LGBTIQ-Rechte in Europa – Rückenwind statt Rolle rückwärts
Rechtspopulisten versuchen, die Rechte von LGBTIQ zurückzudrängen. Doch der Trend geht in eine andere Richtung – in Europa und weltweit. Ein Gastbeitrag von Michael Roth, Europastaatsminister (SPD) im Auswärtigen Amt Berlin
von Michael Roth*
Rechtspopulisten sind vielerorts in Europa auf dem Vormarsch. Sie stellen viele gesellschaftspolitische Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte nicht nur in Frage, sie wollen sie beseitigen. Ob Ehe für Alle, Gleichberechtigung von Mann und Frau oder Abtreibung – sie kämpfen für eine konservative Rolle rückwärts in die 1950er Jahre. Doch ihr Sturm gegen die Rechte von LGBTIQ-Personen war bisher wenig erfolgreich.
Forderungen nach einer Sprache ohne Diskriminierung werden als übertriebene politische Korrektheit abgetan – als hätten wir in Europa nicht eindringlich erlebt, dass verbale Ausgrenzung oftmals die Vorboten von physischer Gewalt sind. Der Einsatz für gleiche Rechte von LGBTIQ-Personen wird als Gefahr für das traditionelle Familienmodell dargestellt – als würden heterosexuelle Ehen zerbrechen, nur weil die schwulen Nachbarn nun auch heiraten dürfen. Und jene, die sich den Schutz der Familie auf die Fahne schreiben, scheint es wenig zu interessieren, dass heteronormative Gesetze gerade Jugendliche, die von der Norm abweichen, in die Verzweiflung, ja bisweilen sogar in den Suizid, treiben.
Umfrage: Welche LGBTIQ-Organisation repräsentiert Euch am besten?
So gefährlich der Vormarsch der Rechtspopulisten in vieler Hinsicht ist, ihr Sturm gegen die Rechte von LGBTIQ-Personen war bisher wenig erfolgreich. Anfang Oktober 2018 hatten die Wählerinnen und Wähler in Rumänien die Möglichkeit, in einem Referendum das Rad der Geschichte zurückzudrehen und die Ehe für Alle verfassungsrechtlich zu verbieten. Doch nicht einmal jeder fünfte Wahlberechtigte gab seine Stimme ab – also deutlich unter dem notwendigen 30-Prozent-Quorum.
In Österreich erlebten wir zuletzt manch enttäuschende Debatte – und gleichzeitig klare Urteile des Verfassungsgerichts zugunsten einer staatlichen Anerkennung der Vielfalt. Auch in Polen stärkten die Obersten Richterinnen und Richter diesen Sommer in einer richtungsweisenden Entscheidung die Rechte von LGBTIQ-Organisationen.
Und auch der weltweite Trend ist durchaus ermutigend: Bis vor kurzem lebte noch fast die Hälfte der Weltbevölkerung in Ländern, die Homosexualität unter Strafe stellen. Im September 2018 hob das indische Verfassungsgericht eine entsprechende Strafbestimmung auf und reduzierte damit die Zahl auf einen Schlag auf ein Drittel der Weltbevölkerung.
Besonders auf dem Westlichen Balkan hat es in den vergangenen Jahren beeindruckende Fortschritte gegeben.
Besonders auf dem Westlichen Balkan hat es in den vergangenen Jahren beeindruckende Fortschritte gegeben. Als Politiker kann ich einen Beitrag leisten, indem ich das Thema immer wieder deutlich anspreche – öffentlich und hinter verschlossenen Türen. Meine Kolleginnen, Kollegen und ich im Auswärtigen Amt stehen an der Seite der vielen Aktivistinnen und Aktivisten aus der Zivilgesellschaft, die sich mit Mut und Kreativität dafür einsetzen, dass endlich die Menschenrechte von allen geschützt werden – unabhängig von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität. Unser wichtigstes Ziel ist es dabei, die LGBTIQ-Strukturen vor Ort zu stärken. Natürlich gibt es weiterhin viele deprimierende Beispiele von Diskriminierung und Gewalt, besonders außerhalb der Hauptstädte. Aber gerade in Skopje ist auch eine echte Aufbruchsstimmung zu spüren.
So berichtete ein LGBTIQ-Aktivist, dass er in früheren Jahren mehrmals Opfer von Gewalttaten wurde, bei denen die Polizei nicht einschritt. Inzwischen habe sich das Klima gewandelt: Kürzlich feierte seine Organisation ihr zehnjähriges Bestehen – und erhielt überraschend Besuch vom Premierminister!
2011 hatte ich im Kino den Film „Parada“ gesehen, in dem eine Gruppe von jungen Schwulen trotz aller Widerstände in einer homophoben Gesellschaft eine Pride Parade in Belgrad organisiert. Als ich diesen Sommer bereits zum dritten Mal an der Belgrader Pride Parade teilnahm, lag der gesellschaftliche Fortschritt förmlich in der Luft. Auch in anderen Metropolen in der Region, in denen vor wenigen Jahren noch keine Regenbogenfahne wehen durfte, ziehen inzwischen Pride-Paraden selbstbewusst durch das Stadtzentrum. Sogar Regierungschefinnen, Ministerinnen und Minister reihen sich ein in den Zug derjenigen, die sich für Vielfalt und Respekt einsetzen.
Nach wie vor zu viel Schatten Es bleibt weiterhin noch viel zu tun in Sachen Gleichstellung. Neben ganz viel Licht gibt es nach wie vor auch viel zu viel Schatten. Wir sollten aber die Augen nicht verschließen vor den großen Erfolgen der vergangenen Jahre. Das sind wir vor allem denjenen schuldig, die diese Erfolge mutig und beharrlich erkämpft haben. Und die Anerkennung dieser Erfolge gibt uns Rückenwind im weltweiten Kampf für Gleichstellung, Vielfalt und Toleranz.
*Die MANNSCHAFT veröffentlicht in loser Folge Debattenbeiträge zu politischen und gesellschaftlichen Themen. Die Kommentare spiegeln ausschliesslich die Meinung der jeweiligen Autor*innen wieder, nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion. Dieser Gastbeitrag stammt von Micheal Roth, Europastaatsminister (SPD) im Auswärtigen Amt Berlin.
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