Russland muss vom ESC ausgeschlossen werden!
Das Putin-Regime führt seit Donnerstag früh Krieg gegen die Ukraine
Die norditalienische Stadt Turin darf im Mai nicht zur Bühne putinesker Selbstdarstellung werden, so der ESC-Experte Jan Feddersen in seinem Kommentar*.
Im Mai findet in Turin der Eurovision Song Contest statt (MANNSCHAFT berichtete). Die Forderung des ukrainischen Senders UA:PBC an die European Broadcasting Union (EBU) in Genf, Russland möge von der Teilnahme ausgeschlossen werden, beschied die Behörde, zuständig für die Organisation der grössten TV- und Radiounterhaltungsshow in Europa, abschlägig (MANNSCHAFT berichtete). Der in Kiew ansässige Sender in der Ukraine schrieb an die EBU, hier nach einer Übersetzung der Fanplattform zum ESC, wiwibloggs (): «Wir fordern die EBU auf, dass die Mitgliedssender so früh wie möglich in Erwägung ziehen, Russland vom Eurovision Song Contest 2022 auszuschliessen, da der betreffende Sender einen groben Verstoss gegen Paragraph (ii) von Abschnitt 2.7 von Teil 1 der ESC-2022-Regeln über die EBU-Werte begangen hat.» Die entsprechende Kampagne #EurovisionWithoutRussia, von Unterstützern dieses internationalen Wettbewerbs ins Leben gerufen, verbreitet sich bereits im Internet.
Darüber hinaus wolle man betonen, dass der Eurovision Song Contest nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde, um Europa zu vereinen. «Angesichts dessen untergräbt die Teilnahme Russlands als Angreifer und Verletzer des Völkerrechts am diesjährigen ESC die eigentliche Idee des Wettbewerbs. Bitte beachten Sie, dass die Teilnahme Russlands am diesjährigen Wettbewerb von der Allrussischen staatlichen Fernseh- und Rundfunkgesellschaft bereitgestellt wird, die ein Instrument der Macht des Kremls im Informationskrieg gegen die Ukraine ist und ständig gegen journalistische Standards verstö, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zugrunde liegen. Der Ausschluss Russlands von diesem grossangelegten Gesangsereignis wird eine starke Antwort der internationalen Gemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Sender auf die inakzeptablen aggressiven und illegalen Aktionen der Russischen Föderation und die Unterstützung der feindseligen Aggressionspolitik der staatlichen Sender des Landes sein.»
Die Kiewer Freunde und Freundinnen der Eurovision, die wir besonders 2017 dort kennenlernen konnte, nachdem Jamala im Jahr den ESC gewonnen hatte – der zweite Sieg der Ukraine seit seinem Eurovisionsdebüt 2003 -, haben diese Petition unterstützt. Inzwischen, wenn man diese Zeilen im Internet liest, wissen wir nicht einmal, ob sie wohlauf sind: Das Putin-Regime führt seit Donnerstag früh Krieg gegen die ganze Ukraine – und es will dieses europazugewandte Land auslöschen, sich einverleiben, nichtig machen.
In der Tat ist der ESC offiziell ein Unterhaltung-, kein politischer Wettbewerb. Inoffiziell war und ist der ESC immer schon der politische Befindlichkeitsspiegel europäisch-politischer Gefühle gewesen. Politisch ist der ESC auch durch seine Osterweiterung geworden – aber ein kriegführendes Land hat niemals an einem ESC teilnehmen dürfen. Nach dem Ausschluss Jugoslawiens 1992 (also Serbien & Montenegros) kamen 1993 Slowenien, Bosnien & Herzegowina und Kroatien hinzu – sie waren im Bürgerkrieg mit dem restjugoslawischen Regime, aber sie waren keine Aggressoren. Als der ESC 2012 in Baku im autokratisch geführten Aserbaidschan gastierte, gab es wegen dieser Show dort am Kaspischen Meer viel Kritik. Aber, von militärischen Händeln mit dem Nachbarn Armenien abgesehen und keinesfalls die brutal-fiese Menschenrechtslage dort verkennend, das war okay.
Moskau – das war seitens der Veranstalter ein absichtsvoll homophober ESC.
Ich habe in meinem Leben als Journalist bei fast 30 ESCs gearbeitet – es war ein eurovisionäres Fest, europäisch, friedlich und vor allem queer bis zum Abwinken. Schwul, dass es kracht. Es hat viele Jahre gedauert, bis die EBU, bis die örtlichen und nationalen Veranstalter den queeren Charakter des ESC wertschätzen konnte. Ein Land allerdings habe ich nach dem ESC mit Erleichterung verlassen, und das war 2009 in Moskau. Dieser ESC war der gruseligste ever; das Schwenken der Regenbogenfahnen war verboten; eine am Rande ausgerichtete CSD-Demo wurde, ich war dabei, ich kann es, wie viele westliche Journalist*innen auch, bezeugen (entsprechenden Berichte von mir www.eurovision.de, die ich damals verfasste, sind inzwischen ins Archiv der Unauffindbarkeit verklappt worden), brutal von russischen Milizen zerschlagen. Moskau – das war seitens der Veranstalter ein absichtsvoll homophober ESC.
Klar, ein Ausschluss verhindert Wiederannäherung – und der ESC war immer auch ein Forum des Vorpolitischen: In den späten 60er Jahren, als der im rechtsdiktatorisch regierten Madrid Station machte, war der ESC auch eine Kontaktbörse liberaler, demokratischer Ideen, wofür die freiheitsbewussten Spanier, die damals dort arbeiteten, total dankbar waren. Aber Russland darf nicht in Turin teilnehmen, die norditalienische Stadt darf nicht zur Bühne putinesker Selbstdarstellung werden. Die EBU muss eine Grenze ziehen: Krieg zu führen macht eine Teilnahme am ESC unwürdig – für alle anderen.
*Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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