«No Sex, Please»: Britische Regierung will spätere Sexualkunde

Kinderschutzorganisation warnt: «Bildung verhindert Missbrauch»

Symbolbild: Pexels, Artstel
Symbolbild: Pexels, Artstel

Über Geschlechtsverkehr sollen Schüler*innen frühestens mit 13 Jahren etwas lernen, über Transidentität gar nichts mehr. Will die konservative Regierung das Thema für den Wahlkampf nutzen?

«Let’s Talk About Sex, Baby?» Der Titel des Hits von Salt-N-Pepa gilt nicht in Grossbritannien, jedenfalls wenn es nach der konservativen Regierung von Premierminister Rishi Sunak geht. Eine neue Richtlinie macht Schulen unmissverständlich klar, wann sie ihren Schüler*innen welche Teile der Sexualerziehung beibringen sollen. Kurzversion: Möglichst spät. Kritiker*innen sind empört und werfen den Konservativen vor, das Thema für den Wahlkampf zu missbrauchen. Anstatt an den Pop-Schlager von 1991 denken sie angesichts der strengen Vorgaben eher an den Titel einer Komödie aus den 70-ern: «No Sex Please, We’re British».

Sunak stand beretis im Februar in der Kritik, weil er die Definition des Frauseins als politischen Streitpunkts ausgenutzt hatte, während die Mutter der getöteten Brianna Ghey als Gast das Parlament in London besucht hatte.

Die neuen Altersvorgaben bei der Sexualerzierhung von Bildungsministerin Gillian Keegan sollen sicherstellen, dass Kinder nicht «zu früh zu vielem ausgesetzt» werden. Demnach soll in Schulen frühestens und rein wissenschaftlich über Fortpflanzung gesprochen werden, wenn Kinder neun Jahre alt sind. Das entspricht der fünften Klasse. Themen wie sexueller Missbrauch, Rachepornos, Stalking und Zwangsverheiratung sollen nicht vor der siebten Klasse (11 Jahre) unterrichtet werden. Und die Einzelheiten sexueller Handlungen wie Geschlechtsverkehr sind nicht vor der neunten Klasse (13 Jahre) dran. Über Themen wie Transidentität soll gar nicht mehr gesprochen werden. Begründung: zu umstritten.

«Eltern können ein für alle Mal beruhigt sein, dass ihre Kinder nur altersgerechte Inhalte lernen», sagte Keegan. Vor allem betont die Regierung, dass Eltern umfassend Einsicht in Lehrpläne und Unterrichtsmaterialien erhalten sollen. «Dieser aktualisierte Leitfaden stellt den Schutz von Kindern in den Mittelpunkt und verankert das Recht der Eltern, zu wissen, was ihren Kindern beigebracht wird», betonte die Ministerin.

«Bildung verhindert Missbrauch» Viele Expert*innen halten von der neuen Regelung wenig. Ihre Furcht: Dass Kinder in einer Gesellschaft, in der Sex immer prominenter zur Sprache kommt und sexuelle Inhalte vor allem wegen des Internets immer einfacher zugänglich sind, zu lange alleingelassen werden.

Die Kinderschutzorganisation NSPCC betonte, vielmehr müsse die Regierung Kinder und Jugendliche in die Lage versetzen, zu erkennen, wenn etwas nicht stimmt, und notfalls Hilfe zu suchen. «Bildung ist einer unserer stärksten Hebel zur Verhinderung von Kindesmissbrauch», sagte ein Sprecher.

Die Chefin der Organisation Sex Education Forum, Lucy Emmerson, warnte: «Wenn Themen eingeschränkt würden, wären Minderjährige noch stärker darauf angewiesen, Antworten zu Themen wie Pornografie, kontrollierendem Verhalten und sexuell übertragbaren Krankheiten aus Online-Quellen zu erhalten.» Die Kampagne End Violence Against Women Coalition betonte, Aufklärung sei ein «Eckpfeiler der Prävention von Gewalt gegen Frauen und Mädchen».

Doppelt so viele Teenagerschwangerschaften wie in Deutschland Einer Studie der britischen Kinderschutzbeauftragten zufolge sehen Kinder durchschnittlich im Alter von 13 Jahren erstmals Pornografie, ein Drittel sogar mit 11. Die Zahl der Teenagerschwangerschaften in England und Wales ist zwar seit 2011 deutlich gesunken. Mit gut 13 je 1000 weiblichen Teenagern lag die Quote 2021 aber immer noch mehr als doppelt so hoch wie beispielsweise in Deutschland.

Die britische Regierung beruft sich bei ihrem Vorgehen auf «Berichte über beunruhigende Materialien», die im Unterricht genutzt worden seien. Ministerin Keegan sagte dem Sender BBC Radio 4, sie habe Hinweise auf Unterrichtsmaterial erhalten, in denen gelehrt werde, dass es zahlreiche verschiedene Geschlechter gebe. Zugleich räumte Keegan ein, sie glaube nicht, dass dieses Thema weit verbreitet sei.

Aktuelle Umfragen deuten auf eine verheerende Niederlage von Sunaks Tory-Partei bei der Parlamentswahl hin, die noch dieses Jahr stattfinden soll. Die Regierung nutzt Genderpolitik nach Ansicht von Kritikern verstärkt, um mit Angriffen auf angebliche «woke» Ideologien bei konservativen Wählern um Stimmen zu werben. «Schüler werden in ein hochsensibles Thema hineingezogen und als Spielball für Schlagzeilen missbraucht, obwohl wir uns auf ihr Wohlergehen konzentrieren sollten», kritisierte Pepe Di’Iasio, Generalsekretär des Schulleiterverbands Association of School and College Leaders.

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