Aus Sri Lanka geflohen: Coming-out in Deutschland
Schleuser brachten ihn über Singapur, Togo, Ghana und Nigeria zu einem Onkel nach Hamburg
Umeswaran Arunagirinathan kam mit 12 Jahren als tamilischer Flüchtling nach Deutschland. Hier hatte er sein Coming-out. Mit Ende 30 begann er eine Facharztausbildung zum Herzchirurgen in der fränkischen Provinz.
Dr. med. Umes steht auf dem Namensschild, das Umeswaran Arunagirinathan auf seinem weissen Kittel trägt. Sein voller Name, elf Silben lang, wäre für die Patienten wohl zu kompliziert. Manche kommen schon mit einem dunkelhäutigen Arzt nicht klar, da soll wenigstens der Name einfach sein. So wie vor Jahren ein Patient im Universitätsklinikum Hamburg, der sich über den pakistanischen Flüchtling beschwerte, der sich ihm gegenüber als Arzt ausgegeben habe.
Flüchtling? Ja, aber auch Deutscher. Pakistan? Nein, Sri Lanka. Umes ist Tamile. Als er zwölf Jahre alt war, kratzte seine Familie alles Geld zusammen, um den erstgeborenen Sohn vor dem Bürgerkrieg in Sri Lanka zu retten. Schleuser brachten ihn über Singapur, Togo, Ghana und Nigeria zu einem Onkel nach Hamburg-Mümmelmannsberg.
Umes musste Deutsch lernen, zur Schule gehen, er wollte fleissig sein. Seiner Mutter hat er drei Dinge versprochen, als sie ihn 1991 zum Flughafen brachte: Nicht rauchen, keinen Alkohol trinken und als Arzt nach Sri Lanka zurückkommen. Alle drei Versprechen wird er halten.
Mümmelmannsberg, seine neue Heimat. So niedlich der Name klingt, so trist sind die grauen Hochhäuser, die diese riesige Siedlung im Osten Hamburgs bilden. Umes hat dort schwer Anschluss gefunden, war ein Einzelgänger. Wie sollte er sich mit den Schulkameraden verabreden, wenn er sich nicht mit ihnen verständigen konnte? Die wenigen Freunde, die er hatte, kehrten ihm nach seinem Coming-out auch noch den Rücken.
Da war dieser Junge, Umes nennt ihn Martin. Nach der Schule sass Umes häufig auf der Bank am Basketballplatz, um Martin beim Spielen zuzusehen. Ein komisches Gefühl stieg in ihm auf, jedes Mal, wenn er ihn dort sah. «Wenn ich abends im Bett lag, hatte ich das Bild seiner blonden Haare und leuchtenden blauen Augen vor mir», schreibt er in seinem Buch «Der fremde Deutsche». Darin schildert Umes den Weg vom unbegleiteten minderjährigen Flüchtling zum deutschen Arzt.
Mit 15 verknallt – in Martin Umes, 15 Jahre alt, war verknallt. Der Teenager hatte für seine Gefühle keine Worte, aber was er fühlte, wollte er dennoch loswerden. Als er eines Abends alleine zu Hause war, setzte er sich an die Schreibmaschine seines Onkels und schrieb einen Brief an Martin. Es wurde ein Liebesbrief. Tagelang hat er ihn bei sich getragen, bis er sich getraut hat, ihn Martin zu geben.
Am nächsten Tag ging Umes wie üblich zum Basketballplatz. Schon von Weitem hörte er die verletzenden Worte: «Da kommt die Schwuchtel!». Martin zeigte den Brief allen Jungs, und sie lasen ihn laut vor. «Für mich ist damit eine Welt zusammengebrochen», sagt Umes heute. «Mir war damals nicht bewusst, dass ich homosexuell bin. Erst danach habe ich gedacht: Umes, was hast du getan?»
Behandelt wie ein Aussätziger
Er wurde danach behandelt wie ein Aussätziger. Als Schulsprecher und Marathonläufer war er zwar respektiert, andererseits war er immer noch der Schwule. «Wenn ich jemanden bei den Mathehausaufgaben geholfen habe, musste ich immer versprechen, niemandem davon zu erzählen», erzählt er. «Sonst hätte man denjenigen noch für schwul gehalten.»
