Penisbruch und Schenkelsex – Der neue John Irving

«Der letzte Sessellift» erscheint an diesem Mittwoch bei Diogenes

John Irving (Foto: Basso-Cannarsa/Opale/Leemage/laif)
John Irving (Foto: Basso-Cannarsa/Opale/Leemage/laif)

Sex, Politik, schräge Figuren und absurde Todesarten – dafür lieben Fans die Romane von John Irving. Das bietet auch «Der letzte Sessellift» zuverlässig. Das neueste Buch ist das längste und eins seiner queersten. Unser Autor hat es schon gelesen.

Ich bin recht spät Irving-Fan geworden, mit «Die 4. Hand», 2001 erschienen. Hardcore-Fans des heute 81-Jährigen versicherten mir damals, da sei es schon mit seinen Büchern bergab gegangen. Das finde ich nicht, auch wenn die Veröffentlichungen davor – «Owen Meany», «Witwe für ein Jahr» und «Hotel New Hampshire» – zu meinen Lieblingsbüchern gehören, nicht nur was das Irving’sche Oeuvre betrifft.

«Letzte Nacht in Twisted River» erschien 2010. Den Roman habe ich tatsächlich nicht fertig gelesen und kenne die zwei folgenden Bücher nicht mal mit Namen. Die Magie, die Büchern wie «Gottes Werk und Teufels Beitrag» innewohnt – die hat Irving für mich irgendwann verloren.

Nun erscheint «Der letzte Sessellift». Es ist nicht – ich sage es gleich – sein bestes Werk, mit Sicherheit aber sein queerstes. Oder zumindest das mit dem queersten Personal. Schliesslich war da noch «In einer Person» zu den Themen trans Identität, sexuelle Gewalt und Intoleranz – den Roman hatte Irving seinem schwulen Sohn gewidmet.

Der Ich-Erzähler von «Der letzte Sessellift», Adam, ein angehender Schriftsteller, hat neben seiner lesbischen Cousine auch eine Mutter – Rachel genannt «Ray» –, die nicht nur eine Geliebte hat (Molly ist Pistenpflegerin und präpariert mit schwerem Gerät die Pisten für Skiläufer*innen), sondern auch einen ausgesprochen kleinen Mann heiratet, der sich später als trans Frau outet und – Irving wäre nicht Irving, wenn er es versäumen würde, uns darüber aufzuklären – «Schenkelsex» praktiziert.

Dazu kommen zwei norwegische Onkel mit schrecklich guter Laune und ein seniler Grossvater in Windeln sowie zwei böse Tanten, die rätselhafterweise so heissen wie die alten Giftmischerinnen aus «Arsen und Spitzenhäubchen» und die sich über andere das Maul zerreissen, als wären sie zwei verbitterte alte Schwuchteln. Und dann ist da noch Henrik, der Cousin des Erzählers: «Henrik war ein richtiger Junge – und auch ein richtiges Arschloch.»

Die erzählte Zeit des Romans erstreckt sich von 1942, der Geburt von Adam, bzw. seiner Zeugung 9 Monate zuvor, bis ins Jahr 2017, als Donald Trump gerade US-Präsident ist, der von einer der Figuren im Roman als «Mösengrapscher» bezeichnet wird. Wer wollte ihr da widersprechen.

Über acht Jahrzehnte amerikanische Geschichte wird erzählt, es geht ums Skilaufen und Skifahren im allgemeinen und in den Tiroler Alpen im besonderen, um Gespenster und ganz reale Waffennarren im US-Repräsentantenhaus (Cousin Henrik) und einen Amoklauf, den man als Hassverbrechen auf sexuelle Minderheiten werten darf. Und immer wieder (heterosexuelle) Bettgeschichten des Autors, die zuverlässig – und im wahrsten Wortsinn – in die Hose gehen. Einmal vermutet er gar Penisbruch.

«Ich hab mir ziemlich den Penis verbogen, er tut immer noch weh», flüsterte ich. «Aber vielleicht hab ich mir nur einen Muskel gezerrt.»

Prüde durfte man noch nie sein beim Lesen eines Irving-Romans. Der Autor ist es mit seinen mittlerweile 81 Jahren gewisst nicht. Auch ist absolut davon abzuraten, sich zu sehr an bestimmte Figuren zu gewöhnen, weil sie schon auf der nächsten Seite einem spektakulären Tod zugeführt werden können. Das passiert natürlich auch in diesem Buch.

Neu bei Diogenes erschienen: John Irving – Der letzte Sessellift
Neu bei Diogenes erschienen: John Irving – Der letzte Sessellift

«Der letzte Sessellift» ist ein unterhaltsamer und mit 1088 Seiten recht langer Roman. Er ist ausgesprochen queer, aber – auch wenn es wie immer bei Irving oft um Sex geht – als ich das Buch nach dem Lesen aus der Hand gelegt habe, war ich irgendwie unbefriedigt. Der Autor hat nach wie vor ein Händchen für absurde Geschichten, für liebenswerte Figuren und pointierte Dialoge. Aber die frühere Irving’sche Zauberkraft, es gibt sie nicht mehr.

«Meine Vorstellung einer attraktiven Frau ist ziemlicher Standard.» Die lesbische Schriftstellerin Fran Lebowitz hat eins ihren klugen und humorvollen Interviews gegeben (MANNSCHAFT berichtete).

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