LGBTIQ-Spitzenreiter Malta: «Wir sind erst bei 100 % glücklich»
Wie entwickelt sich der Inselstaat?
Das aktuelle Regenbogen-Ranking von ILGA-Europe wurde veröffentlicht. Seit Jahren steht Malta auf Platz 1. Warum das so ist, darüber sprachen wir dem ehemaligen LGBTIQ-Aktivisten Clayton Mercieca.
Clayton Mercieca war Community Manager der LGBTIQ Organisationen «Allied Rainbow Communities» (Arc) und Koordinator der Malta Pride. Nun arbeitet er seit einem Jahr im Ministerium für Inneres und Gleichstellung, zuständig für «Sexual Orientation, Gender Identity, Gender Expression and Sex Characteristics», kurz: SOGIGESC.
Clayton, Ihr steht wieder auf Platz 1 im ILGA-Ranking – Glückwunsch! Wird das bei Euch gewürdigt und gefeiert oder hat man sich in Malta schon zu sehr daran gewöhnt? Klar! Wir feiern es, aber nein, wir haben uns daran nicht gewöhnt. Wir sind nicht glücklich, bis wir 100 % erreicht haben.
Gibt es bei Euch Fälle von queerfeindlicher Gewalt? Zum Glück nicht. Oder man hört nichts von Gewalt auf der Strasse oder Morden aufgrund von Transphobie. Ich möchte mich nicht so weit vorwagen, zu sagen, dass es das nicht gibt, etwa körperliche Aggressionen. Aber normalerweise ist es so: Malta ist so klein, würde man sofort davon hören, jemand würde das über Facebook oder Instagram bekannt machen. Es wird viel geteilt und man würde bestimmt davon hören.
Ich meine, wir haben es in den letzten Jahre schon erlebt, dass einige trans Personen zum Beispiel auf der Strasse körperlich belästigt wurden oder ihnen eine Dienstleistung verweigert wurde. Aber hässlicher wurde es im Grossen und Ganzen nicht. Es gab mal eine Melde-App für solche Vorfälle, aber ich weiss nicht, ob die noch läuft. Aber das ist meiner Meinung nach das, was in Malta fehlt.
Und wie ist die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber LGBTIQ? Ende Dezember wurde das Eurobarometer veröffentlicht, mit ermutigenden Zahlen: Dreiviertel der Bevölkerung sind positiv gegenüber LGBTIQ eingestellt. Und im Januar hiess es bei einer anderen Befragung, dass 77 % der Menschen in Malta damit einverstanden sind, dass Kinder in den Schulen über Geschlechtsidentität und Sexualität unterrichtet werden. Das ist also auch positiv. Allerdings ist somit immer noch ein Viertel der Bevölkerung dagegen. Und bei LGB sind die Ansichten etwas fortgeschrittener, im Vergleich zu trans oder nicht-binären Personen.
Was sind das für Leute, die gegen LGBTIQ-Aufklärung sind? Man sieht zum Beispiel in den sozialen Medien lokale Gruppen, die zum Ausdruck bringen, dass sie «die Stimme der Kinder verteidigen»; sie wollen, dass Eltern mitreden dürfen bei sexueller Aufklärung an der Schule.
Und offensichtlich gibt es rechtsextreme und evangelikale Gruppen, die aus Amerika importiert wurden, die auch in den sozialen Medien hier sehr laut sind und viel Anklang finden. Das macht mir Sorgen, denn wenn es plötzlich eine Koalition dieser Leute gibt und sie ins Parlament gewählt werden, dann gäbe es wohl auch offiziellen Widerstand gegen LGBTIQ-Aufklärung. Was wir vom Ministerium her tun, ist: Wir sensibilisieren die verschiedenen Schulen des öffentlichen Sektors so gut wie möglich und sorgen für Fortbildungen zu dem Thema.
In Deutschland gibt es immer wieder Diskussionen darüber, ob die Puppy Community bei Pride-Paraden erlaubt sein sollten. Wie ist es in Malta? Wir waren mit unserem Sohn bei der Vienna Pride, da waren nackte Brüste von Frauen und nackte Hintern zu sehen. Das war also wesentlich heftiger. Und es hat ihm nicht geschadet, da bin ich mir sicher.
Ich würde niemals die Puppies ausschliessen, bei der Pride muss es auch Platz für die Kink-Community geben. Aber natürlich muss man eine gute Balance finden und nicht zu sexuell auf der Strasse unterwegs sein, wo Menschen aus allen Gesellschaftsschichten sehen und die auch verstehen wollen, was da passiert.
Die Ehe wurde in Malta geöffnet, Konversionstherapien sind verboten … … aber selbst in Malta ist die Vorstellung von Polyamorie oder dem Leben in parellelen Beziehungen noch ein weit entferntes Konzept. Es ist immer noch ein katholisches Land. Das merkt man auch beim Thema Abtreibung. Als ich noch bei Arc war, haben wir die Diskussion darüber geführt, ob wir uns als Organisation öffentlich gegen Abtreibung und für Wahlfreiheit aussprechen sollen. Tatsächlich aber sagten viele unsere Mitglieder: Nein, wir sind gegen Abtreibung.
In Malta ist es so: Wir haben eines der strengsten Abtreibungsgesetze in der EU. Neu ist seit letztem Jahr: Wenn das Leben der schwangeren Frau in Gefahr ist, können die Ärzte, nach drei Fachmeinungen – es ist nicht nur eine, sondern drei – mit der Abtreibung fortfahren. Und zumindest werden sind nicht kriminalisiert. Aber es gibt da noch viel zu tun.
Du bist verheiratet und Vater eines Sohnes, den Ihr mit Hilfe einer Leihmutter in den USA bekommen habt. Die USA sind in diesem Bereich recht weit fortgeschritten. Mein Name steht sogar auf der Geburtsurkunde. In Malta ist es noch nicht soweit, aber hier konnte man dagegen nicht vorgehen. Die Behörden mussten es anerkennen. Ich bin kein leiblicher Vater, musste aber auch keinen Adoptionsprozess durchlaufen.
Bei zwei Müttern, also bei lesbischen Frauen, die über künstliche Befruchtung Eltern werden, werden beide als Mutter anerkannt.
… deshalb sind Ihr die Nummer 1 im Ranking! Das ist einer der Gründe, ja… Ich habe unseren Sohn kürzlich gefragt: Vermisst du es, keine Mutter zu haben, weil du zwei Väter hast? Er sagte: Nein, ich bin sehr glücklich, dass ich zwei Papas habe. Ich wollte wissen: Würdest du es ändern? Seine Antwort: Auf keinen Fall. Wir geben ihm so viel Liebe, wie wir können.
Nicolas Gold und Markus Schaffer sind Gründer von Sheyn, ein junges Start-up aus Wien. Ein Protokoll über die Träume und Meilensteine eines queeren Designstudios (MANNSCHAFT+)
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