Schwule Geisterkomödie aus Taiwan: «Marry My Dead Body»
Bei Netflix ist der schräge Ehe-für-alle-Film von Wei-hao Cheng jetzt verfügbar
Auf Netflix steht seit neuestem eine schwule Geisterkomödie mit dem englischen Titel «Marry My Dead Body» (dt. «Heirate meinen toten Körper») als Stream bereit. Sie stammt aus Taiwan und behandelt auf grotesk-komische Weise das Thema Eheöffnung im Land – als Plädoyer dafür, die neuen Realitäten zu akzeptieren.
Wir erinnern uns: 2019 öffnete Taiwan als erstes asiatisches Land die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Bevor das Parlament damals den entsprechenden Gesetzesentwurf verabschiedete, erklärte Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen auf Twitter: «Wir haben heute die Möglichkeit, Geschichte zu schreiben und der Welt zu zeigen, dass progressive Werte in einer ostasiatischen Gesellschaft Wurzeln schlagen können» (MANNSCHAFT berichtete).
Doch wie sieht nun – vier Jahre später – die Realität in Taiwan aus, wo viele ältere homosexuelle Menschen ihre sexuelle Orientierung nach wie vor verheimlichen vor Familien und Kollegen und wo die erwähnten «progressiven Werte» noch immer bei breiten Teilen der Bevölkerung auf Ablehnung stossen? Diese Situation analysiert Regisseur Wei-hao Cheng in seinem Film, indem er die verschiedenen Positionen gnadenlos überzeichnet und in Screwball-Comedy-Manier aufeinanderprallen lässt, wobei er nicht nur unvereinbar scheinende Positionen auf einen Crash-Kurs schickt, sondern auch Genres mischt, die kaum zueinander zu passen scheinen.
Ungewöhnliche Buddy-Romance Es geht um Geistererscheinungen, wie im Horrorfilm, es geht um Drogenkriminalität und Polizeiermittler, wie in einem Krimi bzw. Thriller, es geht um unerwartete Gefühle zwischen Homos und Heteros, wie in einer Buddy-Romance, es geht um Familie und Coming-out, wie im Queer Cinema. Und all das gleichzeitig, von Anfang bis Ende, egal ob’s passt oder arg knirscht. Wodurch eine ziemlich einzigartige Mischung entsteht.
Worum geht’s überhaupt? Im Zentrum der Geschichte steht der junge ultracoole Polizist Wu Ming-han (Greg Hsu), der sich als eine Art Rambo sieht und einem sehr toxischen Männlichkeitsideal nacheifert. Zu dem gehört, dass er mit Homosexuellen nichts zu tun haben will und diese wiederholt bei Einsätzen lächerlich macht. (Sehr zum Ärger seines homosexuellen Kollegen Chubby, gespielt von Yen-Tso Chen.) Ming-han geht bei Einsätzen rücksichtlos und mit übertriebener Härte vor, bekommt dadurch aber schnell Ärger mit seinem liberalen Vorgesetzen, der in ermahnt, dass man so nicht mit Menschen allgemein und mit Homosexuellen im Besonderen umgehen darf.
Konsequenz? Ming-han wird strafversetzt. Statt Drogenbosse zu jagen, muss er jetzt Putzen gehen und Strafzettel für Falschparker verteilen. Wodurch er auch der von ihm bewunderten (und begehrten) Kollegin Lin Tzu-Ching (Gingle Wang) nicht mehr nahe sein kann. Kurz: Katastrophe rundum.
Heirat und Reinkarnation Ming-han glaubt, das Schicksal wolle ihn strafen. Als er wenig später auf der Strasse einen roten Umschlag entdeckt und aufhebt, wird er darin aufgefordert, den bei einem Unfall gestorbenen LGBTIQ*-Aktivisten Mao Mao (Austin Lin) zu heiraten. Maos Grossmutter (Wang Man-Chiao) versichert Ming-han, auf diese Weise könne er sein Schicksal wieder zum Positiven wenden. Sie sagt auch, dass sie ihrem Enkel nach der Eheöffnung versprochen hatte, für ihn einen passenden Mann zu finden. Und das will sie nun, unter allen Umständen und sogar über den Tod hinaus, erfüllen. Damit er in Frieden ruhen und glücklich reinkarniert werden kann.
Mehr als widerwillig lässt sich Ming-han auf die Ehe ein. Die älteren Freundinnen der Grossmutter bereiten eine traditionelle Hochzeitszeremonie in einem Tempel vor, an der sich Maos Vater (Tsai Chen-nan) weigert teilzunehmen, weil er das für «unnatürlich» und Perversion von «Tradition» erklärt. Worauf ihn seine eigene Mutter als «homophob» und «ewig gestrig» beschimpft.
In der Hochzeitsnacht erscheint Ming-han dann Maos Geist und fängt an, mit ihm zu kommunizieren. Als der Polizist den aufdringlichen Geist nicht loswerden kann, fängt er langsam an, sich auf ihn einzulassen. Und verspricht schliesslich, Mao zu helfen, die Person zu finden, die für seinen Unfalltod verantwortlich war. Dabei entsteht eine sehr berührende Beziehung, bei der Ming-han nach und nach Mao zu verstehen beginnt: seinen Einsatz für Klimaschutz, seinen politischen Protest für LGBTIQ-Rechte, seinen Wunsch, einen Mann zu heiraten, der ihn dann aber (aus anfangs ungeklärten Gründen) kurz vor der Hochzeit abblitzen liess.
