«Meine Familie beruht auf gesundem Menschenverstand.»
Ricky Martin über Leihmutterschaft und die Auswirkungen seines Coming-outs
Mannschaft Magazin traf Ricky Martin kurz vor seinem Konzert in Montreux und sprach mit dem Weltstar über sein Vaterglück und sein neues Leben als offen schwuler Mann.
«Ihr habt es so wunderschön hier, da kannst du ja richtig stolz sein, hier leben zu können», sagt Ricky Martin zu mir, als er vom Sessel aus den Genfersee betrachtet. Es ist der 6. Juli 2011, kurz vor seinem Auftritt am Montreux Jazz Festival. Obwohl er gerade erst in der Schweiz angekommen ist, wirkt der Weltstar ruhig, erholt und – was kaum zu übersehen ist – rundum zufrieden. Dabei gab es in den letzten Jahren einen gehörigen Wirbel um sein persönliches und berufliches Leben. Der 39-jährige Puertorikaner ist stolzer Vater von Zwillingen geworden und outete sich letztes Jahr als «glücklicher, schwuler Mann». Kurz darauf folgten seine Autobiografie «Ich» und sein neustes Album «Música + Alma + Sexo». Jetzt befindet sich Ricky noch bis Ende Jahr auf seiner Welttournee.
«Ich will nur ein Zeichen setzen»
«Bitte keine Fragen über, na du weisst schon», sagt mir seine Agentin kurz vor dem Interview. Ich stelle mich dumm und lasse mich nicht beirren. Schliesslich scheint es nicht so, als hätte Ricky irgendetwas zu verbergen. Man sieht es ihm ganz klar an: Er ist mit sich selber ins Reine gekommen.
Seit vier Jahren ist Ricky Martin in einer festen Beziehung. Die Identität seines Partners möchte er vorerst noch geheim halten, um ihn vor der Medienaufmerksamkeit zu schützen, die ihn «überrumpeln» könnten. Ricky verrät lediglich, dass sie heiraten wollen. Aber erst, wenn die gleichgeschlechtliche Ehe oder eine Form der eingetragenen Partnerschaft in Puerto Rico eingeführt wird, denn er wolle nur in seiner Heimat heiraten.
Wer versucht, andere Menschen zu ändern oder zu predigen, macht sich schnell Feinde.
Ich frage Ricky, was er den Schweizer Politikern sagen würde, die auf das Adoptionsverbot für Schwule und Lesben beharren. Schliesslich entschied er sich 2008 mit Hilfe einer Leihmutter Vater zu werden, obwohl in Puerto Rico die Homosexualität alleine schon von vielen religiösen und konservativen Kreisen verpönt wird. Der Start seiner Welttournee anfangs Jahr wurde von Boykottaufrufen und vereinzelten Medienauftritten von Priestern begleitet, die ihn mit dem Teufel verglichen. Doch all diese negativen Stimmen scheinen Ricky Martin nichts anhaben zu können.
«Wer versucht, andere Menschen zu ändern oder zu predigen, macht sich schnell Feinde. Ich will nur ein Zeichen setzen», sagt er. «Kinder grosszuziehen ist ein Menschenrecht und da ist langsam aber sicher etwas im Gange. Meine Familie beruht auf Liebe, Respekt und, vor allem, auf gesundem Menschenverstand. Ich lehre meinen Kindern, sich auf die Gemeinsamkeiten der Menschen zu konzentrieren und nicht auf Unterschiede.»
Totale Anonymität im Leihmutterschaftsprozess
Man merkt, dass seine Söhne Valentino und Matteo den Mittelpunkt in Rickys Leben bilden. Bei jeder Gelegenheit schwärmt er von ihnen. «Ich wollte unbedingt Vater werden, das ist vielleicht auch ein Grund weshalb ich mich nicht früher geoutet habe», sagt er.
Die Entscheidung, Kinder zu adoptieren kam mit 35 Jahren: «Ich googelte ‹Kindererziehung› und ‹alleinerziehende Eltern› und habe mich so schliesslich über Adoption und Leihmutterschaft informiert. Fast genau ein Jahr später hielt ich meine Kinder in meinen Armen.»
In seiner Autobiografie «Ich» beschreibt Ricky den ganzen Ablauf der Leihmutterschaft. Nachdem er eine Agentur und eine Anwaltskanzlei gefunden hatte, die ihm zusagten, machte er sich auf die Suche nach einer Eizellen-Spenderin. Er verbrachte eine ganze Woche damit, die vereinzelten Biografien der in Frage kommenden Frauen zu studieren. «Obwohl ich wusste, dass ich nach einer Frau mit Eigenschaften suchte, die meine eigenen ergänzten, war es sehr schwer, die richtige Person auszuwählen», sagt er. «Vielleicht wäre es mir, wenn ich mich in jemanden verliebt hätte, nicht so schwer gefallen; wir hätten uns eben geliebt und Babys bekommen. Aber das hier war eine andere Sache, und eine Person allein auf Grundlage ihres Lebenslaufs auszuwählen, erwies sich als viel schwieriger, als ich mir das vorgestellt hatte.»
