«Jede Woche 5 minderjährige Jungs im Bett»? Sexskandal in der Modeszene
Eine schillernde Persönlichkeit des öffentlichen Lebens der Niederlande ist in die Schlagzeilen gekommen, weil 20 Männer ihn beschuldigen, sie sexuell unangemessen und gewalttätig behandelt zu haben
Der 32-jährige Niederländer Martijn Nekoui wurde in der Modewelt bekannt, indem er junge Talente an bekannte Designer und Marken vermittelte. 20 Männer beschuldigen ihn jetzt öffentlich, sie vergewaltigt und unter Drogen gesetzt zu haben, viele seien zum mutmasslichen Tatzeitpunkt minderjährig gewesen.
Der Fall der prominenten TV- und Medienpersönlichkeit machte in den Niederlanden nun Schlagzeilen, weil die beiden grossen Tageszeitungen Parool und NRC zeitgleich über das sexuelle «Jagdverhalten» Nekouis berichteten, zu dem es scheinbar schon lange Gerüchte gab. Gerüchte sowohl innerhalb der Modewelt, aber auch Gerüchte in der Schwulenszene, wo Jugendliche sich gegenseitig warnten vor diesem Mann und seinen Praktiken. In der niederländischen Presse wird Nekoui durchweg als «Martijn N.» bezeichnet, obwohl durch die weiteren Angaben sofort klar ist, um wen es sich handelt. Da er eine Person des öffentlichen Lebens ist und die Anschuldigungen gegen ihn sehr öffentlich im Raum stehen, hat MANNSCHAFT sich entschlossen, den vollen Namen zu verwenden.
Der Parool-Artikel beginnt gleich mit einem Zitat aus einem Facebook-Chat, in dem Nekoui einem 17-jährigen Jungen, mit dem er sich treffen wollte, folgende Worte geschrieben haben soll: In seinem Liebesleben «laufe derzeit nichts», es sei vorbei mit seinem festen Freund. Was ihm noch bliebe sei «jede Woche 5 minderjährige Jungs zu ficken, am liebsten aus dem Polder [einer Arbeitergegend, Anm.], die dumm sind und nicht merken, wenn man ihnen Märchen erzählt». Danach wolle er sie «knallhart fallenlassen» und nichts mehr von sich hören lassen. «That’s me», charakterisiert sich Nekoui selbst. Das war im Jahr 2012.
Der Schuljunge, der die Nachricht und Selbstauskunft bekam, sei da bereits von drei Freunden vor Nekoui gewarnt worden, heisst es. Sie hätten ihm geraten, sich von Nekoui fern zu halten, weil er ein «gefährlicher Gast» bei Dates sei. Wie gefährlich, sollte sich noch zeigen.
Studium am Amsterdam Fashion Institute Nekoui war damals selbst 23 Jahre alt und hatte gerade sein Studium am Amsterdam Fashion Institute (Amfi) beendet. Er stammt aus Rotterdam, sein Vater ist Iraner, seine Mutter Niederländerin. Als Amfi-Abschlussarbeit kreierte er eine Ausstellung, bei der er junge Talente mit etablierten Namen wie Viktor & Rolf oder Frans Molenaar kombinierte. Er nannte die Ausstellung «Moam», eine Verbindung der Worte «Mode» und «Amsterdam».
Weil die Reaktionen auf die Ausstellung überaus positiv waren, machte er aus Moam seinen Firmennamen. Die vier darauffolgenden Moam-Modeschauen wurden viel beachtet. Gruppen von jungen Modedesignern entwarfen dafür Kollektionen, sie wurden gecoacht von professionellen Modeleuten. Weltberühmte Modefotografen aus den Niederlanden erstellten Bildmaterial. Alle dies geschah mit Nekoui als Mastermind.