«Durchgeknallter Flickenteppich» Während also die Bromance zwischen Ming-han und Mao sich intensiviert, intensiviert sich zeitgleich die Krimihandlung rund um die Drogenkartelle (inklusive rasante Verfolgungsjagden durch Taipeh) und auch die Beziehung von Ming-han zu Maos Vater.
Ein Serien-Nachrichtenportal nennt den Film einen «durchgeknallten Flickenteppich», der mit 130 Minuten Länge die Geduld von Zuschauenden «arg strapaziert». Ein anderes Nachrichtenportal nennt speziell das Ende «kitschig» und meint, der Film bleibe «ein bisschen unter seinen Möglichkeiten». Im Kontext von anderen LGBTIQ-Filmen ist «Marry My Dead Body» auf alle Fälle «originell» und damit durchaus sehenswert, zumindest nach Meinung dieses Rezensenten.
Die Komödie ging im November 2022 als Abschlussfilm beim Golden Horse International Film Festival in Taipeh in Premiere. Im Februar 2023 kam der Film dann regulär in Taiwan ins Kino. Im Juli dieses Jahres lief er in New York beim Asian Film Festival in der Sektion «Taiwan Transcendent». Und nun ist er bei Netflix einem grossen internationalen Publikum zugänglich. Und zwar in der originalen Mandarin-Fassung sowie alternativ in englischer Synchronisation (die fast so wild und schräg ist, wie der Film selbst). Es gibt Untertitel in so gut wie allen Sprachen, natürlich Deutsch, aber auch Russisch, Türkisch, Arabisch, Polnisch usw. Was vermutlich den Regierungen in etlichen Ländern nicht passen wird.
«Schamgrenzen durchbrechen» In der Hauptrolle kann man den in Asien bekannten Serienstar Greg Hsu als tough cop sehen. Er wurde 2020 in die Forbes-Liste «China Celebrity 100» aufgenommen und hat auch ein Pop-Album herausgebracht, wofür er bei den Golden Melody Awards als «Best New Artist» nominiert wurde. Hsu sagte, er musste im Film viele «Schamgrenzen» durchbrechen, u.a. weil er in einer Szene nackt an einem Seil durch die Luft fliegen muss und etliche intensive (Bett-)Szenen mit seinem Kollegen Austin Lin als Mao Mao hat. Hsu sagte in einem Interview, er habe seine eigenen Grenzen infrage stellen wollen.
In einem Interview fürs Buch «Breaking Free: Die wunderbare Welt des LGBTQ-Musicals» erklärte der aus den Philippinen stammende Schauspieler Lyon Roque kürzlich, dass es für asiatische Frauen einfacher sei, Rollen in westlichen Musicals oder Spielfilmen zu bekommen als für asiatische Männer. Denn: «Wir werden von vielen nicht als Sexobjekte gesehen.» Roque meinte, Besetzungschefs könnten sich oft asiatische Männer nicht als Hauptrollen für Liebesstücke vorstellen. In dieser Hinsicht erinnert Greg Hsu internationale Zuschauer*innen daran, dass asiatische Männer solche Rollen genauso perfekt ausfüllen können (natürlich), wie Ryan Gosling den Ken in «Barbie» spielen kann oder Chris Hemsworth die Titelrolle in «Tyler Rake».
Gendernormen auf den Kopf stellen Was «Marry My Dead Body» auf wundersame Weise schafft, ist die beiden Seiten der taiwanesischen Gesellschaft humorvoll einzufangen und seine gesellschaftspolitische Botschaft gekonnt zu verpacken, so dass sie eher nebenbei vermittelt wird. Dazu gehört auch das überraschende Ende mit Maos Vater, der schlussendlich seine vermeintliche Homophobie diskutiert und erklärt. Und klar macht, dass er als Vater die Aufgabe habe, seinen Sohn bedingungslos zu unterstützen, egal ob hetero oder nicht. Dazu gehört dann auch das Akzeptieren eines Schwiegersohns, der den Geist seines Kindes geheiratet hat … so «queer» das auch scheinen mag.
Dass im Film zusätzlich Gendernormen und Erwartungshaltungen bezüglich der Rolle von Frauen in der taiwanesischen Gesellschaft dekonstruiert und auf den Kopf gestellt werden, ist ein weiterer Pluspunkt. Was Gingle Wang als Polizeiagentin Lin Tzu-ching brillant und mit der nötigen ironischen Brechung spielt.
Im Filmsoundtrack hört man übrigens Musik von Jolin Tasai, von der auch die Titelsong stammt. Der Regisseur von «Marry My Dead Body» sagte, die verwendeten Lieder seien eine gute Repräsentation der LGBTIQ-Szene in Taiwan.
Der Dokumentarfilm «Taiwan Equals Love» zeigt, wie in Taiwan die Eheöffnung die Gesellschaft verändert hat und für wen sie nicht gilt (MANNSCHAFT berichtgete).
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