Alter Ego: Die ach so gute Stimme der Vernunft

Zwei Männer vor dem Computer bei der Arbeit.
(Bild: Unsplash, Maxim Tolchinskiy)

Unser Autor berichtet in seiner «Alter Ego»-Kolumne* von einem unendlichen Montag im Kundenservice-Karussell.

Unsere Agentur an einem Montagmorgen. Ich lese die Mail einer Kundin, für die wir eine Website für ein neues Yogazentrum erstellen.

Kundin: Wie ich feststellen muss, wurden meine Änderungswünsche noch nicht umgesetzt. Bitte schnellstmöglich erledigen! Und wann geht der Shop online?

Ich (tippe): Guten Morgen. Wir haben Ihre Sprachnachricht am Samstagabend erhalten. Die Änderungen werden wir umsetzen. Der Shop steht, die Produkte müssen noch abgefüllt werden. Können Sie uns bitte noch die Preise mitteilen?

Alter Ego: Nimm den Samstagabend raus. Das klingt sonst so vorwurfsvoll.

Ich: Das soll es ja auch. Was erwartet sie denn? Dass wir jedes Wochenende für sie durcharbeiten?

Alter Ego: Bleib einfach professionell und freundlich.

Ich lösche das Beanstandete und schicke die Mail ab. Zehn Minuten später kommt die Antwort.

Kundin: Ich bin schon sehr erstaunt, wie lange Sie für diesen Shop brauchen. Können Sie bitte noch den CV ergänzen (s. Anhang)?

Ich: Was? Wir wissen ja erst seit vorletzter Woche, dass es überhaupt einen Shop geben soll!

Alter Ego: Reg dich nicht auf, du weisst doch, wie sie tickt.

Ich: Aber gleich wieder das Nächste schicken. Ihr CV ist doch schon jetzt total überfrachtet.

Ich öffne den Anhang.

Ich: Ein Makramee-Kurs?! Was bitte hat das mit Yoga zu tun?

Alter Ego
(Bild: Dominik Schefer)

Ich (tippe): Wie schon mitgeteilt, ist das Abfüllen des Shops sehr aufwändig. Und sind Sie sicher wegen des Handarbeitskurses? Die CV-Seite ist schon sehr voll.

Alter Ego: Nicht abschicken. Ergänz es einfach und schweig.

Eine halbe Stunde später erhalte ich die nächste Mail mit der Anweisung, die Aufnahme des Yogaraums auszutauschen.

Ich (tippe grummelnd): Das neue Bild ist im Querformat – das heisst, wir müssten das Layout komplett umstellen. Und für die Ansicht auf dem Handy ist es nicht ideal.

Kundin (umgehend): Sie finden eine Lösung. Das Bild muss man noch etwas bearbeiten.

Ich (baff): Sie ist absolut . . .

Alter Ego: …beratungsresistent. Das wissen wir ja schon.

Wir arbeiten weiter. Mitte Nachmittag pingt meine Mailbox.

Kundin: Das Bild ist noch nicht ausgetauscht. Gibt es ein Problem? Bitte im CV den Kurs rausnehmen. Wie weit sind Sie mit dem Shop?

Ich: Hallo! Wir können uns doch nicht vierteilen!

Alter Ego: Ruhig bleiben.

Ich (tippe): Der Shop ist zur Hälfte abgefüllt. Um das Bild kümmern wir uns danach. Bitte denken Sie an die Verkaufspreise.

Kundin (umgehend): Das Bild zuerst austauschen!

Allgemeines Stöhnen im Büro. Für die Bearbeitung und die grafischen Anpassungen brauchen wir in der Folge gut zwei Stunden.

Ich (tippe): Das Bild ist ersetzt. Und könnten Sie uns bitte noch die Verkaufspreise schicken?

Kundin (nach einer Stunde): Bitte wieder das alte Bild rein. Das neue sieht auf dem Handy nicht gut aus. Wie weit ist der Shop?

Sprachlosigkeit im Büro.

Ich: Es reicht! Darf ich ihr jetzt bitte die Meinung geigen?

Alter Ego: Nein.

Ich verlasse das Büro, fahre mit dem Lift in den Keller, öffne den Abfallcontainer und schreie fünf Minuten lang rein. Zurück am Pult bedanke ich mich bei meinem Alter Ego und schreibe betont höflich zurück. Auf die Preise warten wir immer noch.

*Samstags veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Kolumne. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

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