Jenseits der Penetration: Let’s talk about Sex!
Die Vielfalt sexueller Lust erkunden
Die Annahme, dass sexuelle Erfüllung ausschliesslich durch vaginale Penetration erreicht werden kann, ist eine weitverbreitete Überzeugung. Unsere Kolumnistin* empfiehlt weitere Spielarten.
Die vaginale Penetration ist bei weitem nicht der Höhepunkt meiner sexuellen Befriedigung. Diese Offenbarung und Offenheit mag viele oder vielleicht auch nur einige überraschen. Ein Penis oder gar ein Dildo aus Gummi oder Silikon bringt mich nicht zum Stöhnen und schon gar nicht zum Orgasmus.
Tatsache ist, dass weder Penis noch Dildo jemals meine Neovagina penetriert haben. Aber keine Sorge, ich kann auch nach meiner geschlechtsangleichenden Operation auf ein jahrelanges erfülltes Sexualleben zurückblicken.
Bin ich denn so anders? Stimmt etwas nicht mit mir?
Es gibt so viele schöne Möglichkeiten, sich selbst oder andere zu befriedigen. Und doch höre ich immer wieder, dass «echte» Befriedigung nur durch Penetration zu erreichen sei. Und ob ich das nicht erleben möchte, um mich «ganz richtig als Frau zu fühlen»? Bei diesen Worten verdrehe ich meistens die Augen und ein deutliches «uff» kommt langsam über meine Lippen.
Früher hat mich das verunsichert, mein sexuelles Erleben teilweise in Frage gestellt. Bin ich denn so anders? Stimmt etwas nicht mit mir? Der Grund, warum ich die vaginale Penetration beim Sex nicht mag, ist ganz einfach: Es fühlt sich nicht gut an oder hat sich lange nicht gut angefühlt.
Unmittelbar nach der letzten geschlechtsangleichenden Operation und meiner tiefen Freude über meine frisch designte Neovagina wurde mir gesagt, dass ich jetzt bougieren müsse. Bougieren, mit über die Zeit grösser werdenden Dilatationsstäben – Dildos aus dem Sanitätsfachgeschäft – die ich mehrmals täglich einführen sollte, um meine frische Vagina zu weiten und ihr Tiefe zu geben.
Der grösste Stab aus dieser medizinischen Sammlung war 17 Zentimeter lang. Vielleicht entspricht das dem mitteleuropäischen Durchschnitt des zu erwartenden Penis für zukünftige sexuelle Aktivitäten. Ich habe wirklich mein Bestes gegeben und mir diese Stäbe monatelang eingeführt und gedreht, so wie es der «Beipackzettel» und verschiedene Stimmen aus dem Internet empfahlen: dehnen, dehnen, dehnen und Übung bringt die Tiefe. Nur nicht aufgeben.
Gleichzeitig las ich immer wieder von der Erfüllung, wenn endlich ein richtiger Penis die eigene Vagina erobert. Aha! Ich komme gleich zum Spoiler. Die Befriedigung blieb aus, auch Monate nachdem bei mir alles verheilt und meine Neovagina tiefer und weiter geworden war. Und ich habe mich wirklich bemüht. Mit meiner Partnerin und auch mit leibhaftigen Phallussen. Das Ergebnis war stets dasselbe: Nichts. Gar nichts. Unbequem, manchmal schmerzhaft und ohne Befriedigung.
Manchmal war ich kurz davor an meinem Frausein zu zweifeln und an der Alltagstauglichkeit meiner Vagina. Warum geht das nicht? Wieso funktioniert es bei mir nicht, aber bei allen anderen? Wozu dann der ganze Aufwand? Auch solche Fragen schossen mir durch den Kopf. Verunsicherten mich. Aber warum?
Der Duschkopf und ein fester Strahl, gut dosiert und an die richtige Stelle meiner Klitoris gerichtet, katapultierten mich zu geilen Höhepunkten. Auch der Einsatz von Fingern und Zunge an dieser Stelle. Sanfter Druck, kreisende Bewegungen und heftige Stimulationen aller Art, gaben und geben mir die Befriedigung, die ich suche. Die Befriedigung, die mich erfüllt.
Mit Partner*innen jeden Geschlechts erreiche ich meine Höhepunkte durch so viele andere Spielarten als die reine Penetration. Und alle sind geil und voller Lust. Ich bin froh, das für mich entdeckt zu haben. Und ich spreche mit meinen Partnern offen darüber, wie mein Körper funktioniert. Selbstbewusst. Ohne Scham. Und ohne das Gefühl, dass mir etwas fehlt oder mein Körper nicht in Ordnung ist.
Ich wünsche mir, dass wir alle offen darüber reden und uns austauschen können. Dann bleiben wir mit unseren Gedanken und Unsicherheiten nicht allein, sondern können voneinander lernen und die Vielfalt körperlicher Lust erfahren. Brechen wir das Stigma!
Die trans Perspektive
Anastasia Biefang war die erste trans Kommandeurin der deutschen Bundeswehr und Protagonistin des Films «Ich bin Anastasia». Sie wohnt in Berlin.
[email protected] Illustration: Sascha Düvel
Die MANNSCHAFT-Kommentare der letzten Wochen findest du hier.
*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
Gemeinsam mit der Sexualtherapeutin Melanie Büttner und dem Wissenschaftsjournalisten Sven Stockrahm spricht Martin Busse über Sex ohne Penetration. Nachzuhören im ZEIT-Podcast «Ist das normal?» (MANNSCHAFT berichtete).
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