Queere Lese-Tipps für den Sommer
Die guten Seiten
London oder Paris? Mit unseren queeren Lektüre-Tipps kannst du einfach beides erleben.
Kae Tempest – Teilbar durch sich selbst und eins Wörter gehen bei Kae Tempest durch Mark und Bein. Im Südosten Londons als Kate geboren, legte sie 2020 ihre weiblichen Pronomen ab und wandelte ihren Vornamen in Kae um. Kaes Karriere begann mit Rap (inklusive Auftritt auf dem Glastonbury Festival) und weitete sich in Lyrik und Literatur aus. In «Teilbar durch sich selbst und eins» schreibt Kae über Verletzlichkeit und Selbstentblössung, Zweifel und Hoffnung, unerfüllbare Rollenerwartungen, die Ablehnung des eigenen Körpers, die Flucht in den Rausch und über das Glück.
Wir finden: Die Gedichte und Erzählungen sind poetisch und ergreifend, und vermitteln eine Botschaft, die nach der Lektüre im Gedächtnis bleibt: Alle Dinge sind miteinander verbunden und wir alle Teile eines grösseren Ganzen. Wir empfehlen dieses Buch allen, die nachdenken und fühlen wollen. Und die zweisprachige Ausgabe ist ein Englischliteraturkurs gratis obendrauf. Gedichtband, 125 Seiten, Suhrkamp
Benno Gammerl – Queer – Eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute Queerer Aktivismus, so könnte man meinen, ist erst in den Jahren nach Stonewall zum grossen Thema geworden. Dabei kämpften Homosexuellenbewegungen bereits im Kaiserreich gegen Ausgrenzung und Diskriminierung. Was sind die Wurzeln gleichgeschlechtlich liebender und gender-nonkonformer Menschen? Wie stellt sich deutsche Geschichte aus queerer Perspektive dar?
Wir finden: Benno Gammerl liefert mit «Queer» ein neues Standardwerk zur queeren Geschichte Deutschlands von 1871 bis heute. Gut lesbar und ohne historischen Ballast macht Gammerl Zusammenhänge sichtbar und schildert Ereignisse, die das queere Leben massgebend geprägt haben. Ein Sachbuch, das in das Regel jeder politisch aufmerksamen und gesellschaftlich interessierten LGBTIQ-Person gehört. Sachbuch, Carl Hanser Verlag, 272 Seiten
Gaëlle Geniller: Die Blüte von Paris Nicht-binär im Paris der 1920er-Jahre. In welches Regal? Zu den Hardcoverbänden in Vollfarbe, die schon fast filmisch ausgearbeitet sind wie Huberts «Fräulein Rühr-Mich-Nicht-An», «Jenseits der Zeit» von Oliver Ponts oder Pierre Alarys und Anges «Belladonna».
Wie sieht es aus? Die Blüte von Paris ist ein Schmuckstück. Die Spotlackierung auf dem Cover spielt mit Licht und Schatten, das Vorsatzpapier in gedecktem Rot besteht aus Vignetten, die wie Blicke durch ein Fenster die Hauptfigur Rose zeigen. Die in angenehm gedeckten Farben gehaltene Inhaltsgestaltung schliesslich wirkt, als könnten sich die Bilder jede Sekunde verselbstständigen und zu einem Film werden. Gaëlle Geniller hat Animation studiert, das sieht man den Panelaufteilungen und Ausschnitten, aber auch der Körperspannung und den Gesichtsausdrücken ihrer Figuren an. Kein Wunder also, dass der Band wie im Fluge zu Ende gelesen ist.
Um was geht es? Dass Rose, zwischen Tänzerinnen im Varieté der Mutter aufgewachsen, einmal selbst auf der Bühne tanzen wird, steht nie in Frage. Schon als kleines Kind wollte Rose tanzen und die Auftritte lösen in Rose ein ganz besonderes Gefühl aus: «Ein bisschen, wie wenn man verliebt ist.» Immer mehr Publikum kommt, nur um Rose tanzen zu sehen, einer der beharrlichsten Verehrer, der finanziell unabhängige und sinnsuchende Etienne, wird zu Roses Freund und Vertrautem. Er ist es auch, der Rose mit Sensibilität und einer Auszeit auf seinem Landsitz weiterhilft, als Erfolg und der damit einhergehende öffentliche Druck Rose an der eigenen Identität zweifeln lassen, bevor Rose sich erlaubt, ausserhalb der bisher gewohnten binären Struktur zu denken.
Wie finden wir es? Es ist gerade die Unterstützung von Roses direktem Umfeld wie der entspannte Umgang der hier dargestellten Gesellschaft, die Roses Reise zu einer wohltuend undramatischen machen. Oder wie es Roses Mutter formuliert: «Ich glaube, du hast schon immer gewusst, wer du bist. Du musstest nur in den Spiegel schauen und lächeln.» Identität ist nun mal nicht nur das ein oder andere, es kann alles dazwischen sein und manchmal auch alles zugleich. Wir finden: Nicht nur die Comicwelt könnte mehr von dieser selbstverständlichen Einstellung gebrauchen. – Simone Veenstra Carlsen Verlag, 224 Seiten
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