Das nagte auch an seinem Selbstwertgefühl. «Wenn du ständig hörst, dass du eklig und pervers bist, nimmst du das irgendwann ernst», sagt er. Später wurde er von Schulkameraden sogar bespuckt und getreten. Ein erniedrigendes Erlebnis, das er nie vergessen wird. Zweimal stieg er aufs Dach seines Hochhauses. Umes war kurz davor, zu springen. Nur der Gedanke an seine Mutter hielt ihn zurück.
Das alles hat sich mit dem Medizinstudium in Lübeck verändert. Dabei wäre er nach dem Abitur fast abgeschoben worden, sein Asylantrag wurde abgelehnt. Nur dank Freunden und Unterstützern konnte er bleiben. Während des Studiums warteten ein neues, liberales Umfeld, aber auch Schichten bei McDonald’s, um seine Familie in Sri Lanka unterstützen zu können. Und eine ernste Beziehung. Hendrik, der erste Mann, den Umes in aller Öffentlichkeit küsste, und der ihn 2012 an Heiligabend während des Nachtdienstes im Krankenhaus überraschte. Das Geschenk, eine goldene Uhr, trägt er bis heute.
«In Hamburg sprechen wir auch Deutsch» Im August 2008, kurz nach seiner Promotion, wurde er endlich eingebürgert. Als Deutscher gefühlt hat er sich jedoch schon lange vorher. Andere Menschen sehen in ihm dagegen immer noch häufig den Ausländer. Oft bekomme er Komplimente, wie gut sein Deutsch sei. «Ja, in Hamburg sprechen wir auch Deutsch, antworte ich dann.»
Nach dem Studium arbeitete er sieben Jahre lang als Assistenzarzt in Hamburg. Sein Ziel: Herzchirurg. Andere Kollegen haben in dieser Zeit die Facharztausbildung schon durchlaufen, sagt Umes. Nur er nicht. «Für dich ist es schon ausreichend, wo du bist», habe sein Chef damals zu ihm gesagt. «Das werde ich niemals vergessen.» Da die Facharztausbildung weder festen Regeln noch einem festgelegten Zeitplan folgt, hat er sich entschlossen, seine Heimat Hamburg zu verlassen.
Seit knapp über zwei Jahren lebt er in Bad Neustadt an der Saale, einer kleinen Kurstadt am Rande der unterfränkischen Rhön. Dort steht auf einem Hügel am Stadtrand eine der grössten Herzkliniken Europas, von aussen nicht viel schöner als die Hochhäuser in Mümmelmannsberg. Mittlerweile hat sich Umes mit der Provinz angefreundet, schwärmt von seinen Nachbarn und Kollegen, die aus aller Welt stammen. Hier hat er einiges geschafft, hat seinen Führerschein gemacht, sein erstes Auto gekauft, die Ausbildung zum Notarzt absolviert, sein zweites Buch fertiggeschrieben. Nur die Facharztausbildung dauert länger, als ihm anfangs gesagt wurde. «Ich komme vorwärts wie eine Schildkröte. Ich hätte mir gewünscht, wie ein Pferd.»
Und auch das schwule Leben in Bad Neustadt ist nicht zu vergleichen mit dem in Hamburg. «Ich wohne in St. Georg, das ist schon etwas anderes.» Wenn Umes über Hamburg spricht, nutzt er die Gegenwart. «Die Lange Reihe ist mein Wohnzimmer», sagt er über die zentrale Strasse in Hamburgs Schwulen- und Lesbenviertel. Er schwärmt von seiner gerade untervermieteten Wohnung mit den dunklen Möbeln und den Samstagen, an denen seine Freunde zum Brunch zu ihm kamen. Vielleicht, hofft er, kann er dieses Jahr als Facharzt zurück nach Hamburg ziehen. Denn er vermisst seine Heimat.
Zum Internationalen Tag der Migranten am 18. Dezember haben Geflüchtete des Schweizer Partizipationsprojekt «Unsere Stimmen» eigene Empfehlungen für die Verbesserung der Lebensumstände abgewiesener Asylsuchenden veröffentlicht. Die Empfehlungen sind in diesem PDF nachzulesen
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