Pogrome verhindern – Polen braucht unsere Pride-Power!
Wann hat es das in der EU schon einmal gegeben, dass sich ganze Landesteile gegen sexuelle Minderheiten stellen?
Von einer Pogromstimmung gegen LGBTIQ ist Polen nicht mehr weit entfernt. Die Pride-Saison 2020 sollte zu einem deutlichen Signal der Solidarität werden – CSD-Tourismus inklusive, meint Stefan Mielchen in seinem Samstagskommentar*.
Im Mai wählt Polen einen neuen Präsidenten. Es wäre eine wirkliche Sensation, stiesse der linksliberale Kandidat Robert Biedroń das amtierende Staatsoberhaupt, den nationalkonservativen Andrzej Duda, vom Thron. Denn Biedroń ist schwul (MANNSCHAFT berichtete). Das wird seine ohnehin geringen Chancen im streng katholischen Polen nicht gerade verbessern. Schon ein halbwegs achtbares Ergebnis wäre spektakulär – aber auch ein wichtiges Zeichen, selbst wenn Biedroń in der polnischen Community nicht nur Freunde hat. Denn was sich seit Monaten in einem der wichtigsten Nachbarländer Deutschlands an anti-homosexueller Hetze abspielt, ist für ein EU-Mitglied unvorstellbar.
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Fast 90 Kreise und Gemeinden haben sich in Polen in den vergangenen Monaten zu «LGBT-freien Zonen» oder als «frei von LGBT-Ideologie» erklärt (MANNSCHAFT berichtete). In einer Art Selbstverpflichtungserklärung bekannten sich die Kommunen beispielsweise zu einem Verzicht auf so genannte «Homo-Propaganda» sowie zum «Schutz der Familie». Regierung, Kirche und Medien arbeiten bei der Ausgrenzung Hand in Hand. Sie fördern ein Klima des Hasses, das bereits weite Teile der Gesellschaft erfasst hat und weiter um sich greift.
Wann hat es das in der EU-Geschichte schon einmal gegeben, dass sich ganze Landesteile per Mehrheitsbeschluss gegen sexuelle Minderheiten stellen? Wer so etwas tut, schürt Pogromstimmung. Davon ist Polen nicht mehr weit entfernt. Dies anzuprangern heisst nicht, mit dem Finger auf andere zu zeigen – jeder kehre vor seiner eigenen Türe, auch in Deutschland. Doch der Rest der Gemeinschaft darf nicht tatenlos zusehen, wenn europäische Grundwerte in einem Mitgliedsland derart mit Füssen getreten werden und die Betroffenen um ihre Würde ringen.
Homosexuelle werden von Teilen der polnischen Gesellschaft zu Staatsfeinden erklärt. Politiker und Bischöfe verunglimpfen eine nicht-heterosexuelle Orientierung als jugendgefährdend und setzen Homosexualität mit Pädophilie gleich. Derweil droht der Sexualaufklärung an polnischen Schulen eine Kriminalisierung per Gesetz. Der heimliche Herrscher des Landes, Jaroslaw Kaczynski, Chef der regierenden PiS-Partei «Recht und Gerechtigkeit», würde auch CSD-Demonstrationen am liebsten verbieten lassen. Das Land, durch dessen Hauptstadt Warschau vor zehn Jahren die stolze EuroPride-Demonstration zog, die die Hoffnung auf gesellschaftspolitischen Fortschritt nährte, ist bei der Akzeptanz queerer Menschen zurück im finstersten Mittelalter.
Jüngster Höhepunkt der Auseinandersetzungen war die Aktion des schwulen Aktivisten Bartosz Staszewski, der Tafeln mit der mehrsprachigen Aufschrift «LGBT-freie Zone» neben die Ortsschilder der entsprechenden Gemeinden hängte und queere Menschen davor fotografierte. Nachdem Staszewski die Bilder ins Netz stellte, wurde er von Mitgliedern einer Regierungspartei angezeigt, weil er angeblich dem Ansehen Polens schade. Doch sein Mut wurde belohnt und zeigt, was schon ein Einzelner bewirken kann: Die Aktion schlug Wellen bis nach Brüssel.
Der belgische Politker Guy Verhofstadt, einer der prominentesten Europa-Parlamentarier, wurde auf die Aktion aufmerksam, postete die Bilder und kommentierte: «Das dreht mir den Magen um.»
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Verhofstadt forderte die Europäische Kommission «dringend auf, unverzüglich Massnahmen gegen die ekelhaften Praktiken einiger polnischer Kommunalbehörden gegen die LGBTI-Gemeinschaft zu ergreifen.» Er ist nicht der erste, der die aktuelle Situation in Polen auf die europäische Agenda setzt. Wenige Tage vor Weihnachten hatte das Parlament bereits die EU-Kommission nachdrücklich aufgefordert, die öffentliche Diskriminierung in Polen zu verurteilen, insbesondere die «LGBT-freien Zonen».
Das Europäische Parlament fordert die polnischen Behörden darin mit breiter Mehrheit nachdrücklich auf, alle Beschlüsse zurückzuziehen, in denen die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans und intergeschlechtlichen Menschen angegriffen werden. Darüber hinaus solle die Europäische Kommission dafür sorgen, dass EU-Mittel nicht für diskriminierende Zwecke verwendet werden. Damit liegt der Ball nun im Feld des Teams von Ursula von der Leyen (MANNSCHAFT berichtete). Ob sie ihn aufnimmt, ist ungewiss.
Ohne massiven Druck von aussen wird auch dieser Parlamentsbeschluss vermutlich versanden. Der Nollendorfblogger Johannes Kram schlug Anfang des Jahres bereits vor, den Fokus aller Aktivitäten des diesjährigen Hauptstadt-CSDs auf das Nachbarland zu richten und gemeinsam mit den Kolleg*innen aus Polen daran zu arbeiten, Unterstützungsaktionen auf den Weg zu bringen. Ein guter Vorschlag, der auch andernorts zur Nachahmung empfohlen ist. Die Pride-Saison 2020 sollte zu einem bundesweiten Signal der Solidarität werden – CSD-Tourismus inklusive.
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Natürlich ist auch die Politik gefragt, die sich allzu gerne wegduckt, sobald es konkret wird. Erst vor kurzem hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD) im MANNSCHAFT-Interview gesagt: «Klare Worte führen eben nicht automatisch zu einer Veränderung. Aber wenn wir in Polen denjenigen den Rücken stärken, die couragiert dafür eintreten, dass ihr Land liberal, offen und inklusiv bleibt, dann dürfte das erfolgreicher sein, als hier in Berlin etwas selbstgerecht zu beklagen, wie furchtbar man die da in Polen oder Ungarn findet. Man muss sich schon mehr anstrengen.»
Da ist was dran. Die Regierung, der Roth angehört, könnte damit einfach mal anfangen.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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