Sachsen wählt (1): «Bei meinen Klient*innen spüre ich die Angst»

Über die Arbeit des Dresdner Vereins Gerede für LGBTIQ sowie deren Angehörige

CSD Dresden 2018 (Foto: GEREDE)
CSD Dresden 2018 (Foto: GEREDE)

Am Sonntag findet die Sachsenwahl statt. In aktuellen Umfragen liegt die regierende CDU vorn, dicht gefolgt von der AfD. Sollte die rechtspopulistische Partei an die Macht kommen, könnte das für Organisationen und Vereine, die sich für Vielfalt und Akzeptanz von LGBTIQ einsetzen, das Ende bedeuten. Wir schauen in einer 5-teiligen Serie auf die Situation in dem Freistaat

Den Dresdner Verein Gerede für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans und Inter sowie deren Angehörige gibt es nächstes Jahr schon seit 30 Jahren. Gefördert wird das Projekt kommunal und auf Landesebene. Danilo Ziemen arbeitet seit gut eineinhalb Jahren dort. Er kommt aus der Antirassismus und Anti-Nazi-Bildungsarbeit, hat Projekte an Schulen in Sachsen durchgeführt. Auch schon in einer Zeit, als es die AfD noch nicht gab. Immerhin sass die NDP zehn Jahre im sächsischen Landtag – dass nicht wenige in Sachsen dazu neigen, rechts zu wählen, ist nicht neu.

Nicht selten hat er von den Menschen gehört: Die da oben machen, was sie wollen, und ich kann eh nichts ändern. Für das Leben in der DDR stimmte das leider ja auch. Aber heute stimmt das eben nicht mehr. Und es gibt auch junge Leute, die er getroffen hat, die finden: Wir machen jetzt mal was. «Das hat nichts mit dem Schultyp zu tun, Rassismus begegnet Dir überall», sagt Danilo. «Aber auch in einer Förderschule oder einer Hauptschule kannst du was verändern und erreichen.»

Nach einigen Jahren in der Anti-Rassismus-Arbeit hat er nochmal ein Studium begonnen, Sexualwissenschaft in Merseburg – zur einen Hälfte besteht das Studium aus Sexualpädagogik, zur anderen aus Beratung. Nach Beendigung des Studiums landete er bei Gerede – dort war gerade eine Stelle frei.

Jetzt betreut er Einzelklient*innen, ist für die mobile psychosoziale Beratung bei Gerede zuständig. «Sehr viele Leute kommen aus dem Umland, um hier bei uns in Dresden eine Beratung zu bekommen. Aber nicht alle haben die zeitlichen und finanziellen Ressourcen, hierherzukommen.»

Danilo Ziemen vom Verein Gerede (Foto: privat)
Danilo Ziemen vom Verein Gerede (Foto: privat)

Darum hat man vor ein paar Jahren beim Land eine Stelle beantragt, damit eine Person die mobile Beratung machen kann – vor Ort, dort, wo die Klienten das wollen. Seit November 2016 gibt es die Stelle für die Umlandberatung.

Beispielsweise hat er Klienten, die das Beratungsgespräch lieber im Nachbarort haben wollen. Dann kümmert sich Danilo dort um einen Raum, da kann er auf diverse Kooperationspartner zählen. Mal trifft er die Menschen im Rathaus, in der Kirchengemeinde, auch mal im Kino oder in den Räumen der Schwangerschaftsberatung. «Die Leute sind sehr offen, es gibt eine grosse Bereitschaft, das zu ermöglichen.»

Mobile Beratungen im gesamten Freistaat Beratungen, wie Danilo sie anbietet, gibt es im gesamten Freistaat. Neben den vier Landkreisen, die er abdeckt, übernimmt der Verein RosaLinde Leipzig, Mittelsachsen und Nordsachsen und Different People e. V. mit Sitz in Chemnitz ist für die Menschen im Erzgebirge und im Vogtland da.

