«Jung und schwul zu sein, ist nicht immer einfach»

Mit «Unfollow The Rules» kehrt Rufus Wainwright in die Popwelt zurück

Rufus Wainwright (Foto: Sven Serkis)
Rufus Wainwright (Foto: Sven Serkis)

Nachdem er klassische Opern komponiert und Shakespeare-Sonette vertont hat, kehrt Rufus Wainwright wieder zum Pop zurück – mittlerweile ein reflektierter Mann in der Blüte seines Lebens. Sympathisch plaudert der Kanadier über sein neues Album «Unfollow The Rules», gewährt Einblicke in sein Familienleben und nimmt sich dabei selbst nie zu ernst.

Rufus, wie frei ist man in seiner beruflichen Wahl, wenn man aus der kreativen Familie Wainwright stammt? Ich spürte schon früh ein enormes Verlangen, selbst zu performen. Bereits als Drei- oder Vierjähriger. Es gibt Bilder von mir in Windeln, auf denen ich versuche, das Piano mit meinen kleinen Händen zu erreichen. Glücklicherweise hat meine Mutter das alles erkannt und mich auf meinem Weg unterstützt.

Gab es denn eine Zeit, in der du aufbegehrt und dich von der Arbeit deiner Eltern bewusst abgewendet hast? Nein, nie. Ich meine, als ich mit 13 begann, mich für die Oper zu interessieren, kam das schon irgendwie einem Aufstand gleich (lacht). Vor allem mein Vater schien irritiert. Meine Mutter hingegen freundete sich recht schnell mit dem Gedanken an. Als Folkmusiker assoziierten meine Eltern die Oper stets mit dem Establishment oder der Bourgeoisie, was ihnen widerstrebte. Das war aber tatsächlich der einzige Versuch meinerseits, zu rebellieren.

Ungewöhnlich. Ein Junge, der rebelliert, indem er sich der Oper zuwendet. Inwiefern zog dich die klassische Musik in den letzten Jahren wieder verstärkt an? Als Teenager hatte ich lange Zeit die Absicht, aufs Konservatorium zu gehen und Komposition zu studieren. Am Ende war es dort aber ganz anders, als ich angenommen hatte. Ziemlich antiquiert, langweilig und wenig inspirierend. Es schien unmöglich, neue Erfahrungen zu sammeln, Jungs kennen zu lernen oder mit Drogen herumzuexperimentieren (lacht). Also verliess ich die Hochschule nach einiger Zeit wieder und wurde stattdessen Songwriter. Die Liebe zur Oper bewahrte ich mir jedoch und machte sie zu meiner Geheimwaffe. Einer Waffe, mit der ich mein Publikum überraschen konnte, weil viele Fans bis dato keinen Zugang zu dieser Art von Musik hatten. Irgendwann war ich das Popbusiness dann aber leid und entschied, mich voll und ganz auf das Schreiben klassischer Stücke zu konzentrieren.

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Was du in den letzten Jahren ausgiebig getan hast. Mit «Unfollow The Rules» kehrst du nun allerdings zurück in die Popwelt. Meine ersten Alben sind allesamt in Los Angeles entstanden. Eine illustre Phase in meinem Leben. Ich war damals von New York an die Westküste geflohen und bekam einen Vertrag bei Dreamworks, einer der grössten Plattenfirmen überhaupt. Mir kam das alles vor wie in einem dieser Hollywoodfilme. Tanzende Menschen, Palmen, Privatflugzeuge. Anschliessend ging es rund um den Globus und ich lebte vielerorts. Seit mein Mann Jörn und ich unsere wundervolle Tochter haben, sind wir aber wieder zurück. Wir leben mit ihr und ihrer Mutter zusammen in Kalifornien. Ausserdem ist mein Debütalbum gerade zwanzig Jahre alt geworden. Irgendwie machte es Sinn, den Kreis zu schliessen und sich auf die Anfänge zu besinnen. «Unfollow The Rules» beendet also ein Kapitel, gewährt mir aber auch die Freiheit, in der Zukunft machen zu können, was auch immer ich möchte. Ich plane verrückte Dinge!

Welche Ratschläge würdest du heute dem jungen Rufus geben? Was mein Songwriting, meine Lebensentscheidungen oder mein Erscheinungsbild betrifft, das sicher dann und wann zu hinterfragen gewesen wäre, bereue ich nichts. Nur mein Gesang war nicht immer der beste. Ich war derart von mir überzeugt, dass ich ihn nicht in Frage stellte. Das fing erst an, als ich Shows zu Ehren von Judy Garland konzipierte. Da übte ich das richtige Atmen oder die Betonung einzelner Wörter. Ausserdem lernte ich, das Feuer für den Moment aufzusparen, wenn ich es tatsächlich brauche (lacht). Vermutlich war dies eine notwendige Erfahrung. Heute singe ich besser.

Was hat dich «Unfollow Your Rules» über dich selbst gelehrt? Die Platte dreht sich um viele Aspekte meiner Existenz. Ob es meine Heirat, mein Dasein als Vater, mein Bedürfnis, allein zu sein, oder meine Karriere ist.

