Rom: Die homophobe Giorgia Meloni könnte Ministerpräsidentin werden
Derzeit schlägt die Europaskeptikerin moderatere Töne an
Vor 100 Jahren übernahm Mussolini die Macht in Italien. Im Jahr 2022 hat eine Postfaschistin beste Chancen, Ministerpräsidentin zu werden. Wie denkt diese Giorgia Meloni? Und wie kann es sein, dass diese Frau in Italien so erfolgreich ist?
Von Manuel Schwarz, dpa
Rom (dpa) – Italien steht vor einem Rechtsruck. 100 Jahre nach der Machtergreifung der Faschisten unter Benito Mussolini haben die rechtsextremen Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) um Parteichefin Giorgia Meloni im Herbst beste Chancen auf die Regierungsübernahme. Am Wochenende präsentierten sie ihr Wahlkampf-Logo – «ein Symbol, auf das wir stolz sind», sagte Meloni. In dem Emblem lodert eine Flamme in den Farben grün-weiss-rot – es ist seit Jahrzehnten das Kennzeichen der Postfaschisten in Italien. Meloni war gebeten worden, auf das Feuer zu verzichten, auch Holocaust-Überlebende appellierten an sie. Sie änderte es nicht.
Nicht nur das Wappen, sondern auch Aussagen und Ansichten Melonis zeigen, in welche Richtung es gehen könnte in Rom nach dieser Wahl am 25. September. Homophob, migrantenfeindlich und europaskeptisch trat Meloni immer wieder auf.
Zum Beispiel erklärte sie im Oktober 2019 bei einer Kundgebung ihrer Mitte-Rechts-Partei: «Gott, Vaterland und Familie … Sie wollen, dass wir Elternteil 1 und Elternteil 2 werden, LGBT-Geschlechter, x-Bürger, von Codes, aber wir sind keine Codes, wir sind Menschen, und wir werden unsere Identität verteidigen. Ich bin Giorgia, ich bin eine Frau, ich bin Mutter, ich bin Christin.» Darauf folgten Ausflüge in die Welt der Märchen, sie redeten von Ogern, die Kindern stehlen, und erklärte: «Ich meine, ich glaube nicht an einen Staat, der den legitimen Wunsch eines Homosexuellen, ein Kind zu adoptieren, über das Recht des Kindes auf einen Vater und eine Mutter stellt.»
Das Portal gay.it führt mehrere Vorfälle auf, etwa als Meloni sich im Februar 2020 zu einer Lesung zweier Drag Queens für kleine Kinder in Rom äusserte mit den Worten: «Finger weg von den Kindern!». Ein Gesetz zum Schutz von LGBTIQ scheitert im Parlament in Rom, vor allem die rechten Parteien waren dagegen (MANNSCHAFT berichtete).
Derzeit schlägt Meloni zwar etwas moderatere Töne an – Kritiker*innen sehen darin aber nur eine Ablenkung.
In einem Italien, das das Jahrhundertverbrechen des Faschismus nie richtig aufgearbeitet hat, und wo viele heute offen ihre Bewunderung für den «Duce» Mussolini äussern, sind Melonis Ansichten populär. Laut Umfragen stehen die Fratelli d’Italia (FdI) bei bis zu 25 Prozent.
Meloni bezeichnet sich nicht als Faschistin, die 45-Jährige will über das Thema am liebsten gar nicht reden. Es ist aber brisant, gerade jetzt durch die Enthüllung des FdI-Wahlabzeichens. Die Flamme als Symbol der Rechten gibt es seit 1946. Viele erinnert sie an das Grab Mussolinis, auf dem eine Lampe als ewiges Licht brennt.
Vor der Ruhestätte des «Duce» in dessen Geburtsort Predappio stehen bis heute Verehrer, Nostalgiker und Interessierte Schlange. Auf dem steinernen Sarg in der Familienkrypta liegen frische Blumen, man kann in ein Gästebuch schreiben, in einer Box werden Spenden gesammelt.
«Die Sorge, dass nun Faschisten an die Macht kommen, ist real», sagt Gianfranco Miro Gori. Er ist Vertreter der Partisanenvereinigung ANPI in Forlì in der Nähe von Predappio in der Region Emilia-Romagna. «In Italien gibt es diese Nostalgie des Faschismus, weil wir anders als die Deutschen jene Epoche nie richtig aufgearbeitet haben», erklärt der Aktivist der Deutschen Presse-Agentur. «Bei uns musste nie jemand sagen: Ich war Faschist, ich lag falsch, ich trage eine Mitschuld.»