Falls meine Söhne später wissen wollen, wer ihre Eizellen gespendet hat, kann ich ihnen Bilder der Frau zeigen. Sie haben ein Recht zu wissen, wer diese Frau ist
Nachdem sich Ricky für eine Eizellen-Spenderin entschieden hatte, musste er eine Leihmutter finden. Dabei konnte er sich zwischen einer offenen oder einer geschlossene Adoption entscheiden: In der offenen Adoption kennen sich alle Beteiligten und stehen in Kontakt zueinander. Bei einer geschlossenen Adoption hingegen möchte die Mutter, die ihr Kind zur Adoption freigibt, keinen Kontakt zu ihrem Kind oder zu denjenigen haben, die es grossziehen. Die Mehrheit aller Leihmutterschaften folgen dem Prozess der geschlossenen Adoptionen. Sie werden anonym und ohne jeglichen Kontakt abgewickelt. Auf Anraten seiner Anwälte entschloss sich auch Ricky für die geschlossene Adoption. Obwohl der ganze Prozess anonym war, stand er während der gesamten Schwangerschaft hindurch in Kontakt mit ihr und den zuständigen Ärzten.
«Falls meine Söhne später wissen wollen, wer ihre Eizellen gespendet hat, kann ich ihnen Bilder der Frau zeigen. Sie haben ein Recht zu wissen, wer diese Frau ist. Aber sie wolle in keinerlei Kontakt zu ihnen treten. Sie habe, sagt sie, mit alldem gar nicht so viel zu tun und ausserdem gar nicht unbedingt selbst den Wunsch, Mutter zu werden», sagt Ricky.
Durch die Söhne zum Coming-out
Obwohl Ricky die Vaterschaft als Grund nennt, wieso er sich nicht früher geoutet hatte, ist es letzlich wieder die Vaterschaft, die ihn dazu bewog, sich zu outen. «Als ich meine Kinder zum ersten Mal in meinen Armen hielt, dachte ich, dass das wohl das faszinierendste Gefühl der Welt sein müsse. Die ganze Welt solle davon erfahren», sagt Ricky. «Aber vorher musste ich ehrlich sein. Nicht ehrlich mit der ganzen Welt, sondern ehrlich mit meinen Kindern. Ich will nicht ein beschämter Vater sein, der sich selbst oder sonst irgendetwas in seinem Leben verstecken muss. Ich möchte, dass meine Kinder ein schönes und unbeschwertes Leben führen können, so dass sie sagen können: ‹Das ist mein Vater. Er ist schwul. Ja, und?›»
Obwohl ihn sein Manager warnte, seine Karriere könne an einem Coming-out zugrunde gehen, war Ricky bereit, sich den Medien zu stellen. Es war Montag, der 29. März 2010, und Ricky befand sich zuhause in Miami. Über das Wochenende hatte er sorgfältig einen langen Brief an die Öffentlichkeit aufgesetzt, in dem er sich nicht nur als einen «schwulen Mann», sondern als einen «glücklichen, schwulen Mann» bezeichnete.
«Jenes Wochenende schien mir wie eine halbe Ewigkeit», erinnert sich Ricky. «Ich schrieb den Brief am Freitagabend und wartete dann bis Montag, bevor ich ihn veröffentlichte. Jeder, der für mich arbeitete, sollte wieder im Büro sein und ihn lesen können. Meine Mutter ist sogar aus Puerto Rico zu mir nach Miami geflogen. Ich wollte, dass sie in diesem Moment bei mir war. Als ich dann auf ‹Absenden› klickte, fühlte ich mich so lebendig wie nie zuvor.»
Nach seinem Coming-out vervierfachten sich Rickys Twitter-Anhänger von 400’000 auf 1,8 Millionen. Glückwünsche trafen aus aller Welt ein, auch von anderen Latino-Stars. «Wenn ich gewusst hätte, dass ich eine solche Reaktion hervorrufen würde, hätte ich mich schon vor Jahren geoutet», sagt er.
