Andrew Scott: «Ich sehe Ripley gar nicht als Bösewicht»

Ein Blick hinter die Kulissen der neuen Patricia-Highsmith-Adaption bei Netflix

Andrew Scott als Adam in einer Szene des Films «All Of Us Strangers» (Bild: Chris Harris/ Disney)
Andrew Scott als Adam in einer Szene des Films «All Of Us Strangers» (Bild: Chris Harris/ Disney)

Gerade erst begeisterte er auf der Kinoleinwand in «All of Us Strangers», nun spielt Andrew Scott (47) die Titelrolle in der neuen, achtteiligen Patricia Highsmith-Adaption «Ripley» (MANNSCHAFT berichtete).

Wir hatten die Gelegenheit, an einer virtuellen Pressekonferenz mit dem offen schwulen Iren (den man auch aus «Sherlock», «Fleabag» oder Filmen wie «Pride» und «1917» kennt) teilzunehmen und ein paar Fragen zu stellen.

Mr. Scott, vor 25 Jahren kam die letzte Verfilmung von Highsmiths Roman «Der talentierte Mr. Ripley» in die Kinos, mit Matt Damon in der Hauptrolle. Wie schwierig war es, diesen Film in der Arbeit an «Ripley» auszublenden? Ich gehöre zu den vielen Menschen, die ein grosser Fan dieser Adaption von Anthony Minghella sind. Und von all den fantastischen Schauspieler*innen, die daran beteiligt waren. Deswegen verstehe ich, wenn sich angesichts der Serie jetzt der eine oder die andere fragt, ob sie lediglich ein Remake des Films ist.

Oder warum man überhaupt diese Geschichte noch einmal erzählen muss. Aber unser Regisseur und Drehbuchautor Steven Zaillian hatte eine sehr konkrete, ganz eigene Vision, die lediglich von seiner Lektüre des Romans herrührte und nichts mit den zahlreichen Verfilmungen zu tun hat, die es von Highsmiths Arbeit bereits gab.

Wie würden Sie denn diese Vision zusammenfassen? Er wollte die Geschichte zum Beispiel unbedingt in einem längeren Format erzählen, nicht als Film. Ihm ging es darum, das Gefühl des Lesens eines Romans einzufangen – und die Lektüre eines solchen Werks dauert eben nicht bloss zwei Stunden. Man verbringt wirklich Zeit mit diesen Figuren, das war ihm wichtig. Und Steven wusste zum Beispiel auch von Anfang an, dass er die Serie in Schwarzweiss drehen wollte.

Was reizte Sie an der Rolle? Mal wieder den Bösewicht zu spielen? Ich sehe ihn gar nicht als Bösewicht. Mit dieser Bezeichnung macht man es sich zu einfach. Aber natürlich ist er ein Anti-Held – und das Spannende an Highsmiths Geschichten und nun auch diesen Drehbüchern ist, dass wir mit jemandem mitfiebern, der das eigentlich nicht verdient hat. Die meiste Zeit über hoffen wir ja, dass er trotz seiner fürchterlichen Taten davonkommt. Das fand ich besonders reizvoll an der Figur, weniger die Frage, ob er nun Soziopath, Psychopath, Serienkiller oder sonst etwas ist.

Aber war es für Sie zum Spielen der Rolle nicht wichtig zu wissen, wie er tickt und wo die Ursachen dafür liegen? Nein, ich habe versucht, eben gerade keine genaue Diagnose für seine Psyche und sein Verhalten zu finden. Wenn wir da zu spezifisch geworden wären, hätte das die Sache eher uninteressanter gemacht. Denn dass Ripley als Figur so spannend und unheimlich ist, liegt gerade daran, dass wir so wenig Konkretes über ihn wissen und jede seiner eigenen Aussagen Lügen sein könnten.

Wo kommt er wirklich her? Was ist seine sexuelle Identität? Wie viel Wahrheit steckt in seiner Biografie?

Wo kommt er wirklich her? Was ist seine sexuelle Identität? Wie viel Wahrheit steckt in seiner Biografie? Das sind letztlich ziemlich naive Fragen, und ich liebe es, dass die Serie darauf keine echten Antworten liefert. Dass er ein solches Mysterium bleibt, ist die grosse Stärke dieser Geschichte. Auch weil es uns letztlich auf uns selbst zurückwirft.

Wie meinen Sie das? Dadurch dass wir uns als Publikum nicht in den Schuhen von Ripleys Opfern befinden, sondern viel mehr seine Perspektive einnehmen, werden wir damit konfrontiert, dass wir uns womöglich selbst alle in gewisser Weise immer ein Rätsel bleiben werden. Und alle eine gewisse Düsternis in uns tragen.

Denn auch Ripley ist vermutlich nicht von Natur aus ein Mörder. Aber er ist jemand, der sehr fehlbar ist und viele falsche Entscheidungen trifft. Daran konnte ich als Schauspieler anknüpfen, denn ich glaube, in uns allen steckt das Potential, ein kleiner Tom Ripley zu werden.

Es fiel Ihnen also nicht schwer, sich für die Rolle in diese psychologischen und emotionalen Abgründe hinab zu begeben? Ich bin kein Method Actor, der mit seiner Figur komplett verschmelzen und sich wochenlang im gleichen emotionalen Zustand wie sie befinden muss. Ausserdem ist es ja so, dass das Morden in dieser Geschichte nur einen sehr geringen Teil der gesamten Serie ausmacht. Ich habe also auch grosse Zeiträume damit verbracht, gar nicht an Ripleys Taten denken zu müssen.

Was mir im Fall von «Ripley» wirklich manchmal schwer fiel – und was neu für mich war – war die Tatsache, dass sich eigentlich die komplette Geschichte nur um meine Figur dreht und ich in 95% aller Szenen zu sehen bin. Wir haben fast ein ganzes Jahr gedreht, ohne grosse Pausen, und weil Ripley ein Einzelgänger und gerne alleine ist, umwehte mich schon manchmal eine gewisse Einsamkeit. Das war die eigentliche Herausforderung für mich. Aber natürlich auch ein grosses Privileg.

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