«Wir lassen uns nicht wieder entrechten oder unsichtbar machen»
Letzte Woche des Queer-Beauftragten
Seit Dienstag hat Deutschland keinen Queer-Beauftragten der Bundesregierung mehr. Sven Lehmann verabschiedete sich mit den Worten: «Es war mir eine grosse Ehre und ich habe dieses Amt unglaublich gerne ausgeübt.»
Als seinen persönlich wichtigster Erfolg – und zugleich die grösste Herausforderung – sei die Abschaffung des entwürdigenden Transsexuellengesetzes gewesen. Das neue Selbstbestimmungsgesetz bedeute für viele trans und nicht-binäre Menschen ein grosses Stück Würde, Freiheit und Anerkennung. «Ich bekomme nach wie vor viele Nachrichten aus der Community, die mich tief berühren.»
«Auch international spiegle sich die Arbeit der Ampelregierung wieder: Zum ersten Mal gehört Deutschland zu den Top 10 in Europa bei der rechtlichen Gleichstellung von LGBTIQ. Darauf bin ich sehr stolz.»
Das sei jedoch nur die eine Seite der Medaille, es gebe auch eine andere, schreibt Lehmann in seiner Abschiedsmail als Queer-Beauftrager. «Wir müssen nicht nach Russland, Ungarn oder in die USA schauen, um politische Kräfte zu finden, die LSBTIQ mit forcierten Angriffen und Kampagnen in die Rechtslosigkeit und Unsichtbarkeit zurückdrängen wollen. Wir erleben, wie rechtsextreme Gruppen in Deutschland gezielt gegen LGBTIQ hetzen – offener und aggressiver denn je.
Der Verfassungsschutz warnt vor einer gewaltbereiten rechtsextremen Jugendkultur. Zeitgleich mit dem Aufstieg der AfD erleben wir, wie der Ton in der Gesellschaft rauer wird. Die Sprache wird härter, Menschen werden eingeschüchtert. Rechte Parolen und Hass werden immer lauter – und das bleibt nicht folgenlos. Sie stacheln Menschen an, wiegeln sie auf und ermutigen sie zu aggressivem Verhalten im Alltag.»
Der Rechtsruck sei eine reale Bedrohung – für queere Menschen, für unsere Demokratie, für unser Zusammenleben. «Viele spüren das im Alltag ganz konkret. Akzeptanz ist leider keine Selbstverständlichkeit. Sie kann auch wieder verloren gehen.
Deshalb bleibt es unsere gemeinsame Aufgabe, gegen Queerfeindlichkeit aufzustehen – und für eine offene, vielfältige Gesellschaft und Demokratie zu kämpfen.
Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung steht leider kaum etwas zu queerpolitischen Themen. Nichts zur notwendigen Reform des Abstammungsrechts für Regenbogenfamilien. Nichts zur Ergänzung von Artikel 3 Grundgesetz. Nichts zur Fortsetzung des Aktionsplans ,Queer leben', nichts zur Zukunft des Amtes der*des Queer-Beauftragten.
Ich hoffe jedoch weiterhin, dass die neue Bundesregierung an die Arbeit der letzten Jahre anknüpft. Das Amt der*des Queer-Beauftragten ersatzlos zu streichen wäre ein Rückschritt – und ein fatales Signal an unsere Community», so Lehmann.
Denn: Eine erfolgreiche Queerpolitik sei kein Selbstläufer. «Kein Fortschritt fällt vom Himmel. Rechte und Freiheiten sind nie selbstverständlich. Sie müssen immer wieder neu erkämpft und verteidigt werden. Dafür braucht es Mut, Ausdauer und einen langen Atem. Und den haben wir.
Unsere Community hat so oft bewiesen, wie stark sie ist. Wir sind mutig. Wir sind widerstandsfähig. Wir geben nicht auf. Und genau deshalb bin ich optimistisch und glaube an eine gute Zukunft.
Wir lassen uns nicht wieder entrechten oder unsichtbar machen. Freiheit wird gewinnen. Demokratie wird gewinnen. Liebe wird gewinnen.»
Der zuletzt noch geschäftsführende Queerbeauftragte scherzte am Dienstag angesichts der überraschenden Entwicklungen rund um die Kanzlerwahl. E sei froh, dass er noch nicht offiziell aus dem Amt entlassen wurde. «Gut, dass ich meine Entlassungsurkunde noch nicht bekommen habe», sagte er der dpa scherzhaft am Rande der Beratungen der Grünen-Fraktion im Bundestag. «Wer weiss, was noch kommt», schob Lehmann hinterher.
Hintergrund war das Scheitern von CDU-Chef Friedrich Merz im ersten Wahlgang der Kanzlerwahl im Bundestag. Merz erhielt in geheimer Abstimmung 310 von 621 abgegebenen Stimmen und damit 6 weniger als die nötige Mehrheit von 316. Die Bundesregierung bleibt deshalb nun erst einmal weiter geschäftsführend im Amt. Das ist für diesen Fall so vorgesehen. Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD haben zusammen 328 Sitze im Parlament.
Lehmann erklärte, er sei vom Ergebnis der ersten Abstimmung überrascht gewesen. Auch andere Grünen-Politiker berichteten davon, mit dem Verlauf der Kanzlerwahl nicht gerechnet zu haben.
Friedrich Merz wurde schliesslich im 2. Wahlgang gewählt und ist noch am Dienstag im Bundestag als Kanzler vereidigt worden. (mit dpa).
Ehre auf dem Walk of Fame: Ein Stern für Green Day und Sänger Billie Joe Armstrong (MANNSCHAFT berichtete).
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