Es waren keine Lügen, nur «Manipulation»
Vor seinem Coming-out schrieb Ricky 18 Monate lang an seiner Autobiografie, in der er sich komplett seiner Sexualität widmete. Das spannende Buch gewährt einen Blick hinter die Kulissen des sonst so korrekten und braven Latino-Stars. Er erzählt von seinen sexuellen Erfahrungen mit Männern, die für ihn zu kompliziert waren, sowie mit Frauen, die ihm um einiges einfacher schienen. Schliesslich versöhnt sich Ricky mit sich selbst und gesteht sich seine Homosexualität ein. In seinem Buch schreibt er: «Obwohl ich sagen kann, dass ich auch eine starke Anziehung und Chemie zu Frauen fühlte, ist es ein Mann, der mein instinktives, animalisches Selbst erweckt.»
Rickys Familie wusste es schon übere mehrer Jahre hinweg. Seine Mutter hatte ihn darauf angesprochen, als er noch nicht einmal fünfundzwanzig war. Trotzdem war es am Anfang für sie nicht einfach, seine Sexualität zu akzeptieren. «Es war so cool von ihr zu fragen, ob ich mich in eine Frau oder in einen Mann verliebt hatte. Aber sie hatte ihre Mühe damit. Sie sagte: ‹Ich liebe dich, mein Sohn. Ich stehe hinter dir.› Und dann hat sie wohl etwas Anderes realisiert: ‹Oh mein Gott, es ist Kiki (sein Spitzname). Es geht um seine Karriere.› Ich bin mir sicher jede Mutter reagiert da anders.»
Erste öffentliche Gerüchte über seine Sexualität begannen kurz vor der Jahrtausendwende. Als er von Plus 7 Days Magazine darauf angesprochen wurde, erwiderte er: «Wenn ich schwul wäre, würde ich es zugeben. Warum auch nicht? Ich bin ein normaler Mann. Ich liebe Frauen und Sex. Ich bin ein echter heissblütiger Puertorikaner und habe mich noch nie von einem Mann sexuell angezogen gefühlt.» Im Jahr 2000 fragte die berühmte amerikanische Moderatorin Barbara Walters während eines Fernsehinterviews nochmals, ob er denn den Gerüchten kein Ende setzen wolle. Nein, er fühle sich nicht danach, erwiderte er.
Heute ist dieses Fernsehinterview das einzige in ihrer Karriere, das die legendäre TV-Frau bedauert. «Ich habe damals Ricky sehr stark bedrängt, sich zu outen. Er hat es immer so vehement verneint, dass es die Gerüchte nur noch verstärkt hat», sagt Walters. «Viele Leute meinen, dieses Interview habe seine Karriere zerstört. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, finde ich die Frage unangebracht.»
«Viele fragen mich heute, wieso ich jahrelang gelogen habe. Ich denke nicht, dass ich gelogen habe. Ich habe Informationen manipuliert», sagt Ricky heute. Schon bei seinem ersten Interview im Jahr 1984, als seine Karriere mit Menudo kurz vor dem Durchbruch war, habe er Informationen manipuliert, als er der Presse sagen musste, dass er elf und nicht zwölf Jahre alt sei. Das einzige was gezählt habe, war die Frage: Was muss ich als nächstes tun, um die Aufmerksamkeit der Mädchen zu erregen?
Menschen verändert
Ricky Martins Einfluss als Star mag für europäische und nordamerikanische Verhältnisse nicht riesig erscheinen. In Mexiko, Puerto Rico, Zentral- und Südamerika schlug sein Coming-out jedoch ein wie eine Bombe. Dies zeigt allein der Verkauf seiner Autobiografie «Ich», die ein halbes Jahr nach seinem Outing erschien. Schon nur die englischsprachige Version «Me» erreichte Platz 5 der New York Times Bestsellerliste. Würde man die Verkaufszahlen der Originalversion «Yo» dazuzählen, hätte seine Autobiografie fast so viele Exemplare verkauft wie die Memoiren von US-President George W. Bush.
Rickys Coming-out ist eines von vielen, in Lateinamerika hat er jedoch Welten bewegt. Nebst dem spanischen Filmregisseur Pedro Almodóvar ist Ricky Martin einer der wenigen offen schwul lebenden Persönlichkeiten aus dem lateinamerkanischen Raum. Sein Einfluss auf die spanischsprachige Bevölkerung ist hierzulande fast unvergleichbar. Eine Mexikanerin offenbarte ihm beispielsweise während einer Buchsignierung, dass sie ihren Sohn enterbt und aus dem Haus geworfen habe, als er sich bei ihr geoutet hatte. Nachdem sie Rickys Buch las, habe sie zum ersten Mal den schwierigen Prozess verstanden, den ein Mann durchleben müsse, bis er seine Sexualität akzeptieren könne. Danach sei sie ins Flugzeug gestiegen, ihren Sohn besucht und sich mit ihm versöhnt. Selbst wenn Ricky Martin nur ein Zeichen setzen wollte, hat er es doch geschafft, Menschen zu verändern.
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