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Einzelne Songs widmest du deinem Mann und deiner Tochter. Glücklicherweise bin ich ein gut erzogener Junge, der lieben und sich um andere kümmern will. Ich kann definitiv sagen, dass es nicht immer einfach ist, jung und schwul zu sein. Vor allem als Musiker, mit Hang zur Drogensucht. 46, verheiratet und Papa zu sein, ist aber mindestens genauso herausfordernd (lacht). Das Leben ist manchmal hart und wir sollten es nehmen, wie es kommt. Je mehr du dich einer Sache wirklich widmest, umso mehr wirst du am Ende belohnt. Darum geht es auch auf «Unfollow The Rules».

«Ein Kind verändert dich in positiver Weise.»

Würdest du andere schwule Männer dazu ermutigen, sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen? Definitiv! Sie werden nicht enttäuscht sein. Ein Kind verändert dich in positiver Weise. Aber ich denke auch, dass es schon viel zu viele Menschen auf diesem Planeten gibt. Wer sich gegen Nachwuchs entscheidet, hat auch Respekt verdient. Ein Kind zu adoptieren, kann eine tolle Alternative darstellen. Auf jeden Fall sollten Homosexuelle involviert sein, wenn es darum geht, die Zukunft mitzugestalten und Werte weiterzugeben.

Rufus Wainwright gehört zu den wenigen männlichen Schwulenikonen. Wieso kommt deiner Meinung nach sonst oft Frauen diese Rolle zu? Nun, das ist eine alte Geschichte. Als Opernliebhaber kann ich die Wertschätzung gegenüber grossen Diven gut nachvollziehen. Obwohl ich sagen muss, dass viele der heute populären Vertreterinnen recht flach sind. Und damit meine ich keine körperlichen Attribute (lacht). Die virtuosen Sängerinnen der Klassik interpretierten Werke von Wagner oder anderen Komponisten. Da steckte noch wahre Kunst dahinter. Ich sorge mich ein wenig, dass schwule Männer vielmehr das Konzept als die tatsächliche Umsetzung fasziniert. Ohne die momentan als Diven geltenden Damen abwerten zu wollen, kann ich sagen, dass keine von ihnen mich jemals zu Tränen gerührt hat.

Ist es dir wichtig, als Vertreter der LGBTIQ-Community Sichtbarkeit zu zeigen? Es ist schön, zu erleben, dass vereinzelt Leute auf mich zukommen und mir dafür danken, dass sie durch meine Musik den Mut gefunden haben, offen zu sich zu stehen. Und zwar nicht nur Lesben, Schwule oder trans Menschen, sondern auch die, die sich generell unverstanden fühlen. Auch ohne sich explizit einem der Buchstaben zuzuordnen. Diese Rückmeldung freut mich und macht mich dankbar. Zwar hegte ich dahingehend nie eine Absicht, nur ist vielleicht genau das der Schlüssel. Man selbst zu sein, ohne zu viel darüber nachzudenken. Anders als Kolleg*innen, die jedem erklären, wie sehr sie sich für die Community aufopfern.

Rufus Wainwright, fotografiert von Sven Serkis.
Rufus Wainwright, fotografiert von Sven Serkis.

Du hast schon über deine Homosexualität gesprochen, als die Gesellschaft noch nicht bereit dafür schien. Hat das jemals Probleme nach sich gezogen? Sicher gab es dahingehend Nachteile, dass ich in manche TV-Shows nicht eingeladen wurde oder gewisse Dinge, die ich sagte, nicht ausgestrahlt wurden. Vielleicht war das aber eher Segen als Fluch, denn so blieb ich etwas unter dem Radar und konnte mich mit Themen wie meiner Abhängigkeit auseinandersetzen. Eine Anekdote, die ich gern zum Besten gebe, ist die, wie ich eine Show in Alabama spielen sollte und über Security nachdachte, da ich befürchtete, die Leute seien zu konservativ eingestellt. Ich sagte meinem Manager, dass ich nervös sei. Als ich dann im Hotel in Birmingham ankam, fiel mir auf, dass überall schwule Männer waren. Es stellte sich heraus, dass zur gleichen Zeit die Gay Soft Ball League abgehalten wurde. Die ganze Stadt war voll mit Homosexuellen (lacht).

Fühlst du dich akzeptiert? Ja, schon. Selbst in der russischen Presse wurde nach einem meiner Auftritte geschrieben, dass es gut war, wie ich über meine Gefühle zu versprechen vermochte. Das machte mir das Land deutlich sympathischer. Was aus meiner Sicht in der westlichen Welt nach wie vor zu kurz kommt, ist die Unterstützung von trans Menschen. Sie erfahren sowohl seitens der Gesellschaft als auch seitens der Politik und sogar der Schwulenszene teilweise noch immer starke Ablehnung. Das muss sich ändern!

Ende 2020 geht Rufus Wainwright auf Tournee. Mehr Infos gibts hier.

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