Marcel Mann: Jeden Tag ein kleines Coming-out
Neues aus unserer Kolumne «Mannstruation»
Homosexuelle Handlungen im Libanon sind strafbar, auch wenn das Land in der Region als vergleichsweise liberal gilt. Will man da trotzdem hinfliegen für einen Job, fragt sich unser Kolumnist.
Gerade komme ich von einem Casting für die Rolle in einer Werbekampagne eines Sandwich-Gastronomen und bin etwas nachdenklich. Beim Casting, bei dem ich mir vorstellen sollte, aus einem Traum gerissen zu werden, völlig ausgehungert ein plötzlich erschienenes Sandwich auf meinem Nachttisch vorzufinden, reinzubeissen und dann wieder, taumelnd vor Glück, im Traumland zu verschwinden, wurde mir mitgeteilt, dass die Dreharbeiten dieser Werbekampagne in Beirut im Libanon stattfinden sollen.
Mein erster Gedanke war: warum? Ich sehe dramaturgisch keinen Zusammenhang zum Nahen Osten oder eine Notwendigkeit für eine Wüstenatmosphäre in besagter Szene. Mein zweiter Gedanke: das wird ja ein spassiger Ausflug. Der Libanon ist jetzt nicht unbedingt für seine LGBTIQ-Freundlichkeit bekannt. Bei Dreharbeiten würde ich mich schon gerne wohl und ungehemmt fühlen und nicht ständig darüber nachdenken, wie schwul ich mich nun geben kann, ohne unangenehm aufzufallen.
Diesen Gedanken, kennen, wenn wir ganz ehrlich zu uns sind, die meisten. Einige würden jetzt meinen, ja gut, Dreharbeiten sind ja ein kleiner abgeschlossener Mikrokosmos, in dem in diesem Fall vermutlich viele aufgeschlossene Europäer, die mitgereist sind, arbeiten. Aber der Grundgedanke bleibt. Will ich als Zugereister in einem Land arbeiten, bei dem ich definitiv weiss, dass ich als Bürger des selbigen, kein so freies Leben hätte? Kann ich das moralisch mit mir vereinbaren? Ich kann ja nicht mal behaupten, es sei zumindest ein sehr nachhaltiger Dreh gewesen. Wir fliegen für eine Szene, die indoor (wir erinnern uns: an meinem Bett) spielt, also absolut keinen Bezug zum Drehort hat, Dutzende von Menschen in ein gar nicht mal so nah gelegenes Land. Es heisst zwar «Naher Osten», aber es ist ja nicht Chemnitz.
Der Gedanke der potenziellen Homofeindlichkeit im Libanon lässt mich aber nicht los. Ich hab ja schon genug mit der europäischen Homofeindlichkeit auf dem Zettel. Seit Jahren schon stehe ich auf der Bühne, und im Grunde ist jeder Inhalt, den ich kreiere, auch irgendwie bunt eingefärbt. Nun habe ich mich mittlerweile an eine ausschliessliche LGBTIQ-Stand-up-Nummer gewagt, welche ich auch manchmal vor einem rein heterosexuellen Publikum spiele. Und jedes Mal komme ich mir wieder vor als sei ich der einzige Schwule im Dorf. Ich hätte geglaubt mit Mitte 30 im Jahre 2022 wäre ich so selbstbewusst, dass ich einfach darüber erzähle, wer ich bin und wen ich liebe.
Kann ich einen kleinen rosa Witz reissen, ohne Angst davor zu haben, dass ein vorbeilaufender Ton-Mann die Scharia-Polizei ruft?
Doch ganz tief im Hinterkopf schlummert immer noch die Angst vor Ablehnung des örtlichen Publikums. Und weil mich der Gedanke so trotzig macht, spiele ich sie jetzt extra oft. Ich glaube, man muss sich konditionieren. Die Angst vor Ablehnung steht überhaupt in keinem Verhältnis zur wirklichen Ablehnung des Publikums. Meine Erfahrung: Die meisten lachen, haben noch einen kleinen Informationsgewinn und machen sich überhaupt keine weiteren homophoben Gedanken. Wie sähe das aber im Libanon aus? Kann ich einen kleinen rosa Witz in der Maske reissen, ohne Angst davor zu haben, dass ein vorbeilaufender Ton-Mann die Scharia-Polizei ruft? Vielleicht lächerlich. Aber die Gedanken sind frei. Oder werde ich schon von vorneherein aussortiert einfach nur aus dem Grund, dass der Kunde bzw. die Produktionsfirma nicht in «Schwulitäten» geraten will?
Tja, dann ist das eben so. Es geht in meinem Fall nur um Brot mit Belag.
Der letzte Satz meines Wikipedia Eintrags lautet: «Mann lebt offen homosexuell». Allein schon die Vorstellung nicht offen zu leben, egal was, finde ich absurd. Also gilt für dieses Casting und den eventuell daraus resultierenden Job die Gebrauchtwagen Devise: gekauft wie gesehen. Jeder weiss über meine Liebespräferenz Bescheid, soll sich später keiner am Zoll beschweren. Und wenn die mich im Libanon wollen, fliege ich in den Libanon. So schwul ich eben bin.
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