«Shwule Grüsse vom Balkan» (36) – Indem ich ihn oute
Jascha will die Machenschaften von De la Verga aufdecken
Nach seinen Erlebnissen rund um die WM-Kandidatur von China ist Jascha in Zürich gelandet. Und trifft auf Aleks.
«Hey Aleks, magst du dich in einer halben Stunde im Kweer, der neuen queeren Bar im historischen Barfüsser, treffen?» Jascha möchte mit Aleksandar, seinem Ex, über Gustavos Enthüllungen sprechen, die er ihm neulich in der Spaghetti Factory offenbart hat. «Ja, klar. Ich habe übrigens auch Neuigkeiten», kichert Aleks zurück. «Was ist los mit dir? Du klingst wie ein Teenie-Fan, das soeben sein Idol live getroffen hätte …», fragt Jascha in seiner kühlen Art zurück. «Wie gesagt: Davon berichte ich dir gerne später», antwortet Aleks immer noch aufgekratzt und hängt auf.
Jascha denkt sich nichts weiter dabei und steuert das Kweer an. Dort bestellt er sich eines der heimischen Craft-Biere, während er auf Aleks wartet und seine News-Apps checkt. «Rate mal, wer frisch verliebt ist?» Jascha blickt von seinem Smartphone hoch und sieht Aleks vor sich strahlen wie ein Honigkuchenpferd auf Speed: «Erzähl: Wer ist der Glückspilz?» «Er heisst Sam, ist halb Schweizer, halb Brite. Er stammt aus Brighton, studiert Umweltwissenschaften und strickt gerne», beschreibt Aleks seinen neuen Freund. Jascha schmunzelt und geniesst es, dass Aleks mit ihm diesen Moment voller Glück teilt: «Ich freue mich für dich und wünsche euch beiden jedes Glück der Erde!»
Aleks setzt sich mit seinen glühenden Wangen hin und nickt Jascha dankend zu: «Ja, er ist wirklich ein Volltreffer!» «Wo und wie habt ihr euch kennengelernt?», fragt Jascha nach. «Geschrieben haben wir uns über Grindr und Romeo, dann wollte ich ihn treffen. Also gingen wir gemeinsam essen und lernten uns dort näher kennen. Und von da an hat es einfach gefunkt.» Jascha lächelt und denkt dabei an Gustavo: ‹Geht mir genauso mit Gustavo …›
«Du wolltest mich sehen und hast von Neuigkeiten gesprochen», unterbricht Aleks Jaschas Gedanken an Gustavo. Jascha sammelt sich wieder und wird ernst: «Ja, genau. Es geht um meinen «neuen Job» und was ich bisher darüber erfahren habe.» «Erzähl mir mehr darüber!», drängelt Aleks. «Mach dich auf einiges gefasst, was ich dir gleich erzählen werde …», beginnt Jascha. Währenddessen verliert Aleks seine roten Wangen und tauscht seine euphorische Mimik gegen eine ernsthafte: «Nun sag schon!»
Jascha rappelt sich auf und sprudelt ohne Punkt und Komma drauf los: «Zuerst mal: Dein Bruder Alen ist bi. Er hat sich seine HIV-Infektion nicht bei der russischen Stripperin in Moskau geholt, sondern bei einem Brasilianer namens Gustavo. Ihn hat er über den Fussball kennengelernt. Gustavo wiederum ist ein Jugendarbeiter in Brasilien. Er hatte damals während seiner frischen HIV-Infektion ein Koks-Problem, feierte nächtelang durch und traf während einer Sexparty auf Alen während der WM 2014 in Brasilien. Parallel datete Gustavo auch De la Verga, den CEO von Alpminera vom zwielichtigen Rohstoffkonzern mit Sitz in der Schweiz. De la Verga ist verheiratet mit einer Frau und hat zwei Kinder.