Nekoui erwies sich als sehr geschäftstüchtig. Ab 2018 startete er auch ausserhalb der Modewelt durch mit Kunstprojekten, Autoren und Fotografen. Inzwischen war er Direktor seiner eigenen Stiftung Moam, die aus verschiedenen niederländischen Kulturfonds Gelder bekam: seit 2013 insgesamt 230.000 Euro. Firmen und wohltätige Vereinigungen standen Schlange, um mit dem ambitionierten Modemann zusammenzuarbeiten und sich als Sponsoren an ihn zu binden, zum Beispiel die Kaufhauskette Hema. 2014 posierte Nekoui selbst mit einem Rauchwurst-T-Shirt aus einer Moam-Kollektion für eine Hema-Werbekampagne, seine jungen Designer hatten es für das Warenhaus entworfen.
Es folgten schnell Kooperationen mit der Rabobank, KLM, Zalando, der niederländische Post, Disney und dem Roten Kreuz. Auch das berühmte Rijksmuseum, der Amsterdamer Zoo Artis und das Concertgebouw stellten ihre Räumlichkeiten für Modeschauen zur Verfügung.
«30 Under 30» Das erregte bald auch international Aufmerksamkeit. 2018 wurde Nekoui vom US-Business-Magazin Forbes in die Liste der «30 Under 30» aufgenommen, wo die erfolgreichsten europäischen Jungunternehmer vorgestellt werden. «Es ist seinem Enthusiasmus, seiner Kreativität und analytischen Schärfe zu verdanken, dass Martijn Moam zu einer bekannten Firma in der Kreativindustrie der Niederlanden gemacht hat», schrieb Forbes.
Soweit so erfolgreich und eindrucksvoll, könnte man sagen. Bis jetzt der grosse Doppelartikel in Parool und NRC erschien, in dem bekannt gemacht wird, dass 20 Männer Nekoui «gewalttätige und sexuell grenzüberschreitendes Verhalten» vorwerfen. Mehr noch: sie beschuldigen Nekoui, dabei keine Kondome benutzt, sie teils unter Drogen gesetzt und in einigen Fällen sogar körperlich verwundet zu haben mit Bissen, Würgegriffen und Schlägen. Laut Zeitungsberichten soll sich dies im Zeitraum zwischen 2010 und jetzt ereignet haben. In zehn Fällen geht es um Männer, die zum mutmasslichen Tatzeitpunkt minderjährig waren, die drei jüngsten sollen 16 gewesen sein. Ein Mann soll Nekoui sogar wegen «versuchtem Totschlag» angezeigt haben.
Der Schreck über diese Enthüllungen sitzt tief in der holländischen Öffentlichkeit, weil sie Nekoui aus vielen Fernsehauftritten und Events immer nur als sympathisch strahlenden jungen Mann erlebt haben. Und nun also diese dunkle Seite, die so gar nicht zu diesem Bild passen will.
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Kontakte über Facebook und Instagram Laut Parool/NRC soll Nekoui vor allem über Facebook und Instagram Männer kontaktiert haben. Er suchte demnach gezielt Schüler, die Interesse an Mode hatten. «Ganz junge Jungs, neu in der Schwulenszene, die seinen Namen noch nicht kannten, auf die zielte er es ab», wird einer der Männer zitiert, der an seinem 18. Geburtstag 2014 von Nekoui eine Freundschaftsanfrage bekommen haben soll. Dieser junge Mann kenne mehrere Teenager, die Nekoui ebenfalls kontaktiert haben soll, u.a. sein eigener jüngerer Bruder.
In den sozialen Medien seien viele junge Homosexuelle «auf der Suche», sagt ein anderer Mann, den Nekoui 2015 auf Instagram kontaktiert haben soll. «Mädchen verlieben sich in der Schule in Jungs. Als junger Schwuler suchst du dein Heil woanders, und das ist meist das Internet. Du willst deine Sexualität entdecken und entwickeln.»
