«Shwule Grüsse vom Balkan» (23) – Kicker im Kreuzfeuer

Die Pressekonferenz mit besonderem Dreher im Kreuzfeuer

Neues aus unserer Kolumne «Shwule Grüsse vom Balkan»: Die Brüder Mihailović stellen sich den Fragen der Journalist*innen, da betritt ein ungebetener Gast den Raum.

Was bisher geschah …

«Im Puff infiziert: Nachwuchskicker Alen Mihailović ist HIV-positiv.» Das ist sie nun: Die Schlagzeile, die an jedem Schweizer Kiosk prangt. Die Aleks’ Ex-Freund Jascha zu verantworten hat. Und für die sich nun Alen den Medien an einer ausserordentlichen Pressekonferenz stellen muss.

Der Konferenzraum ist bis auf den letzten Platz gefüllt: Die Fotoapparate klicken, die Videokameras surren, die Medienleute setzen Geräusper und Getuschel im Wechsel ab. Mittendrin sitzt Alen, umgeben vom Nati-Trainer, Verbandspräsidenten und Kommunikationschef. Und von Aleks: Er ist nun Alens persönlicher Presseberater.

Das Gemurmel weicht dem Geklicke, als lieferten sich die Kameras ein Wettrennen. Der Grund dafür ist der Kommunikationschef, der sich zum Rednerpult hinbewegt und mit dem obligaten Antippen des Mikrofons die Pressekonferenz eröffnet. Oder vielmehr «erkrächzt», als er ins Mikrofon schnauft, indem er in eidgenössischer Nationalratsmanier die Ch- und K-Laute zu feinstem Schweizer Kehlenstaub verreibt: «Ich heisse Sie herzlich willkommen, sehr verehrte Damen und Herren, zu dieser ausserordentlichen Pressekonferenz bezüglich der aktuellen Nachrichtenlage rund um unseren Nachwuchsprofi, Herrn Mihailović.»

Ungeschützter Sex in einem Moskauer Tabledance-Club, den ich mit meinen Teamkollegen besucht habe.

Während sich die Lautsprechmembranen im Raum von den Reibelauten erholen, wandert eine Mikrofonstange durch die Menge: «Wie genau ist die HIV-Infektion erfolgt?», fragt ein Journalist, dessen Frage bei Aleks akutes Augenrollen auslöst. Alen bleibt dagegen professionell: «Bei ungeschütztem Sex in einem Moskauer Tabledance-Club, den ich mit meinen Teamkollegen besucht habe.»

Die Mikrofonstange setzt ihr Hüpfen über weitere Köpfe hinweg: «Wie war Ihre Reaktion in dem Moment, als sie von Ihrer HIV-Infektion erfuhren?», will eine andere Journalistin wissen. «Zunächst war das für mich ein Schock. Doch dank der Hilfe meines Bruders und des Checkpoints Zürich geht es mir gut», lächelt Alen entspannt zum Publikum.

Nun rollen Aleks’ Augen wieder – die Mikrofonstange wippt zurück zum ersten Journalisten: «Dann hatten Sie gleich zwei Krisen in kurzer Zeit zu überstehen – einmal das Coming-out Ihres Bruders, einmal die HIV-Infektion. Beides nicht leicht in Anbetracht Ihres kulturellen Hintergrunds. Wie gehen Sie damit um?»

Aleks kocht inwendig. Am liebsten würde er dem Chauvi gerne die Flora und Fauna des Zürichsees in Begleitung von Betonblöcken näherbringen. Alen hingegen bleibt auch bei dieser Frage erstaunlich gelassen und kontert: «Das Coming-out meines Bruders ist eine Bereicherung und keine Belastung: Ich liebe ihn so, wie er ist. Wer ein Problem damit hat, sollte sich vielleicht selbst Hilfe suchen: Hier in Zürich gibt es gute Beratungsstellen für homophobe oder rassistisch veranlagte Personen.»

Das hat gesessen – ganz zur Freude von Aleks, der sich innerlich die Hände reibt wie Mr. Burns aus den Simpsons. «Und ja, meine HIV-Infektion musste ich zuerst mental verkraften. Mit der hervorragenden ärztlichen Begleitung gehört sie nun zu meinem Alltag und ist ein Teil von mir. Sie schränkt mich aber nicht ein», schliesst Alen.

«Dann hat die Krankheit keinen Einfluss auf Ihre Karriere?» Das Mikrofon hat nun eine weitere Journalistin erreicht. «Nein. Derzeit kann ich so weitermachen wie vorher. Natürlich lasse ich mich regelmässig durchchecken, aber ich spüre keinen Nachteil – weder in meinem Wohlbefinden noch in meiner Leistung als Fussballer.»

Plötzlich rumort es in der Menge. Jascha betritt den Raum, ohne sich für sein Zuspätkommen zu entschuldigen. Dafür verlangt er sogleich nach dem Mikrofon, was Aleks’ Stirn erbsengrosse Schweisstropfen entbinden lässt: «Als Sie am besagten Abend mit Ihren Teamkollegen in diesem Moskauer Nachtlokal feierten: Hatten Sie gemeinsam Drogen konsumiert?»

Die Gesichtsfarbe von Alen und Aleks wechselt von hautfarben auf tomatenrot. Aleks ärgert sich darüber, dass ihm Alen das verschwiegen hat. Dann hätte er ihn auf solche Fragen vorbereiten können. «Stimmt das?», hakt Jascha nach, um die Aufmerksamkeit der Menge erneut auf sich zu ziehen. Alen nickt schuldvoll. «Nicht gerade vorbildlich für einen werdenden Vater», beendet Jascha seine Befragung.

Im ganzen Konferenzraum drehen sich die Köpfe von links nach rechts und umgekehrt. Alle schauen sich fragend in die Augen: «Hast du davon gewusst?» Das Geklicke und Surren der Kameras übertönt die fassungslose Stille, bis sie Jascha durchbricht: «Jekaterina ist schwanger.»

*Wir schreiben in dieser Kolumne «shwul» statt «schwul», um den Balkan-­Slang wiederzugeben. Weitere Hintergründe zur Kolumne «Shwule Grüsse aus dem Balkan» erfährst du im Interview mit dem Autor Predag Jurisic

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