Queertopia – die Emanzipationsbewegung von morgen?
Die trans Perspektive
Schillernde Farben, glitzernde Outfits, nackte Haut, bemalte Körper, erlebbare und greifbare Queerness. Kein Traum, sondern einfach eine Nacht mit Menschen, die abseits tradierter Vorstellungen zusammenkommen, sich und ihre Leben zelebrieren.
Sie sind frei, entgrenzt, stets empathisch und rücksichtsvoll. Achtsam im Umgang miteinander und im Umgang mit sich selbst. Ich tauche ein in diese mir bekannte Alltäglichkeit einer Berliner Partynacht in einem queeren Club. Eine Nacht, die nicht mit der Dämmerung des nächsten Morgen enden muss, die gefühlt zeitlos gleitet, mit einem eigenen Puls, einem eigenen Rhythmus und eigenen Farben.
Wir treten ein und legen nichts von uns ab, sondern öffnen uns noch mehr zueinander, geben uns hin in unserem Sein und freuen uns auf die Momente der Begegnung. Emotional, seelisch oder körperlich oder gar alles. Angstfrei. Einvernehmlich.
Alles, was die (heteronormative) Welt draussen scheinbar bestimmt, hat hier keinen Platz. Kein Körper dominiert einen anderen. Wir sind uns unserer jeweiligen Privilegien bewusst. Das Patriarchat fasst hier keinen Fuss, sondern queer-feministische Ideale sind leitend. Dankbarkeit empfinde ich für diesen Ort, erschaffen aus einem Selbstverständnis abseits von Profitorientierung und kapitalistischen Werten.
Ein Ort, an dem Queerfeindlichkeit keinen Platz hat, an dem keine Art von Diskriminierung geduldet wird, wo Begegnungen auf Augenhöhe geschehen. Beziehungen zueinander entstehen und entfalten sich in einer Umgebung der Vertrautheit und Nähe. Bei aller Unterschiedlichkeit der Erfahrungswelten, der Körper, der jeweiligen Sexualität und Geschlechtlichkeit eint dieses queer-feministische Verständnis uns.
In diesem Mikrokosmos einer Partynacht erkenne ich die Emanzipationsbewegung von morgen. Eine Art und Weise Beziehungen strukturell, emotional und politisch neu und aktivistisch zu gestalten. Hier wird erlebbar und greifbar, was uns in der erdrückenden Alltagswelt fehlt, wofür wir gerne als Community von den «Normalos» belächelt werden, was uns als Schwäche oder gar spät-römische Dekadenz ausgelegt wird, gar boshaft und abwertend als «Bubble» bezeichnet wird. Wir seien die Erodierung der Norm-/Zivilgesellschaft.
Und so fragil wie diese Blase derzeit noch ist, stets bedroht von Anfeindungen und struktureller Diskriminierung, ist sie für mich der lebenswerteste Ort, den ich in meinem Leben bisher entdeckt habe. Ein Ort, an dem individuelle Entfaltung möglich ist, ohne dass angstvolles Überwinden konstruierter, einschränkender und bestimmender Vorstellungen überhaupt notwendig ist.
Wo jedes Ich seinen Platz hat und sein darf und soll und den Raum und das kollektive Erleben dessen bereichert und wertvoll macht. Ein Ort tatsächlicher Gleichheit in zugleich mannigfaltiger und wunderschöner Verschiedenheit. Ein Ort, der mehr ist als nur ein Gedankenexperiment. Ein Ort, der beispielgebend und leitend ist für eine friedfertige, schöne und queere Welt für alle.
Die trans Perspektive
Anastasia Biefang war die erste trans Kommandeurin der deutschen Bundeswehr und Protagonistin des Films «Ich bin Anastasia». Sie wohnt in Berlin.
[email protected] Illustration: Sascha Düvel
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