Queers in Belarus: «Wir kämpfen weiter. Jeden Tag»
Ein Leben für den Aktivismus
Tony Lashden, 27, ist Mitgründer*in der queer-feministischen Initiative «tender for gender» in Minsk, Journalist*in, Autor*in und Menschenrechtsaktivist*in. Lashden ist eine wichtige Figur des Feminismus in Belarus und setzt sich für die Rechte und die Freiheit von queeren Personen und Frauen ein. Das Interview führte Sarah Tekath.
Tony, wo befindest du dich gerade und bist du dort sicher? Ich bin aktuell an einem sicheren Ort, aber ich kann nicht sagen, wo das ist. Viele Aktivist*innen können das derzeit nicht. Sie sind aber weit verbreitet über viele Länder. Ich werde aber in Kürze nach Hause reisen, nach Minsk. Ich bin jetzt drei Monate nicht mehr zu Hause gewesen und ich freue mich sehr darauf.
Trans Personen haben immer noch Schwierigkeiten, Impfungen zu bekommen.
Wie würdest du die aktuelle Situation für die LGBTIQ-Community in Belarus beschreiben? Wenn wir die Wahlen in 2020 und die COVID-19-Pandemie in Betracht ziehen, dann muss wohl gesagt werden, dass die Lage entsetzlich ist. Eines der grössten Probleme ist körperliche Sicherheit. Trans Personen haben immer noch Schwierigkeiten, Impfungen zu bekommen. In Belarus müssen im Gesundheitssystem Ausweisdokumente vorgelegt werden, was zu Problemen führen kann. Selbst für Personen, die nicht queer sind, ist es schwer, Impfungen zu bekommen, aber für marginalisierte Gruppen ist es umso schwieriger.
Zudem wurden in Minsk viele LGBTIQ-freundliche Orte geschlossen, entweder durch die Regierung oder sie haben die Pandemie nicht überstanden. Auch Anlaufstellen für psychologische Hilfe sind deutlich weniger geworden. Positiv ist allerdings, dass viele Initiativen immer noch weiter aktiv sind und versuchen, diese Lücken zu schliessen und Menschen miteinander in Kontakt zu bringen, um sich gegenseitig zu unterstützen. Allerdings ist es auch so, dass der Bedarf viel höher ist als das, was diese Initiativen leisten können.
Wie ist die Gesetzeslage in Belarus bezüglich LGBTIQ? Es ist legal, homosexuell zu sein. Für Trans-Personen ist es möglich, eine Operation durchführen oder ihre Dokumente anpassen zu lassen. Offizielle Partnerschaften, gleichgeschlechtliche Ehen oder die Adoption von Kindern sind allerdings nicht erlaubt. Es gibt auch keine Anti-Diskriminierungsgesetze oder Gesetzgebung und Strafverfolgung für Hassverbrechen. Bezüglich LGBTIQ-Organisationen ist es wichtig zu wissen, dass es gesetzlich erlaubt ist, eine solche zu gründen und trotzdem gibt es in Belarus keine einzige. Das liegt daran, dass der Staat die LGBTIQ-Community nicht als schutzbedürftige, marginalisierte Gruppe ansieht.
Marginalisierte Gruppen sind automatisch viel verwundbarer, weil auch ihr Umfeld mit hingezogen werden kann
Geht der Staat gerade aktiv gegen die LGBTIQ-Community vor? In aller Fairness, ich denke nicht, dass der Staat speziell gegen die Gruppe von LGBTIQ vorgeht. Menschen werden nicht dafür verfolgt, dass sie nicht-heterosexuelle Identitäten haben. Es ist aber so, dass viele Mitglieder der LGBTIQ-Community an friedlichen Aktionen gegen den Staat teilgenommen haben. Dadurch werden sie zur Zielscheibe. Ich würde aber nicht sagen, dass der Staat speziell darauf aus ist, etwas gegen LGBTIQ-Personen zu unternehmen. Aber schlussendlich ist das natürlich doch, was passiert, aus unterschiedlichen Gründen.
Durch den Mangel an sicheren Orten und durch permanente Durchsuchungen von Organisationen und Privaträumen durch die Polizei fühlen wir uns aber trotzdem nicht sicher – und das gilt für alle Menschen in Belarus. Es scheint keine Grenze mehr zu geben, die der Staat nicht bereit ist, zu überschreiten. Dabei müssen wir aber auch bedenken, dass es ein Unterschied ist, ob eine Person verfolgt wird, die den sozialen Normen entspricht und eine, bei der das nicht so ist. Marginalisierte Gruppen sind automatisch viel verwundbarer, weil auch ihr Umfeld mit hingezogen werden kann oder im Fall von Personen, die nicht geoutet sind, weil ihre Identität öffentlich gemacht werden könnte. Da Belarus kein tolerantes Land ist, kann das einen sofortigen negativen Effekt auf deren Leben haben.
Die Regierung versucht die Bevölkerung und die Aktivist*innen durch Verfolgung einzuschüchtern. Denkst du, dass dies bei der LGBTIQ-Community gelingt? Haben viele ihren Aktivismus eingestellt? Ich glaube, dass Aktivismus mit sehr viel Verantwortung verbunden ist. Es ist wichtig, dafür zu sorgen, dass Veranstaltungen für alle Teilnehmenden sicher sind. Aber aktuell in Belarus ist es sehr schwer, einzuschätzen, was sicher ist und was nicht. Ich glaube, dass die Menschen dadurch weniger aktiv sind in Formen von Aktivismus, die Präsenz erfordern. Ein weiterer Grund ist meiner Meinung nach, dass die Aktivist*innen einfach müde und erschöpft sind. Viele von uns waren ununterbrochen seit Anfang 2020 aktiv, das ist mehr als ein Jahr und es hat inzwischen keinen einzigen Moment zum Durchatmen gegeben.