Die Männer, die auf Nekouis Freundschaftsanfrage reagierten, wurden demnach umgehend nach Amsterdam eingeladen, entweder auf einen Kaffee bei Coffee Company oder bei ihm zuhause. Nekoui zeigte sich dabei charmant, erzählte von seinen Kontakten in der Modewelt und versprach einigen sogar, aus ihnen Models zu machen. Manchen sicherte er auch zu, ihnen helfen zu wollen einen Ausbildungsplatz im Modebereich zu finden.
Einer der jungen Männer soll zu Nekoui gesagt haben, dass er noch keinerlei sexuelle Erfahrung habe. Nekoui soll ihm daraufhin mitgeteilt haben er sei «sehr besonders» und bezahlte ihm ein Zugticket nach Amsterdam. Die beiden sollen sich in einem Modeladen getroffen haben und dann zusammen mit dem Fahrrad zu Nekouis Wohnung gefahren sein. Dort bekam der Gast laut eigener Aussage ein Glas Orangensaft. Danach sei eine Lücke in seiner Erinnerung. Als er wieder zu sich gekommen sei, «drückte N. seinen steifen Penis in den Mund des Jungen» heisst es in Parool. Er habe das Gefühl gehabt, sich nicht bewegen zu können, er habe wie gelähmt dagelegen. Später habe er sich auf die Suche nach einem Bahnhof gemacht, um nachhause zu fahren. Er habe sich nicht getraut zu erzählen, was passiert sei. Aber nach einiger Zeit habe er doch mit Freunden darüber gesprochen. 2013 soll er mit einem französischen Studenten ins Gespräch gekommen sein, der eine Ausbildung in der Modebranche in Amsterdam machte. Dieser sagte ihm, nachdem er die Geschichte hörte: «Willkommen im Club. In meiner ersten Nacht in Amsterdam hat er mich auch unter Drogen gesetzt.»
Reaktionen der Polizei Nach weiteren Gesprächen mit Bekannten beschloss der junge Mann, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Bei der Polizei gibt es in Amsterdam eine spezielle Meldestelle für Homosexuelle, die «Roze in Blauw» heisst. Die Beamten wollten den Fall jedoch nicht weiterverfolgen, heisst es, sie meinten nur «kreative Menschen fühlen sich von anderen Kreativen angezogen». Sie verwiesen den Mann weiter an ein Zentrum zur Traumatherapie.
Von den 20 Männern, die Nekoui nun in der Presse beschuldigen, sagen noch drei weitere von ihm unter Drogen gesetzt worden zu sein. Sie vermuten, er habe dafür GHB benutzt. Einer habe am folgenden Tag überhaupt nicht mehr gewusst, was passiert sei. Aber er habe einen Schreck bekommen, als er in den Spiegel schaute und überall Bisse entdeckte. Ausserdem lilafarbene Kreise auf seinem Hintern. Davon existieren Fotos, heisst es.
Mehrere Männer erzählen, dass sie mit ihren Geschichten bei «Roze in Blauw» ebenfalls abgewiegelt und nicht ernst genommen wurden. Ein schwerwiegender Vorwurf gegen die Polizei.
Diagnose Borderline? Auch in seinem Modebetrieb Moam fiel wiederholt auf, dass Nekouis Verhalten nicht immer so charmant war, wie man es auf den Medien kannte. 2015 sagte er selbst in einem Interview mit Parool, dass in ihm «ein kleiner Borderliner» stecke. Auch in seinen Facebook-Chats sprach Nekoui öfters von Borderline: eine komplexe Persönlichkeitsstörung mit abrupten Veränderungen bei Gefühlen, Stimmungen und Verhalten. Einige ehemalige Kommilitonen meinen, Boderline würde Nekoui aufbrausendes Verhalten erklären, schreibt Parool.
Von den zirka 70 Freunden, Dates und Mitarbeiter*innen, die Parool/NRC bei der Recherche zu ihrem Artikel befragten, bezeichneten fast alle Nekoui als liebenswert, hilfsbereit, zuvorkommend, ambitioniert und energisch. Ein Date meinte: «Durch ihn fühlte ich mich besonders.» Andererseits haben viele ihn auch als manipulierend, dominant und kurzangebunden beschrieben. Unfähig für Empathie.
