Sara Cunningham ist da für queere Söhne und Töchter
Sara Cunningham aus Oklahoma hat die Gruppe «Free Mom Hugs» gegründet und mit einem Social-Media-Appell für Wirbel gesorgt
Was tun, wenn die eigenen Eltern sich weigern, zur Hochzeit ihres Kindes zu kommen – weil sie gleichgeschlechtliche Partnerschaften aus religiösen Gründen ablehnen? Natürlich schmerzt eine solche Absage. Es schmerzt, wenn Menschen an ihrem Hochzeitstag durch die gezielte Abwesenheit von Menschen, die ihnen wichtig sind, daran erinnert werden, dass sie (und ihr Leben) nicht akzeptiert werden. Es schlägt tiefe Wunden und ruiniert die ganze Hochzeitsfeier, die doch ein «Fest der Liebe» sein sollte.
Um dagegen vorzugehen, hat sich die Amerikanerin Sara Cunningham aus dem US-Staat Oklahoma etwas Besonderes ausgedacht: Sie erklärte in einem Facebook-Post, dass sie als «Ersatzmutter» bei gleichgeschlechtlichen Eheschliessungen zur Verfügung stünde, falls die «biologische Mutter» es nicht täte. «Anruf genügt», meinte sie. Und schob hinterher, dass sie sogar den Sekt mitbringen würde.
Die 55-jährige Frau aus Oklahoma City stammt aus einer eher konservativen Gegend der Vereinigten Staaten, wo Donald Trump bei der letzten Wahl mit 68 Prozent der Stimmen gegen Hillary Clinton gewonnen hatte. Und Cunningham hat in diesem republikanischen Staat auch ihre eigenen Erfahrungen mit «Gottesfürchtigen» gemacht, die meinen, vernichtende Glaubensurteile über andere fällen zu dürfen.
Sie war selbst einst eine von diesen Hardlinern, als sich ihr Sohn vor Jahren outete. Sie weiss, in welch tiefe Konflikte Homosexualität gerade tiefgläubige schwul-lesbische Christen stürzen kann, und das gilt auch für deren Mütter: «Niemand hat mehr nach Gott gesucht, nach dem Wort Gottes oder nach sich selbst als Gay Christians oder deren Mütter» lautet Cunninghams offizielles Social-Media-Motto.
Wir wollen die Werte der LGBTQ+ Community nicht nur unterstützen, sondern zelebrieren
Als Standesbeamtin in Oklahoma City hat sie bei vielen Hochzeitszeremonien gleichgeschlechtlicher Paare mit eigenen Augen ansehen müssen, welche Trauer und welchen Schmerz solch ein rigoroser (vermeintlicher) «Glaubensfundamentalismus» auslöst. Also hat die «Zufallsaktivistin» («accidental activist») vor zwei Jahren die ehrenamtliche Gruppe «Free Mom Hugs» gegründet: «Wir sind eine Gruppe von positiv unterstützenden Eltern, die ihre LGBTQ+ Kinder uneingeschränkt lieben und Umarmungen-der-Liebe und -Akzeptanz an andere weitergeben. Unser Ziel ist es, Familien aufzuklären, ebenso Führungspersonal in Kirchen und im öffentlichen Dienst. Wir wollen die Werte der LGBTIQ-Community nicht nur unterstützen, sondern zelebrieren.»
Eine dringend benötigte Stimme Die Müttergruppe organisiert Märsche, Aktionen und vor allem Beratungsgruppen. Sara Cunningham hatte bereits 2014 das Buch «How We Sleep At Night» veröffentlicht, ein «intimes, realistisches, oftmals emotional ungefiltertes, provozierendes, spirituelles, autobiografisches Buch» über ihren Weg, auf dem sie lernte, mit der Homosexualität ihres Sohns umzugehen. «Es ist eine ehrliche Chronik ihrer Ängste, Frustrationen, Schmerzen und der tiefen Liebe einer regelmässigen Kirchgängerin mit einer verwirrenden Situation. Ihre Erfahrungen werden Widerhall bei so vielen Menschen finden», schreibt eine Kommentatorin bei Amazon: «Das Buch bietet allen, die diese Situation durchgemacht haben, eine dringend benötigte Stimme.»
Diese Stimme und die Aktionen der Gratis-Umarmungsmütter aus Oklahoma wären vermutlich ein lokales Ereignis geblieben, wenn nicht der Ersatzmutter-Facebook-Post Sara Cunningham schlagartig überregional bekannt gemacht hätte. Denn die kurze Nachricht vom Juli 2018, mit einem gänzlich unspektakulären Foto, schlug hohe Wellen. Es gibt darunter inzwischen über 1.600 Kommentare, der Post wurde fast 9.000 Mal geteilt. Schnell wurden auch Prominente aufmerksam.