Erst gab es die Wahlen, dann COVID-19 und jetzt die Belarus nahezu abgeschnitten vom Rest der Welt und wir können nirgendwo mehr hin. Deswegen glaube ich auch nicht, dass die Aktivist*innen nur eingeschüchtert sind. Sie haben wirklich Angst. Viele sind auch in die umliegenden Länder geflüchtet und agieren von dort aus, aber auch da ist die Lage nicht LGBTIQ-freundlich, wie beispielsweise in Polen oder Ungarn. Trotzdem wird aber noch viel geleistet. Wir kämpfen weiter. Jeden Tag.
Was denkst du über die Darstellung von Belarus und der hiesigen LGBTIQ-Community in westlichen Medien? CNN hat kürzlich ein Interview mit Lukaschenko veröffentlicht und ihn dort als den ‚letzten Diktator‘ bezeichnet. Ich halte es für sehr kontraproduktiv, jemandem, der unbedingt Aufmerksamkeit will, auch Aufmerksamkeit zu geben. Wenn die Medien von Belarus als der ‚letzten Diktatur‘ sprechen, führt das meiner Meinung nach aber auch dazu, dass die Menschen das Land sowieso für verloren halten, in dem nichts mehr zu retten ist. Dadurch werden sie auch nie bemerken, dass es in Belarus noch Bewegungen gibt, die dringend Unterstützung brauchen.
Es scheint keine Grenze mehr zu geben, die der Staat nicht bereit ist, zu überschreiten.
Und über die Darstellung von LGBTIQ-Aktivist*innen aus Belarus? Ich weiss, dass die Medien es gut meinen und Aufmerksamkeit erreichen wollen für die LGBTIQ-Community in Belarus. Leider entwickelt es sich dabei aber fast schon zu einer Art ‚Trauma-Porno‘, wobei LGBTIQ als Opfer immenser Unterdrückung dargestellt werden. Das führt dazu, dass die Menschen zwar Mitleid haben, aber nicht unbedingt aktiv werden. Aber selbst wenn LGBTIQ in Belarus natürlich eine marginalisierte und verletzliche Gruppe sind, so sind sie doch keine passiven Opfer des Hasses. Wir sind seit Jahren aktiv und setzen uns ein, das Leben der Community besser zu machen. In meinem Fall sind es mehr als zehn Jahre und ich weigere mich einfach, mich als Opfer zu verstehen.
Die LGBTIQ-Community hat wirklich bahnbrechende Kultur-Veranstaltungen organisiert, die sehr zur Sichtbarkeit beigetragen haben. Es gab ein eine Woche langes Event zu Queer-Themen mitten im Stadtzentrum und es wurde auch ein queeres Film Festival veranstaltet. Ich finde, das sind grossartige Leistungen, wenn man bedenkt, wie konservativ Belarus ist. Da ist es eine wahnsinnige Herausforderung, solche Veranstaltungen zu organisieren. Gleichzeitig gab es Bemühungen, Diskriminierung und Hassverbrechen gegen LGBTIQ in die Gesetzgebung aufzunehmen.
Andere haben in Zusammenarbeit mit Universitäten Kurse für mehr Inklusion angeboten. Klar gibt es immer noch grosse Probleme für die LGBTIQ-Community in Belarus, aber trotzdem denke ich, dass das, was schon alles erreicht wurde, auch in Relation gesehen werden muss. Denn was möglicherweise nur wie ein kleiner Schritt aussieht, konnte vielleicht nur erreicht werden, weil viele mutige Menschen jahrelang dafür gearbeitet haben.
Seit wann bist du als Aktivist*in aktiv und was war deine Motivation, mit Aktivismus anzufangen? Ich weiss gar nicht genau, was der Grund für mich war. Ich bin schon sehr früh in meinem Leben, mit 16 Jahren im Feminismus aktiv geworden. Dabei ging es vornehmlich darum, online Kampagnen für Frauen-, Lesben- und Bisexuellenrechte zu organisieren. Das erschien mir damals wie eine gute Sache, die ich unterstützen wollte. Später ist mir dann auch bewusst geworden, dass diese Aspekte mich auch persönlich betreffen und mein Leben, meine Freiheit und meine Zukunft beeinflussen. Seit 2011 bin ich auch verstärkt Teil von physischem Aktivismus. Das sind jetzt mehr als zehn Jahre und wenn ich darüber nachdenke, ist es schon verrückt, was für eine lange Zeit das ist.
In der aktuellen Krise um Tausende Migrant*innen in Belarus, die in die EU einreisen wollen, setzt der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko auf ein Einlenken Europas. «Ich warte auf die Antwort der EU auf die Frage nach den 2000 Flüchtlingen», sagte er am Montag in der Hauptstadt Minsk. Er habe die EU und insbesondere Deutschland gebeten, diese Menschen «uns abzunehmen». Die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel machte allerdings erneut deutlich, dass die Lage in Belarus europäisch zu lösen sei. Die EU sondierte mit dem belarussischen Aussenministerium zu einer möglichen Rückführung. (dpa)
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