Manche meinen zu wissen, «dass ich nicht bi, sondern schwul bin»
Anna Ruhland und Jan Willems über ihren Podcast «Bi Your Side»
Anna Ruhland und Jan Willems haben zusammen den Podcast «Bi Your Side» ins Leben gerufen, um bisexuellen Identitäten mehr Sichtbarkeit zu verschaffen.
Anna und Jan, wann habt ihr selbst festgestellt, bi zu sein? Anna: Bei mir fiel der Groschen, als ich das erste Mal Sex mit einer Frau hatte. Im Nachhinein merkte ich, dass das nicht nur ein Punkt auf meiner To-do-Liste war. Mir aber einzugestehen, dass ich bisexuell bin, dauerte noch lang.
Jan: Unterbewusst wusste ich schon immer, dass ich Jungs auch gut finde. Aber ich konnte es mir erst mit 23 eingestehen. 100 Prozent sicher war ich mir jedoch noch nicht. Zwei Jahre später erzählte ich es meiner Freundin, meiner heutigen Frau. Als wir unsere Beziehung öffneten, hatte ich mein erstes Mal mit einem Mann. Danach war ich mir sicher.
Das B in LGBTIQ wird gerne vergessen
Wie steht es aus eurer Sicht um die Akzeptanz gegenüber Bisexualität? Jan: Da ist Luft nach oben! Die allgemeine Akzeptanz ist grösstenteils vorhanden. In der breiten Masse kann aber noch etwas passieren. Man kann Bisexualität von aussen kaum erkennen, wenn man nicht – wie ich es tue – mit Frau und Freund aufkreuzt. Gerade die Präsenz bisexueller Männer ist gering und begrenzt sich fast ausschliesslich auf Apps. Es fehlen Vorbilder.
Anna: Die fehlende Sichtbarkeit ist auch innerhalb der queeren Community ein Problem. Auch wenn es LGBTIQ heisst, wird das B gerne vergessen.
Was hat euch bewogen, einen Podcast über Bisexualität zu starten? Anna: Es war ein ganz intrinsischer Wunsch, Bisexualität eine Bühne zu geben. Ich habe mit meinem inneren Coming-out total gehadert und wusste nicht, ob ich mich als bi bezeichnen «darf» und ob ich einen Platz in der Community habe.
Jan: Als Anna auf mich zukam, habe ich mich riesig gefreut. Ich habe selbst schon öfter davon geträumt, irgendwann mal einen Podcast zu dem Thema zu machen. Mir haben aber das Knowhow und die Kapazitäten gefehlt. Mit Annas Expertise waren diese Hürden plötzlich nicht mehr da und durch die zwei verschiedenen Perspektiven, die wir einnehmen, war die perfekte Grundlage gelegt, meine Idee endlich in Angriff zu nehmen.
Welche «Qualifikationen» bringt ihr als Hosts mit, um diesen Podcast zu betreiben? Jan: Ich glaube wir beide sind einfach totale Labertaschen, aufgeschlossen und erfahren genug, um über entsprechende Thematiken reden zu können. Wir gehen mit dem Anspruch an die Sache, so wertfrei wie möglich über Bisexualität und queere Themen aufzuklären. Aber natürlich mit einem stark subjektiven Touch, da wir auch viel über eigene Erlebnisse sprechen. Für andere Blickwinkel laden wir hingegen Gäste ein. Da wir Support von unseren Umfeldern haben, können wir laut für die sein, die es nicht sind. Das ist ein riesiges Privileg!
Anna: Dem kann ich nur zustimmen! Hinzukommt, dass ich durch zwei Jahre «Wie Frau Liebt» organisatorische Kenntnisse mitbringe. Zum Beispiel, wie man Folgen plant, sie schneidet und danach verteilt. Jan hingegen hat als Grafikdesigner das Auge für Ästhetik. Er ist unser Social-Media-Held.
Was ist für euch das Schöne daran, bi zu sein? Anna: Man hinterfragt plötzlich, was man alles angenommen haben könnte, das vielleicht nicht zu einem passt. Müssen Beziehungen immer monogam und zwischen zwei Menschen sein? Definitiv nicht! Das Leben ist bunt, fluide, individuell und schön, das hat mir die Bisexualität deutlich gemacht.
Jan: Das Verlieren des Schubladen-Denkens in vielen Situationen. Ich habe die Fähigkeit, den Facettenreichtum von Liebe, Beziehung und Sex komplett auskosten zu können, wenn ich denn will.