Eine von ihnen ist die Schauspielerin Jamie Lee Curtis, bekannt als «Scream Queen» aus verschiedenen Horrorfilmen. Sie besuchte im September die Eheschliessung von zwei Frauen in Oklahoma City und postete anschliessend ein Foto mit ihrer «Doppelgängerin» Sara Cunningham, die sie als «social activist, mother, mama bear, general baddass and spectacular human» beschreibt. Sie ist scheinbar auch an den Filmrechten zu «How We Sleep at Night: A Mother’s Memoir» interessiert.
Mit solcher VIP-Unterstützung war klar, dass irgendwann auch die Showbizz-Presse auf die Geschichte aufmerksam werden würde. Und so widmete jetzt in der Vorweihnachtszeit das populäre «People»-Magazin Sara Cunningham eine große Reportage, die ihre Geschichte weit über Oklahoma hinaus trägt.
Ich hatte keine Ahnung, dass der Post viral gehen würde. Es kamen Rückmeldungen aus der ganzen Welt
Der Zeitschrift sagte Cunningham: «Ich habe den Post damals aus Frustration gemacht. Ich musste so oft Geschichten von Eltern hören, die die Beziehungen ihrer Kinder verleugnen und Hochzeiten fernbleiben. Ich habe diesen Post gemacht und hatte keine Ahnung, dass er viral gehen würde. Aber es kamen Rückmeldungen aus der ganzen Welt … und ich wurde von mehreren Leuten zur Hochzeit eingeladen.»
Zeremonie mit Regenbogen-Stola Beispielsweise von zwei Frauen, die Cunningham ursprünglich trauen sollte – mit einer typischen Regenbogen-Stola, die sie bei solchen Anlässen trägt. Als die Frauen jedoch den Facebook-Post sahen, änderten sie ihre Meinung und fragten Cunningham, ob sie nicht stattdessen ihre «Ersatzmutter» sein wolle. Sie wollte!
Ich erlebe dabei Gott und Menschlichkeit in einem Maße, das ich niemals für möglich gehalten hätte
Inzwischen interessieren sich nicht nur Schauspielerinnen, sondern auch Filmemacher für sie. 2019 kommt ein Kurzfilm von Yousef Kazemi heraus mit dem Titel «The Stand-In». Sara Cunningham ist Teil der Story.
Den fundamentalen Christen in den USA (und der Welt) sagt Cunningham, die Teilnahme an Hochzeiten von gleichgeschlechtlichen Paaren gebe ihr «vollkommene Freude»: «Ich erlebe dabei Gott und Menschlichkeit in einem Maße, das ich niemals für möglich gehalten hätte.»
Artikel gegen Anfeindungen Auf ihrer eigenen öffentlichen Facebook-Seite, aber auch der von «Free Mom Hugs» aus Oklahoma, die über 44.000 Abonnenten hat, postet sie regelmäßig Artikel zu aktivistischer Arbeit. Und zwar nicht nur zu schwul-lesbischen Themen, zum Welt-Aids-Tag oder zum Filmstart von «Boy Erased».
Sondern gezielt auch zur Diskriminierung von trans Menschen: zum Beispiel über die Miss-Universe-Wahl in Bangkok und die Anfeindungen, die Angela Ponce als erste trans Frau beim Wettbewerb durchleben musste.
Cunningham bekommt in diesen Tagen auch viele Weihnachtsgeschenke zugeschickt von ihren «Babys».
Es mag sein, dass sich die Zahl der symbolischen «Ersatzmuttereinsätze» in überschaubaren Grenzen hält. Aber die Aktion an sich – ebenso wie die Diskussion, die dadurch angestoßen wurde, besonders unter religiösen Hardcore-Gruppen, von denen etliche Vertreter in der aktuellen Trump-Regierung sitzen – ist wichtig.
Auch Cunninghams Einsatz gegen psychologische Therapien zur «Konvertierung» von Homosexuellen ist wichtig, denn ihre Aktionen machen inzwischen auch in Lokalzeitungen wie «The Oklahoma» Schlagzeilen. Und werden dort von Lesern gesehen, die sonst eher keine Hollywood-Presse und «liberales» Gedankengut konsumieren.
Mit ihrer geübten «christlichen» Rhetorik ist sie ein glaubwürdigeres Vorbild als kirchenferne Menschen
Gerade solche Leser will Cunningham erreichen und für sie eine Ansprechperson sein zum Umgang mit Homosexualität und Religion. Denn für etliche von ihnen ist Cunningham mit ihrer geübten «christlichen» Rhetorik ein viel glaubwürdigeres Vorbild als kirchenferne Menschen, die bei solchen Gotteskonflikten nur verständnislos den Kopf schütteln.
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