Queer-Beauftragter: «Sehr enttäuscht über vorzeitiges Ampel-Ende»

Lehmann äussert sich zu den noch offenen queerpolitischen Vorhaben

Sven Lehmann (Foto: Christoph Soeder/dpa)

Nach dem vorzeitigen Ende der Ampel-Koalition berichtet der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, von zahlreichen Nachfragen zu den Konsequenzen der politischen Entwicklung auf die noch offenen queerpolitischen Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag.

Er wendet sich nun in einem offenen Brief an die queere Community.

Sven Lehmann (Grüne) schreibt:

«Liebe queere Community,

in den letzten Tagen haben sich die politischen Entwicklungen in Deutschland überschlagen. Die Ampel-Regierung ist zerbrochen. Bundeskanzler Olaf Scholz wird am 16. Dezember die Vertrauensfrage im Deutschen Bundestag stellen, um eine Neuwahl des Bundestags am 23. Februar 2025 zu ermöglichen.

Als Queer-Beauftragter der Bundesregierung bin ich sehr enttäuscht über dieses vorzeitige Ende der Ampel-Koalition.

Die Fortschritte der letzten Jahre bei der Gleichstellung von LGBTIQ sind messbar.

Denn trotz der aktuellen Krisen und der damit verbundenen gewaltigen Herausforderungen, trotz der schwierigen und am Ende belasteten Zusammenarbeit in der Koalition hat diese Bundesregierung queerpolitisch sehr viel umgesetzt und auf den Weg gebracht. Selbst mit einer verkürzten Legislaturperiode hat sie queerpolitisch so viel erreicht wie keine Bundesregierung vor ihr.

Im Regenbogen-Ranking von ILGA Europe gehört Deutschland seit diesem Jahr erstmals zu den Top Ten in Europa und belegt innerhalb der EU Platz 8 bei der Gleichstellung von LGBTIQ (MANNSCHAFT berichtete). Das macht mich stolz und zeigt, dass die Fortschritte der letzten Jahre messbar sind. 

Wir haben Gesetze verabschiedet, um Hasskriminalität gegen LGBTIQ besser zu ahnden oder um die Diskriminierung bei der Blutspende zu beenden. Trotz enormer Widerstände ist seit dem 1. November das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft. Das war lange überfällig und viele Menschen aus unserer Community haben sehnsüchtig darauf gewartet, das zeigen auch die hohen Anmeldezahlen bei den Standesämtern. Erstmalig hat die Bundesregierung einen Aktionsplan «Queer leben» beschlossen und die Community intensiv an diesem Prozess beteiligt. Der Bericht zum Umsetzungsstand des Aktionsplans wird zeigen, dass sich das queerpolitische Engagement dieser Regierung sehen lassen kann.

Verständlicherweise erreichen mich derzeit viele Nachfragen, wie es nun weitergeht mit den noch offenen und im Koalitionsvertrag vereinbarten queerpolitischen Vorhaben. Bei noch ausstehenden Gesetzesvorhaben wie der Reform des Abstammungs- und Familienrechts, der Ergänzung von Artikel 3 Grundgesetz oder der gesetzlichen Absicherung der trans Gesundheitsversorgung waren wir auf einem sehr guten Weg. Die ursprünglichen Planungen sind nun aber leider durch den Bruch der Ampel-Koalition über den Haufen geworfen.

Es ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar, was von der Bundesregierung und dem Bundestag in der sehr kurzen Zeit bis Mitte Dezember noch verabschiedet werden kann, vor allem ob und wie Mehrheiten im Bundestag für welche Vorhaben so kurzfristig organisiert werden können. Im Bundestag haben die beiden noch in der Bundesregierung verbliebenen Parteien SPD und Grüne keine eigene Mehrheit, um Gesetze auf die Tagesordnung zu setzen und somit zur Abstimmung zu stellen. Dafür sind die Stimmen der anderen im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien notwendig.

Es wäre unehrlich und falsch, wenn ich Versprechungen oder Prognosen dazu abgeben würde, vieles liegt auch ausserhalb meiner Möglichkeiten und die letzten Tage haben gezeigt, wie schnell Pläne überholt sind. Derzeit ist vieles einfach nicht abzusehen.

Zeitgleich gibt es diverse Verhandlungen und Gespräche innerhalb der Regierung und zwischen den Fraktionen. Ich werde alles dafür zu tun, um mit der jetzigen Minderheits-Regierung und im Bundestag noch so viel wie möglich auf den Weg zu bringen. Darauf könnt ihr Euch verlassen.

Auch wenn Gesetze wegen der anstehenden, zeitnahen Auflösung des Bundestags nicht mehr beschlossen werden können, so können wir die Grundlage schaffen, an die eine neue Bundesregierung dann hoffentlich anknüpft und anknüpfen sollte.

Denn eins ist klar: Bei allen Errungenschaften ist politisch weiterhin sehr viel tun, damit alle Menschen verschieden sein können – aber gleich an Rechten und Würde!»

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