«Nackt vor einer Kiste Haake Beck»: Anja Müllers queere Männerakte
Zwanzig Jahre nach «Männer» kommt nun «Männer 2» beim Konkursbuchverlag raus
Eines ihrer Models schrieb Anja Müller über eine Dating-Plattform an. Sie suche Männer «in den Dreissigern und Vierzigern», von denen sie «intime Fotos» machen wollte. Domen Podnar fragte sich: «Was bezweckt diese fremde Frau?» Aber ihre Neugierde an ihm weckte sein Interesse, und so ist er jetzt Teil des neuen Buchs «Männer 2», das beim Konkursbuchverlag erschienen ist.
Anja Müller kam zu Podnar in die Wohnung, und in der Küche unterhielten sich beide «über Gott und die Welt», bevor die Aufnahmen entstanden, die dann ihren Weg ins Buch fanden. Ein anderes Modell, Nicolas Boemke, erzählt, dass er Müllers Bildband «Paare» kannte sowie «60plus», wo die Porträtierten «eine so starke Intensität von Liebe zum eigenen Körper darstellten», dass er begeistert war. Und beim neuen Projekt gern selbst mitmachen wollte.
«Im Nu agierte ich nackt vor der Kamera», erzählt Boemke in einem Interview im Buch: «Obwohl sie mich dirigierte, liess mich ihre unaufdringliche, zurückhaltende Art fast vergessen, dass ich fotografiert werden.» Er ergänzt: «Ich will Narziss nicht nacheifern, aber ich schaue mir die Fotos von mir gerne an und werden auch manchmal etwas selbstverliebt und mehr … Wenn fremde Menschen diese Fotos anschauen, hoffe ich, sie haben ebensolche Freunde wie ich dabei habe, Aktfotos anzusehen, und die Empathie, sich in Menschen hineindenken zu können.» Boemke hofft auch auf «Respekt vor dem Menschen», der sich da zeigt mit all «seinen Facetten».
Es sind definitiv facettenreiche Fotos, die Müller von sehr diversen Männern gemacht hat – die ein breites Spektrum an «Typen» repräsentieren, was Alter und ethnische Hintergründe angeht, Körperformen und Gendernormen. Die Personen wirken allesamt sehr «echt» und «ungeschönt», was ihnen eine Sinnlichkeit gibt, die man in den meisten Hochglanzfotobänden mit männlichen Akten – beispielsweise von Mark Henderson, Rick Day, Michael Stokes oder David Vance – eher vermisst. (MANNSCHAFT berichtete über weitere Beispiele von «New Queer Photography».)
«Nackt auf einem Tisch um 20 vor 12» Hier geht es nicht um fitnessstudiogestählte «Schönlinge» oder Pornogötter, die hoffen, mit ihren Bildern in sozialen Medien möglichst viele Likes zu bekommen und Leute zu ihren OnlyFans-Accounts zu locken, hier geht es um einen fast privaten Blick – auch in die Wohnräume der abgebildeten Personen. Und die sind ebenfalls alles andere als «Hochglanz», sondern ein Abbild von deutschem Alltag.
Also keine Schnappschüsse vom Pool in Beverly Hills oder Palm Springs oder Texas, keine New Yorker Skyline im Hintergrund. Stattdessen: der Versuch, deutschem Wohnalltag (und deutscher Unterwäsche) eine eigene Erotik zu geben, die weit über Calvin Kleins und Addicted-Schlüpfer hinausgeht.
Im Vorwort weist Jan Krüger darauf hin, dass Anja Müller vor 20 Jahren ihr erste Fotobuch im Konkursbuchverlag herausgebracht hat. Es hiess ebenfalls einfach nur «Männer» und war noch schwarzweiss sowie analog fotografiert. Jetzt folgte also Band 2 in Farbe. Krüger schreibt zu den Bildern: «Ein Mann ist nicht einfach nackt, sondern nackt-auf-einem-Tisch-vor-einer-Kiste-Haake-Beck-um-zwanzig-vor-zwölf.» Die Bilder seien «ein Wechselspiel mit den Räumen, in von den Männern belebt werden.»
«Ist das ein Liebespaar?» Krüger schickt auch ein «Apropos Mann-Sein» hinterher: «Tatsächlich habe ich in Anja Müllers Männerbildern von Anfang an etwas wie einen ‹queeren› Blick gefunden – lange bevor mir der Begriff geläufig wurde.» Die Modelle, die man sieht, kommen mit «Leerstellen und Rätseln» daher: «Welche Verbindung besteht zwischen den Fotografierten? Ist das ein Liebespaar? Oder sind es ‹bloss› Freunde, Sexbekanntschaften? Und wer ist der Mensch auf der nächsten Seite, womöglich in derselben Wohnung, ein paar Wochen, Jahre später?»
Die Antwort auf diese Fragen bleibt dem bzw. der Betrachter*in überlassen. Und das macht die Kraft des Bildbandes aus. Männerkörper aus weiblicher Perspektive zu betrachten, diesen Fokus setzte kürzlich auch die Ausstellung bzw. der Katalog «Masculinities: Liberation Through Photography» (MANNSCHAFT berichtete). Während da viele Essays einen theoretischen Rahmen schufen, lässt Anja Müller in «Männer 2» das Theoretisieren weg. Was man als erfrischend ansehen kann: Denn die Bilder sprechen für sich.
Die Bilder stehen auch im krassen Kontrast zu Arbeiten des deutschen Fotografen Florian Hetz, der seinerseits Männer in Alltagssituationen in deutschen Innenräumen zeigt – aber mit dem Blick eines schwulen Mannes und mit Details, die eine andere Erotik ausstrahlen, als Müller das tut. Hetz war durch eine schwere Erkrankung gezwungen, sein Leben grundlegend auf den Kopf zu stellen. Indem er die banalsten Tätigkeiten mit der Kamera dokumentierte, fand er zurück in den Alltag. Und einen neuen Beruf. Mehr dazu gibt’s in der neuen MANNSCHAFT (Ausgabe Frühling 2022).
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