Habt ihr Diskriminierungserfahrungen bezüglich eurer Bisexualität machen müssen? Jan: Ja, früher beim Dating gab es den ein oder anderen Typen, der meinte, er wisse besser, dass ich nicht bi, sondern schwul sei. Auf Grundlage dessen, dass er sich selbst vor seinem schwulen Coming-out als bi identifiziert hätte. Outing-Prozesse sind super individuell. Man kann sie nicht einfach auf alle anderen übertragen. Was mir auch unterstellt wurde: Ich könne mich nur nicht entscheiden.
Anna: Ich denke, dass viele Menschen mit der Idee, auf mehr als ein Geschlecht zu stehen, überfordert sind. Das mündet in Unsicherheit. Daher ist es für Aussenstehende manchmal einfacher, uns ein anderes Label zu geben, das sie besser verstehen. Das ist aber nicht in Ordnung! Wir sind bisexuell und wir existieren. Es ist ein permanenter Kampf um Anerkennung.
Was erwartet die Hörer*innen in eurem Podcast? Anna: Bisexualität ist ein Thema ohne Anfang und Ende, da es alle Ebenen unseres Lebens betrifft. Daher war die Auswahl nicht ganz einfach. Natürlich war uns wichtig, dass uns die Hörer*innen erstmal kennenlernen, deswegen haben wir einige Folgen aufgenommen, in denen wir von unserer individuellen Reise und unseren Beziehungen berichten. Aber wir wollen auch beleuchten, was Bisexualität in anderen Bereichen bedeutet. Wie zum Beispiel auf der Arbeit oder in den Medien. Und ein Herzensthema von mir ist, zu erläutern, warum wir die Pride auch 2023 immer noch brauchen.
Jan: Wir versuchen so viele Themen wie möglich anzugehen. Uns hören Menschen innerhalb und ausserhalb der Community zu, die unterschiedliche Kenntnisse mitbringen. Deswegen klären wir am Anfang jeder Folge Begriffe und wissenswerte Fakten. Wir haben auch Gäste, die uns einen neuen Blickwinkel auf verschiedene Themen ermöglichen. Im Groben geht es um Liebe, Beziehungen, Queerness und Sex, und zwar alles aus Sicht von zwei bisexuellen Menschen.
Erzählt uns doch, wie es war, die erste gemeinsame Sendung aufzunehmen. Sicher ein besonderer Moment! Jan: Ich war bestimmt schon an die sieben Mal in Podcasts zu Gast, daher war das Medium für mich nicht neu. Aber es war ungewohnt, eine Folge selbst anzuleiten, zu steuern und zu moderieren. Ich war plötzlich extrem nervös und echt froh, dass Anna da war und schon wusste, wie der Hase läuft.
Anna: Allerdings darf man auch nicht verschweigen, dass wir – beziehungsweise ich – ein paar technische Probleme hatten. Eine meiner Katzen hatte den Regler am Mikrofon verstellt. Meine Tonspur bei der ersten Aufnahme klang grottig! Da wir das aber erst danach festgestellt haben, mussten wir die erste Folge nochmal neu aufnehmen. Das war aber gar nicht schlecht, da wir dann besser aufeinander eingestimmt waren und einen besseren Flow hatten.
Welche Herausforderungen bringt ein eigener Podcast generell mit sich und was macht euch besonders Spass daran? Anna: Ich geniesse den Austausch mit Jan. Es ist so cool, sich mit jemanden zu unterhalten, dem die Themen genauso am Herzen liegen und der zudem andere Perspektiven mitbringt. Wir entwickeln uns als Hosts ständig weiter. Etwas, das mir bei meinem alten Podcast gefehlt hat. Aber es steckt natürlich auch viel Arbeit dahinter. Jan und ich sind beide vollzeitberufstätig und machen den Podcast quasi nebenbei. Das muss man organisiert bekommen und sich die Zeit freischaufeln.
Jan: Uns trennen ausserdem ein paar Kilometer. Deshalb müssen wir viel im Voraus planen und timen, weil wir wirklich alles selbst machen. Vom Aufnehmen, Schneiden bis hin zur Content-Erstellung. Trotzdem ist es wunderbar zu sehen, was nach viel Schweiss und harter Arbeit entstanden ist. Ich bin super stolz, dass wir das beide mit wenig fremder Hilfe gemeistert haben. Und ich finde das Ergebnis kann sich sehen und hören lassen.
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