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Vergessene Opfer: Warum trans Frauen in der Ukraine besonders gefährdet sind

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(Bild: Adobestock)

Der Krieg in der Ukraine betrifft alle – doch besonders gefährdet sind trans Frauen, die aufgrund ihrer offiziellen Dokumente oft nicht fliehen können. Während die Welt mit der Ukraine solidarisch ist, geraten ihre Rechte ins Hintertreffen.

Eigentlich wollte ich mich dieses Mal gar nicht aufregen. Eigentlich wollte ich keine Twitter-Kommentare mehr lesen. Eigentlich wollte ich einfach was fabelhaft Queeres schreiben. Eigentlich. Und dann brach der Krieg in der Ukraine aus (MANNSCHAFT berichtete). Alles war und ist auf einmal anders. 

Die Bilder der Lage vor Ort in Worte zu fassen, ist mir schier unmöglich, so unvorstellbar brutal und gewalttätig sind sie. Die Ströme von flüchtenden Menschen aus der Ukraine in die sicheren Nachbarländer sind unvorstellbar. Eine Flüchtlingskrise ungeahnten Ausmasses. Wir sind alle erschüttert, wollen helfen, wollen unterstützen. Die Hilfsbereitschaft für die Ukraine ist unermesslich gross. Auf allen Ebenen wird geholfen, gesammelt, gespendet. Grosse und kleine Netzwerke sind aktiv, beraten und vermitteln.

Und natürlich sind auch queere Menschen in der Ukraine von diesem Krieg betroffen. Schon vor dem Krieg war die Lage für trans Personen dort schwierig, erfuhren sie vielfältig Diskriminierung und gesellschaftliche Ausgrenzung. Eine Personenstandsänderung ist mit grossen Hürden verbunden, viele trans Frauen in der Ukraine haben diese nicht.

Dieser Krieg macht ihre Lage noch gefährlicher. Aktuell sind alle ukrainischen Männer im wehrfähigen Alter von der Generalmobilmachung betroffen, dürfen ihr Land nicht verlassen, sind zur Verteidigung aufgerufen; Alle Ukrainer, die bei der Geburt dem männlichen Geschlecht zugewiesen wurden. Auch diejenigen, die transgeschlechtlich sind, sich als Frau identifiziere, aber deren offizielle Dokumente weiterhin das Geburtsgeschlecht ausweisen.

Hilfe und Unterstützung für diese Frauen ist mehr als schwierig, denn in vielen Fällen kommen sie nicht oder nur schwierig über die ukrainische Grenze oder schaffen es erst gar nicht, die Checkpoints im Landesinneren zu passieren. Sie werden beleidigt und erfahren Ablehnung sowie tiefen Hass für ihre Existenz.

Der Krieg hat ihre Vulnerabilität um ein Vielfaches erhöht. Ihre persönliche Sicherheit ist jetzt umso mehr gefährdet. Was mich zudem erschüttert hat, war das Unverständnis für die besondere Lage dieser Menschen, die Gleichgültigkeit mit dem Verweis auf die nationale Gesetzgebung der Ukraine. Und welche Behandlung und Diskriminierung diese vulnerable Gruppe im ukrainischen Militär erfährt, ist unklar bis ungewiss.

Es scheint so zu sein: Im Krieg existieren nur zwei Geschlechter. So attestiert es zumindest eine deutschsprachige christliche Zeitung und benennt hier natürlich den Irrweg unserer Zeit. Endlich gibt es wieder nur den Mann, der Frau und Kind beschützt, der mutig und entschlossen bis in den Tod für seine Freiheit und die seiner Familie und seines Landes kämpft. Und sollte die eigene Männlichkeit nicht ausreichen, gibt es ja noch den Glauben, der Stacheldraht und Bombenhagel zu überwinden hilft. In dieses Bild passt die trans Frau einfach nicht, die schon vor dem Krieg nicht unbedingt in Frieden und Sicherheit leben konnte. Kein Mensch sollte zum Kämpfen gezwungen werden, nicht jeder Mensch ist in der Lage, Krieg zu führen und nicht jeder Mensch geniesst das gleiche Mass an Sicherheit.

Vergessen wir in dieser Krise nicht die Menschen und gesellschaftlichen Minderheiten, die bereits vor der Krise kein sicheres und selbstbestimmtes Leben führen konnten. Lassen wir es nicht zu, dass die aktuelle Lage den Schutz von Minderheiten hintanstellt. Finden wir auch für diese Gruppen menschliche Lösungen und gewähren ihnen unsere gesamte Unterstützung. Fordern wir von unserer Politik ein, sich auch in dieser Zeit gegenüber der Ukraine für die Wahrung und Beachtung der Menschenrechte einzusetzen und dass sich das Land auch für die trans Frauen einsetzt, die vor Krieg, Gewalt und Elend fliehen möchten.

Anastasia
Illustration von Anastasia Biefang (Bild: Sascha Düvel)

Die trans Perspektive

Anastasia Biefang war die erste trans Kommandeurin der deutschen Bundeswehr und Protagonistin des Films «Ich bin Anastasia». Sie wohnt in Berlin.

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Weitere Kolumnen-Beiträge von Anastasia: «die trans Perspektive».

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*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

Als Gesicht und mittlerweile alleiniges Mitglied des Projekts Years & Years eroberte Olly Alexander die Charts und schaffte es, selbst Kylie Minogue und Elton John von sich zu überzeugen. Für viele LGBTIQ erfüllt der Sänger und Schauspieler zudem eine wichtige Vorbildfunktion (zum Interview).

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