Alter Ego: Egoismus versus Einsamkeit
Die MANNSCHAFT-Kolumne
Unser Kolumnist* schlendert durch die Innenstadt, als er von weitem eine alte Bekannte sieht. Angelika. Da er überhaupt nicht in der Stimmung für eine Unterhaltung ist, weicht er aus.
Alter Ego: Hast du jetzt gerade wirklich die Strassenseite gewechselt, nur um eine Begegnung zu vermeiden? Ich: Ja. Bisschen peinlich, was?
Alter Ego: Allerdings. Ich: Ich weiss. Alter Ego: Angelika ist doch ganz nett. Ich: Ja, aber «ganz nett» reicht einfach nicht.
Alter Ego: Puh, da sitzt aber jemand wieder mal auf einem ganz hohen Ross. Ich: Was soll ich denn machen? Meine Zeit ist mir zu kostbar für durchschnittliche oder in diesem Fall einseitige Gespräche. Alter Ego: Das ist egoistisch. Angelika würde sich bestimmt über eine Begegnung mit dir freuen. Sie ist ja auch recht einsam. Ich: Fragt sich warum . . . Alter Ego: Gemein! Du könntest ruhig etwas selbstloser sein.
In diesem Moment legt mir jemand eine Hand auf die Schulter, und als ich mich umdrehe, steht Angelika vor mir und strahlt.
Angelika: Wusst’ ich doch, dass du’s bist! Ich: Angelika! Was für eine Überraschung. Angelika (drückt mich an sich): So schön, dich zu sehen! Wie geht’s euch denn? Was treibt ihr so?
Ich: Geht gut. Ich war gerade ein paar Tage in London. Das war wieder einmal . . . Angelika: London! Da war ich seit Ewigkeiten nicht mehr. Wobei ich sagen muss, dass es mir beim letzten Mal nicht sonderlich gefallen hat. So teuer diese Stadt. Und dann hatte ich dieses Hotel. Hab’ ich euch davon erzählt? Als ich abends nicht mehr reinkam und der Nachtportier geschlafen hat? Das war ja was! Ich: Nein, das …
Angelika: Ich fand ja auch diese Tate Modern gar nicht so toll. Viel zu viele Leute. Klar, das Gebäude ist eindrücklich. Die Erweiterung von Herzog & de Meuron war allerdings noch im Bau. Ich: Die hab’ ich mir gerade angesehen. Ist richtig gut geworden. Und die Aussicht von ganz oben ist sensationell. Angelika: Na ja, ich würde jetzt eher nach Madrid fahren. Oder wieder einmal nach Paris. Schon allein wegen der Restaurants. England ist ja nicht gerade berühmt für gutes Essen.
Ich: Oh, da hat London aber massiv aufgeholt. So gut wie dort esse ich sonst nirgendwo. Angelika: Ich war letzten Herbst zum ersten Mal in Kopenhagen. DAS hat mir gefallen. Die haben ja auch das weltbeste Restaurant. Also das musst du dir so vorstellen.
Angelika erzählt mir mehrere Minuten und ohne Punkt und Komma von ihrer Reise.
Alter Ego: Hört die auch wieder auf? Ich: Ich sag’s ja. Die interessiert nur, was sie selbst erzählt. Alter Ego: Bei aller Liebe: Shut. The F***. Up.
Als Angelika Luft holt, unterbreche ich sie, schiebe einen angeblichen Termin vor, und verabschiede mich.
Ich (grinsend): So, war das nun selbstlos genug? Alter Ego: Ach, halt doch die Klappe.
*Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
Mit dem Hund verreisen? Ist das eine gute Idee? Unbedingt, findet unser Autor. Wobei: Es kommt wie immer darauf an (zur MANNSCHAFT Story).
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