Ein Pendant zu den Nürnberger Prozessen gab es nicht, im Gegenteil: Um schnell vom Kriegs- in einen Friedensalltag überzugehen, wurden die alten Faschisten fast alle in die neue Verwaltung übernommen.
Übrigens, erinnert Gori, seien auch Melonis Verbündete Matteo Salvini und Silvio Berlusconi mitverantwortlich an der fortschreitenden Etablierung des (Post-)Faschismus. Ex-Ministerpräsident Berlusconi von der Partei Forza Italia hatte einmal behauptet, dass Mussolini kein Diktator war und auch Gutes geleistet habe. Lega-Chef Salvini sagte noch im Herbst 2021, dass es gar keine Faschisten mehr gebe.
Rechtspopulistin Meloni bemüht sich um moderatere Töne, seit nach dem Sturz der Regierung von Mario Draghi klar ist, dass am 25. September in Italien gewählt wird. Europa und die Welt müssen sich um Italien keine Sorgen machen, sagte sie vorige Woche in dem Videoclip.
«Ich glaube ihr kein Wort», schimpfte Auschwitz-Überlebende Edith Bruck in einem Interview der Zeitung «La Repubblica». Melonis Beteuerungen seien nur «Fassade, um Ministerpräsidentin zu werden». Liliana Segre war ebenfalls im KZ Auschwitz und sitzt heute in Rom als Senatorin auf Lebenszeit im Parlament. Die 91-Jährige appellierte vorige Woche an Meloni, die faschistische Flamme aus dem Fratelli-Emblem zu streichen, um zumindest ein Zeichen zu setzen.
Meloni distanzierte sich in einem Videoclip von der Unterdrückung der Demokratie und den antijüdischen Gesetzen zu Beginn des 20. Jahrhunderts – den Faschismus insgesamt verurteilte sie aber nicht.
Mitte Juni war Meloni bei einer Veranstaltung der rechtsextremen spanischen Partei Vox aufgetreten und hatte unter dem Jubel der Zuhörer gebrüllt, was sie alles ablehne, von Einwanderern über LGBTIQ-Gruppen und Gender-Ideologien bis hin zu Brüsseler Bürokraten.
Der Ton der Rede und Melonis ideologische Verankerung lassen viele erschaudern. Die Politikwissenschaftlerin Sofia Ventura stellt fest, «dass FdI eine „emotionale“ Verbindung mit der faschistischen oder postfaschistischen Historie hält». Den Rassisten und Antisemiten Giorgio Almirante, der 1946 erstmals die Flamme als neofaschistisches Symbol benutzt hatte, nannte Meloni einmal «einen der aussergewöhnlichsten Männer» der italienischen Nachkriegshistorie. «Er war Anführer von Generationen, der wichtigste politische Vater.»
Im früheren Wohnhaus Mussolinis in Forlì sitzt Domenico Morosini, er hat das Gebäude um die Jahrtausendwende von der Familie des Duce abgekauft und in eine Art privates Museum umgewandelt. Die Räume sind voll von Fotos, Büsten und Kleidungsstücken Mussolinis und seiner Familie. «Ich bin kein Faschist, sondern Mussolinist», sagt der 82-Jährige. Zur Begrüssung streckt er kurz den Arm nach oben.
Im Garten hat Morosini einen kleinen Shop aufgebaut. Zu kaufen gibt es Ansteckpins mit Bildern Mussolinis oder anderen Motiven, etwa dem Emblem der Waffen-SS. In Predappio sind ganze Läden voll mit Devotionalien des Faschismus und Nationalsozialismus, von T-Shirts über Büsten, Geschirr bis hin zu Babyartikeln. An der Wand hängt eine Hakenkreuz-Fahne, auf einem Regal stehen Statuen von Mussolini und Hitler. Faschistische Symbole oder Gesten sind in Italien erlaubt.
Was die Rechten bei einem Wahlsieg aus Italien machen, das wird sich zeigen. Eine Ministerpräsidentin Giorgia Meloni macht vielen Angst.
Gewalt und Diskriminierung von LGBTIQ sind in Italien alltäglich: Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern gibt es keinen rechtlichen Schutz vor Hassverbrechen. Untersuchungen der EU-Grundrechteagentur FRA (MANNSCHAFT berichtete) zeigten, dass es zwei von drei italienischen LGBTIQ (62%) vermeiden, mit Partner*in in der Öffentlichkeit Händchen zu halten.
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