Gleichzeitig steht er unter Verdacht, mit seinem Konzern beim Massenmord durch Warlords im Kongo weggeschaut zu haben, obwohl sein Konzern dort seltene Erden abbaut. Nun will De la Verga die Schweizer Nationalmannschaft sponsern, um die eigene Konkurrenz auszuschalten. Um dies zu erreichen, will er die WM-Kandidatur von China voranbringen, weil er dadurch noch mehr Macht und Einfluss gewinnt. Und Alen, Gustavo und ich sind dabei seine Handlanger, weil wir unsere weisse Weste beschmutzt haben und er uns dadurch erpressen kann: mich wegen der gefakten News als Journalist, Gustavo wegen seines Kokain-Problems und Alen wegen seiner Bisexualität und seiner HIV-Ansteckung über einen Männerkontakt. Gustavo will sich nun wehren und mich als Journalisten dafür einsetzen, um den Skandal ans Licht zu bringen.»
Aleks’ Schlürfen an seinem Frucht-Cocktail endet abrupt, als er alles hört: «Jebote sveti Anto!», entweicht es Aleks. Sinngemäss übersetzt sollen Aleks bzw. Jascha in diesem Moment vom heiligen Antonius mit Geschlechtsverkehr ‹gesegnet werden› werden, milde ausgedrückt. Und wörtlich: «Gefickt seist du vom heiligen Antonius!»
‹Heiliger Scheisshaufen, was habe ich da bloss von mir gegeben›, denkt sich Aleks und errötet.
Antonius ist ein Heiliger für oder — je nach Auslegung — gegen Unfruchtbarkeit, Fieber, Pest, Viehkrankheiten oder auch Schiffbruch und Kriegsnöte. Ein Heiliger für alle Fälle sozusagen, der in einer Krisensituation einen übergriffigen Geschlechtsverkehr als Lösung aller Probleme vollzieht. Zumindest so sehen es die Gläubigen, wenn sie ihn in Krisen herbeirufen. So auch Aleks, dem beim Ausspruch ganz schwindlig wird.
Jascha hält weder von Religion noch von Heiligen viel und fährt fort: «Wir müssen an die Öffentlichkeit und all diese Machenschaften von De la Verga aufdecken!» Aleks erholt sich vom Gedanken mit dem heiligen Antonius und fragt Jascha: «Und wie willst du dies anstellen?» «Indem ich ihn oute: Das ist seine Achilles-Ferse. Niemand weiss von seiner Bisexualität, nur Gustavo und ich. Weil sich dies einfach nachweisen lässt, gewinnen wir einen Vertrauensvorsprung, um dann von seinen Machenschaften im Kongo und mit der WM zu berichten.»
«Klingt clever. Wann, wo und wie willst du die Medien informieren?», hakt Aleks nach. «Du bist mein Pressesprecher, der sämtliche Kommunikation übernimmt — sozusagen ein Glaubwürdigkeits-Proof durch einen ehemaligen Kontrahenten. Ich plane jedoch keine klassische Medienkonferenz, sondern setze dafür die Kommunikationskanäle von Alpminera ein, die live sind», erläutert Jascha Aleks, einem Medien- und Marketingexperten, sein Vorgehen: «Das klingt super: So erreichst du Millionen von Menschen weltweit, ohne dass De la Verga eine Reaktion zeigen kann. Aber wie komme ich dabei ins Spiel?»
«Du kriegst den Zugang zu allen Kommunikationskanälen und trittst als mein Mediensprecher auf, auch gegenüber sämtlichen Medien, denen du die Story im selben Moment übermittelst. Dieser Gleichzeitigkeit kann sich De la Verga nicht entziehen: Er ist schachmatt.» «Und wann soll ich damit starten?», fragt Aleks nach, während ihm Jascha entspannt zulächelt: «Jetzt!»
Zürich, pass bitte gut auf deine neue queere Bar auf! Unser Autor aus Berlin hat die neue «Kweer»-Bar in Zürich besucht und erklärt in seinem Kommentar, warum er so begeistert und sogar ein wenig neidisch ist.
*Wir schreiben in dieser Kolumne «shwul» statt «schwul», um den Balkan-Slang wiederzugeben. Weitere Hintergründe zur Kolumne «Shwule Grüsse aus dem Balkan» erfährst du im Interview mit dem Autor Predag Jurisic.
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