Nekoui soll seine Sexpartner durchs Nichtverwenden von Kondomen in Gesundheitsgefahr gebracht haben, obwohl die Partner explizit um Kondome gebeten haben sollen. Drei Männer werfen ihm vor, sie über Fake-Accounts auf Dating Sites wie Grindr kontaktiert zu haben. Dort benutzte Nekoui scheinbar Fotos, die ihm seine eigenen Dates in der Vergangenheit zugeschickt hatten, in dem Zusammenhang soll er auch über sein Alter gelogen haben.
Society-Reporter für Linda de Mol Durch seinen Erfolg in der Öffentlichkeit kam Nekoui ins Fernsehen und bekam die Sendung «Glamourtime met Martijn» bei Linda.tv von Linda de Mol. Als Society-Reporter besuchte er Partys und festliche Events. Dabei waren Sex, Drugs und Alkohol immer wiederkehrende Themen. Als er während der Langen Nacht der Museen im Rijksmuseum vorm Rembrandt-Bild «Die Judenbraut» stand, wo ein Mann zu sehen ist, der mit der rechten Hand den Busen seiner Frau drückt, charakterisierte Nekoui das als Beispiel für ungewünschtes Verhalten. Er schaute in die Kamera und sagte: «#MeToo. Nicht Menschen anfassen, wenn sie Nein sagen!»
In dem jüngsten Parool/NRC-Zeitungsartikel wird Vorfall aus Stockholm angeführt. Nekoui sei laut Polizeiakte mit einem Freund zu einer Stadtreise dort gewesen, als dieser ihm sagte, er habe seine «Lügen» satt und wolle früher zurück in die Niederlanden reisen. Darraufhin soll Nekoui den Kopf seines Reisebegleiters wutentbrannt mehrmals auf den Boden geschlagen und ihn am Hals gewürgt haben. Von den Wunden soll es in Schweden 14 Fotos geben, heisst es. Nekoui sei von der Polizei aufgegriffen worde und habe die Nacht in einer Zelle verbringen müssen. Weil es jedoch keine Augenzeigen und sonstige Beweise gegeben habe, soll die schwedische Polizei den Fall geschlossen haben.
Während all dies eher hinter den Kulissen geschah, fiel Nekouis zunehmend eklektisches Verhalten auf den Mitarbeiter*innen bei Moam auf, was wiederholt zu Problemen führte, weswegen auch einige Kooperationen platzten.
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Wie geht es nun weiter? Nach Erscheinen des Parool/NRC-Artikels haben sich noch acht weitere Männer gemeldet, die behaupten, von Nekoui sexuell unangemessen behandelt worden zu sein. Fast alle Institutionen und Zeitschriften bzw. TV-Sender, mit denen Nekoui oder das Moam zusammenarbeiteten, kündigten derweil die Zusammenarbeit auf. So war Nekoui u. a. Pride-Botschafter für die Jeans-Marke Levi’s und trat auch sonst vielfach als LGBTIQ-Repräsentant in Erscheinung. Die Zeitschrift Linda hat die 17 Videos, in denen Nekoui als Society-Reporter für sie unterwegs war, aus dem Netz genommen: «aus Respekt von den Opfern», wie es heisst. Das Amsterdam Fashion Institute, wo Nekoui als Gastdozent tätig war, veröffentliche ein Statement und distanzierte sich von ihm.
Wie geht es nun weiter? Nekoui hat sich einen Anwalt genommen und will vorerst keine Fragen beantworten, heisst es. Er liess jedoch mitteilen, dass er die Vorwürfe zurückweise und sich keinerlei strafbarer Handlungen schuldig gemacht habe. Er werde nicht mit Journalisten sprechen, sondern nur mit der Polizei bzw. dem Gericht.
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