«Sie sagten, dass ich ein Hexer sei, weil ich schwul bin»
Das Schicksal der LGBTIQ-Flüchtlinge in Thessaloniki: D.M. aus dem Kongo
Gemeinsam mit anderen Engagierten haben Alex Aronsky und Marc Baumgartner in Thessaloniki vor drei Jahren die Supportgruppe «Eclipse» für queere Flüchtlinge gegründet. Einer, dem sie helfen konnten, ist der Kongolese D.M.
D.M. kann sich an das genaue Datum erinnern, an dem er das Mittelmeer überquerte: der 19. Dezember 2016. Die Schlepper wurden ihm von flüchtigen Bekannten vermittelt und verlangten 600 US-Dollar. Aufgrund der unruhigen See harrten die Passagier*innen die ganze Nacht im Wald aus. Doch auch am nächsten Vormittag wollte sich das Meer nicht beruhigen. Um 15 Uhr beschlossen die Schlepper schliesslich trotzdem, die Überfahrt zu wagen – in einem Gummiboot. «Aufgrund des Winters war es sehr schwierig. Wir haben unser Leben aufs Spiel gesetzt», sagt er auf Französisch. «Doch wir haben es geschafft.»
Ohne Schmuck und Make-up – kein Asyl für schwulen Tadschiken
Seit der 37-jährige Kongolese denken kann, wurde er aufgrund seines Andersseins ausgegrenzt und angegriffen. «Ich scherte mich nie um die klassischen Dinge, für die sich Jungs interessieren», sagt er. Für Sport konnte er sich nie begeistern. «Schon in meinem Verhalten war ich anders.» Homosexualität im Kongo ist – wie in vielen afrikanischen Ländern – ein Tabu, das man laut D. M. immer zu verstecken versuche. «Etwas, das unafrikanisch ist und nicht existiert», sagt er.
In Afrika schwul zu sein, ist ein grosses Problem
Schon nur auf der Strasse musste sich D. M. stets Beschimpfungen anhören. Pédé, Schwuchtel. Jedes Mal traf es ihn hart, wie ein Messer in den Bauch. Manchmal war es nur eine Person, manchmal mehrere, manchmal griff ihn jemand ohne Grund an. Falls er sich wehrte, kam nicht selten eine zweite Person angerannt. Um dem Angreifer zu helfen.
«Solange sich niemand um LGBTIQ-Flüchtlinge kümmert, tun wir es»
D. M. studierte Pädagogik und arbeitete als Nachhilfelehrer für eine Schule. Über Jahrzehnte hinweg ertrug er das Mobbing auf der Strasse und das Getuschel seiner erweiterten Familie. Als seine Eltern starben, riss sein Onkel das Familienhaus an sich und verkaufte es. Als einziger Sohn wäre das Haus rechtlich an D. M. gegangen, seine beiden Schwestern hatten keinen Anspruch auf das Erbe. Doch die Familien seines Vaters und seiner Mutter gaben D. M. die Schuld am Tod seiner Eltern.
Sie sagten, dass ich ein Hexer sei, weil ich schwul bin. Ich hätte mit meiner Magie meine Eltern umgebracht»
Als er seinen Onkel zur Rede stellen wollte, heuerte dieser Auftragskiller an, die mit Messern auf ihn losgingen. Er zeigt auf eine mehrere Zentimeter lange Narbe auf seinem Unterarm. Eine Freundin seines Vaters verhalf D. M. schliesslich zur Flucht. Mit dem Flugzeug gelangte er nach Istanbul und schliesslich in die Küstenstadt Izmir, wo er die Schlepper anheuerte.
Nach seinem Asylverfahren wurde D. M. schliesslich in ein weiteres Camp nach Volvi verlegt, knapp eine Stunde von Thessaloniki entfernt. Über einen Rechtsberater hörte er letztes Jahr erstmals von Eclipse. Regelmässig nimmt er die stündige Busfahrt nach Thessaloniki auf sich, um an den Aktivitäten der Supportgruppe teilnehmen zu können. Eclipse übernimmt den Fahrpreis. D. M. ist beim Gespräch besonders aufgeregt. In Kürze darf er in eine WG ziehen, die ihm durch das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen vermittelt wurde. Noch fühlt er sich in Griechenland nicht wirklich wohl. «Ich leide immer noch hier oben», sagt er und zeigt auf seinen Kopf. Er sehnt sich nach einem Partner und möchte bald mit Arbeiten beginnen, um seine Schwestern im Kongo finanziell zu unterstützten.
Redaktor Greg Zwygart hat Eclipse in Thessaloniki besucht und sich von der Arbeit der Supportgruppe überzeugen können. Im Sommer 2018 sammelte die Mannschaft Geld, um Eclipse bei der Arbeit zu unterstützen. Über 7000 Euro kamen zusammen.
Mehr Porträts liest du hier: mannschaft.com/eclipse
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