Der Verein Gerede selber hat seine Räume im Stadtteilhaus in der hippen Dresdner Neustadt. Man kann es sich vorstellen wie Berlin-Kreuzberg: alternativ, jung, hier gab es früher viele besetzte Häuser. Zwei von drei Wählen machten bei der Kommunalwahl im vergangenen Mai ihr Kreuz links – bei den Linken (23 %) oder bei den Grünen: 44 %. Die AfD kam hier im Bezirk Äussere Neustadt nicht mal auf 4 %. Aber im Land sieht das anders aus: In der Sächsischen Schweiz-Osterzgebirge oder in Meißen, wo man Danilos Beratungen in Anspruch nehmen kann, wo man ihn im Vergleich zu den anderen Landkreisen aber seltener kontaktiert, wählte im Mai mehr als Vierte die AfD.

Grosse Nachfrage für Beratungen Danilos Beratungen sind gefragt. «Im Moment muss man fünf Wochen auf einen Termin warten“, wie er mir Ende Juli erzählt, als ich ihn in Dresden treffe. Vor allem in diesem Jahr gibt es viele Anfragen. «Je mehr Menschen in die Beratung kommen, umso mehr spricht es sich herum, auch durch die anderen Beratungsstellen wie die Familienberatung. Die haben uns auf dem Schirm, und so verweist man sich untereinander.»

Foto: Gerede
Foto: Gerede

90 % der Menschen, die er berät, sind trans. «Ich schaue dann: Gibt es Selbsthilfegruppen oder Psychologen vor Ort. Trans Menschen müssen dann eh eine Therapie beginnen, wenn sie die Transition durchlaufen wollen.»

Ältere Menschen haben oft weder Internet noch ein Smartphone Manche, mit denen er spricht, sind schon gut informiert, mit denen trifft er sich nur ein, zweimal. Es gibt auch sogenannte Prozessberatungen, das heisst, er trifft sich mit einem Menschen über längere Zeit. Die meisten seiner Klienten sind junge Leute, aber auch ältere Menschen sind darunter. Oft haben die weder Zugang zum Internet, noch besitzen sie ein Smartphone – für diese Klienten recherchiert er die notwendigen Informationen zusammen.

Bei jungen Menschen ist das anders, viele, die er berät, sind noch Teenager oder gerade Anfang 20. «Die sind gut vernetzt, über Instagram oder andere Netzwerke, die geben untereinander meinen Kontakt weiter.»

Die Themen, die junge Menschen bewegen, sind neben dem Thema Coming-out auch der Umgang mit der eigenen sexuellen oder geschlechtlichen Identität am Arbeitsplatz, auch Einsamkeit ist im ländlichen Raum ein großes Thema, sagt Danilo. Hier leisten er und seine Kollegen von den anderen Vereinen wertvolle Arbeit.

Auch Eltern, deren Kind schwul, lesbisch oder trans ist, lassen sich manchmal von ihm beraten. „Für sie ist es wichtig, sich auszutauschen. Oder sich zu informieren: Wir können wir unser Kind unterstützen?“ Oder er erhält Anfrage nach Wohngruppen, die explizit queerfreundlich sind, gerade auch für trans Jugendliche.

Was passiert, wenn die AfD hier an die Macht kommen sollte? «Das dürfte rabiate Auswirkungen haben, für Demokratie-Projekte, für die Anti-Rassismus-Arbeit etc. – dann war es das auch mit diesem Projekt“, sagt Danilo. Das sei auch seinen Klient*innen klar. «Bei denen spüre ich die Angst.»

Die AfD im Freistaat hat Projekte wie Gerede auf dem Kieker. Auf der Homepage des Ministeriums ist einsehbar, wie viel Geld an welche Projekte verteilt wird. «Vor ein paar Jahren hat die AfD im Landtag aber nochmal explizit nachgefragt nach diesen Förderungen und die Zahlen dann skandalisiert und behauptet, wir würden für ‚Porno-Unterricht‘ öffentliche Mittel bekommen.»

In der Beratung sind Menschen mit multiple Problemlagen, etwa Depression – die haben niemand anderen.

Auch wenn der momentan niemand weiss, was nach dem 1. September passiert: Danilo macht vorerst seine Beratungen so, als würde es weitergehen wie bisher.

«Ich habe mehrere Menschen in der Beratung – viele haben oft multiple Problemlagen, etwa Depression – da weiss ich nicht, was die tun, wenn ich ihnen sagen muss: Das war es, wir können nicht mehr zu Euch rausfahren. Ihr müsste nach Dresden kommen. Die haben niemand anderen.»

Das könnte dich auch interessieren