Austern ausformen, greift Aleks ein: «Was hat das mit der Homestory zu tun?» «Jekaterina war mit Alen intim. Nun ist sie HIV-positiv. Das wirft Fragen auf», kontert Jascha kühl. Die grosse Uhr in der Wohnwand klackt und klackt, übertönt die rasenden Rhythmen der Mihailović-Herzen. «Schon gut, schon gut … Ich bin HIV-positiv und habe mich bei Jekaterina angesteckt», beendet Alen das Interview und geht.
Nun ist es raus: Fussball-Nachwuchsstar Alen Mihailović ist HIV-positiv und hat sich bei einer Moskauer Stripperin angesteckt. Überdies ist sein Bruder Aleks auch noch shwul. Es wird Zeit, in die Medien zu gehen.
*Wir schreiben in dieser Kolumne «shwul» statt «schwul», um den Balkan-Slang wiederzugeben. Weitere Hintergründe zur Kolumne «Shwule Grüsse aus dem Balkan» erfährst du im Interview mit dem Autor Predag Jurisic.
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