Neue Ersatzreligion? Homophobie-Falle Esoterik

Wie spirituelle Suchende im «digitalen Supermarkt» in fragwürdige Glaubenssysteme rutschen – und welche Hilfe es gibt

(Bild: pexels.com)

Viele Menschen, die etwa spirituelle Fragen haben, suchen im Internet nach passenden Angeboten. Einige rutschen dabei in eine gefährliche, nicht selten homofeindliche Szene ab, ohne es zu merken. Doch es gibt Hilfe.

Die Zahl der Angebote, die etwa auf spirituelle Fragen Antwort geben, ist nach Auskunft einer Expertin die vergangenen acht Jahre stark gestiegen.

«Es zeigt sich eine zunehmende Pluralisierung und Individualisierung des religiösen Lebens. Menschen wählen und kombinieren Glaubenselemente aus verschiedenen Traditionen und gestalten so ihren eigenen, personalisierten Glauben», sagte die Leiterin der Geschäftsstelle für gefährliche religiös-weltanschauliche Angebote am Kultusministerium in Stuttgart, Mirijam Wiedemann. Diese Tendenz werde oft als «spiritueller Supermarkt» beschrieben. Dies sehe man am Boom im Bereich der Esoterik- und Lebenshilfeszene.

Digitalisierung spielt entscheidende Rolle Die Digitalisierung spiele in dem Bereich eine entscheidende Rolle. «Das Internet und Social Media haben die Verbreitung religiöser und weltanschaulicher Inhalte erleichtert und ermöglichen es, Glaubensgemeinschaften über geografische Grenzen hinweg zu vernetzen und Angebote für Menschen sichtbarer werden zu lassen», schrieb Wiedemann in ihrem letzten Bericht.

Der digitale Raum habe zudem ein gezieltes «Targeting» neuer Kund*innen beziehungsweise potenzieller Mitglieder ermöglicht. Unter Targeting versteht man Zielgruppenansprache.

«Häufig geht es um Kindeswohlgefährdung und die Beeinträchtigung geschützter Rechtsgüter»

Mirijam Wiedemann

Anhand der Anfragen, die bei der Geschäftsstelle der Interministeriellen Arbeitsgruppe eingehen, werde eine Zunahme von Fällen vor allem im Bereich der Esoterik, Verschwörungsmythen, dem Lebenshilfe- beziehungsweise Coachingmarkt und den christlich-fundamentalistischen Gruppen beobachtet. «Häufig geht es um Kindeswohlgefährdung und die Beeinträchtigung geschützter Rechtsgüter», sagte Wiedemann.

Über Social-Media-Kanäle wie Tiktok, Instagram und YouTube erreichten religiöse und weltanschauliche Influencer*innen insbesondere junge Menschen. «Diese sogenannten ‹Sinnfluencer› prägen die Szene, darunter auch ‹Christfluencer› und muslimisch orientierte Influencer. Unter dem Hashtag ‹WitchTok›, der sich milliardenfach auf TikTok verbreitete, hielten auch esoterische Angebote Einzug in viele Kinderzimmer», heisst es im Bericht von Wiedemann. Besonders auffällig seien «Sinnfluencer», die zum Teil mit homophoben oder diskriminierenden Äusserungen auffielen. 

Ein Beispiel: die Freilernerszene Der Bericht beschreibt laut Wiedemann zwar die allgemeine Entwicklung, er geht aber sehr spezifisch auf die Problemfälle ein und auch auf die Fälle, bei denen sich ein Gefährdungspotenzial für die Bürger*innen ergeben kann. «Ein Beispiel ist die Freilernerszene. Die ist auch coronabedingt gestiegen, auch weil Eltern nun die Möglichkeit hatten, die Kinder zu Hause im sogenannten Homeschooling zu unterrichten oder aber auf externe Anbieter zurückzugreifen.»

So habe sich etwa ein Vater in einem Telefonat an sie gewandt. Er habe gesagt, er wolle sein Kind auch zu Hause unterrichten, aber aus einem ganz anderen Grund. Er habe eine Tochter und wolle sie vor Mobbing oder möglichen Übergriffen schützen. Er denke darüber nach, sie bei einem bestimmten Freilerner-Angebot anzumelden.

«Ich habe ihn über die Verbindungen und Hintergründe des Angebots informiert, das gerade in diesem Fall Überschneidungen zur Anastasia-Bewegung und zur braunen Esoterik aufwies und auch möglicherweise in die Selbstverwalterszene und in die rechtsextreme Szene führen könnte», sagte die freigestellte Gymnasiallehrerin. Es sei vielen Menschen nicht bewusst, dass Gefahren drohten.

Anastasia-Bewegung und braune Esoterik Die Anastasia-Bewegung beruft sich auf die Romangestalt Anastasia eines russischen Gegenwartsautors. Ihre Anhänger haben sich einer esoterisch begründeten Rückbesinnung auf die Natur verschrieben, verbunden unter anderem mit einem reaktionären Gesellschaftsverständnis.

Die Anhänger*innen gründen «Familienlandsitze» und verschreiben sich dem Prinzip der Selbstversorgung. Der Begriff braune oder rechte Esoterik bezeichnet esoterische Lehren, die im politisch rechtsextremen Milieu angesiedelt sind oder versteckt rechtsextremistische Ideologien verbreiten.

Der Journalist Silvio Duwe gab kürzlich gegenüber dem Tagesspiegel an, er habe Anhänger*innen der Anastasia-Bewegung getroffen, die glaubten, man könne Homosexuelle an ihrem nach rechts oder links verschobenen Bauchnabel erkennen. Und «heilen» könne man sie auch, indem man ihren Nabel mit einer speziellen Massagetechnik in die Mitte zurückschiebe.

U.a. in Brandenburg hat der Verfassungsschutz die Anastasia-Bewegung als rechtsextremen Verdachtsfall eingestuft.

Der Hafen der Ehe wartet mit allerhand Konventionen auf. Lohnt es sich, diese Tradition in der queeren Liebe fortzuführen? Die genderfluide Hochzeitsplanerin Cora Gäbel weiss Rat (MANNSCHAFT berichtete).

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