Jake Shears: «Die Partys in meinem Haus sind legendär»

Jake Shears (Bild: zVg)
Jake Shears (Bild: zVg)

«I Don’t Feel Like Dancing», der grösste Hit der Scissor Sisters, als deren Sänger und Kopf Jake Shears Ruhm erlangte, ist fast 20 Jahre alt. Die Band pausiert seit Jahren, doch Shears ist kein bisschen faul. Ein morgendliches Gespräch per Video über Jane Fonda, Elton John und Kylie Minogue, Hauspartys, Herzschmerz und sein zweites Soloalbum «Last Man Standing», das sich nach Tanzen anfühlt.

Jake, es ist noch ziemlich früh. Bist du gut in den Tag gestartet? Zum Ausschlafen fehlt mir gerade leider die Zeit (lacht). Im Moment habe ich viel zu tun und war deshalb heute Morgen schon im Fitnessstudio. Das macht den Tag gleich zu einem besseren Tag, und ich muss sowieso viel Sport machen, um in Form zu kommen für die Liveshows.

Gehörst du zu den Menschen, die lieber morgens als abends trainieren gehen? Ja, total. Wenn ich erst abends gehe, bin ich den ganzen Tag ein bisschen schlecht drauf, weil sich der Körper ständig mit diesem «Vergiss-mich-heute-bloss-nicht»-Zwicken meldet.

Morgens sammle ich die übriggebliebenen Drogen der anderen auf.

Ist «Last Man Dancing» eigentlich nur ein cooler Albumtitel oder bist du wirklich immer der letzte auf der Tanzfläche? In dem Titel steckt viel Wahres. Ich liebe es, Party zu machen, und ich liebe es mindestens genauso sehr Feste zu veranstalten. Die Partys in meinem Haus in New Orleans sind legendär. Und ich bin tatsächlich oft der letzte, der noch steht. Morgens um 6 Uhr, wenn alle in der Ecke liegen, sammle ich die übriggebliebenen Drogen der anderen auf, kratze sie aus den Sofaritzen und fege sie vom Boden. Dann bin ich ein bisschen traurig, dass es vorbei ist, aber ich bin auch glücklich, dass es so schön war.

Was machst du dann mit den Drogen der anderen? Ich spende sie für einen wohltätigen Zweck oder verbrenne sie im Hinterhof meines Hauses.

Du legst auf deinen Partys auch auf. Die erste Hälfte der Songs auf «Last Man Dancing» geht in Richtung Disco-Pop und erinnert an die Siebziger. Der zweite Teil ist wilder, lauter, von House und Techno geprägt. Ist die Platte einem DJ-Set nachempfunden? Das war mein Ansatz. Ich wollte diese Welt erschaffen, in der ich eine ganze Nacht in fünfundvierzig Minuten abbilde. Die meisten geben nicht mehr viel auf die gute, alte Kunstform «Album», aber für mich ist das immer noch ein schönes, dankbares Format, in dem ich mich wohlfühle und wunderbar ausdrücken kann. Der Anfang ist poppig und leicht verdaulich, später blasen die Bässe alles weg.

Du bist momentan in London. Ist die Zeit in New Orleans vorbei? Nein, das Haus habe ich noch. Ich denke, ich werde die Winter dort verbringen, etwa von November bis Februar, und die restliche Zeit des Jahres hier leben. London ist aktuell einfach praktischer für mich. Unser Musical «Tammy Faye» hatte letzten Oktober hier Premiere, mein ganzes Kreativteam sitzt ebenfalls in London.

Vor New Orleans hast du lange in New York gelebt. Was steckte hinter dem Umzug, New Orleans gilt ja nicht gerade als Hort der Clubmusik. Oh doch! New Orleans ist eine der geilsten Städte überhaupt. Ich stehe total auf den Vibe der Stadt, und Südstaaten-Jazz ist immer schon ein, wenn auch subtiler, Einfluss in meiner Musik gewesen, von der ersten Scissor-Sisters-Platte bis heute. New Orleans ist mein absoluter Glücksort. Als ich dorthin zog, kannte ich fast niemanden. Inzwischen sind tonnenweise Freundinnen und Freunde von mir in diesen lässigen, relativ kleinen Ort gezogen.

Wie ist es aktuell um die Ausgehkultur in London bestellt? Enttäuschend, wirklich. Ich gehe kaum noch weg. In der Schwulenszene gibt es überall nur noch diese gigantischen Partys, für die du vorher Tickets kaufen musst, wo die Schlangen am Eingang ewig lang sind, wo es einfach keine Spontaneität mehr gibt und die mich mit ihrer schieren Grösse echt erschlagen. Das ist nicht mehr mein Ding. Wenn, dann gehe ich inzwischen lieber einfach in den Pub und habe dort meinen Spass.

«There can never be too much music for me», singst du im ersten Stück «Too Much Music». Wann hast du begonnen, an der neuen Musik zu arbeiten? Noch bevor Corona anfing. Ich schreibe eigentlich immer und bin wie ein Eichhörnchen, das seine Nüsse sammelt und im Baum versteckt. Dort lag schon seit einer Weile «Voices» herum, das Duett mit Kylie Minogue. Ich wollte diesem Song ein Heim bauen, ein schönes buntes Heim.

Was ist das Besondere an der Kombination Kylie Minogue und Jake Shears? Unsere Stimmen harmonieren einfach ganz toll zusammen. Und wir mögen uns unheimlich gerne. Wir kennen uns schon lange, und ich liebe Kylie einfach sehr. Ich denke auch, dass wir eine ähnliche Motivation haben, warum wir Musik machen.

Was ist deine Motivation? Mein Zweck im Leben und in meiner Kunst ist es, das Glück zu den Menschen zu bringen, meine eigene Freude und Lebensbegeisterung mit ihnen zu teilen. Das ist der Kern meines Schaffens. Die Arbeit an diesen neuen Songs hat mich stark beflügelt, auch wenn persönlich bei mir nicht immer alles rosig war.

Was ist passiert? Ich habe während der Pandemiezeit eine Trennung durchgemacht. Nicht schön.

Handelt «I Used To Be In Love» von dieser Erfahrung? Nein, ich hatte den Song ursprünglich für jemand anderes geschrieben. Mein damaliger Freund war nicht besonders erbaut, als er ihn seinerzeit hörte. Ich glaube, er dachte, ich sende ihm eine Nachricht, dabei hatte ich diesen Hintergedanken gar nicht. Es war auch nie meine Absicht, auf dem Album sehr persönliche Geschichten aus meinem Leben zu erzählen, das hatte ich schon auf dem vorherigen erledigt und ausserdem in meiner Autobiografie «Boys Keep Swinging». Auf «Last Man Dancing» sollte es einfach um Spass, Lebensfreude und ein bisschen Dekadenz gehen.

Aber so falsch lag dein Ex-Freund ja offenbar nicht. Nee, pass auf, er hat mich verlassen (lacht). Ich bin derjenige, der mit gebrochenem Herzen zurückgeblieben ist.

Tut es immer noch weh? Nein, geht wieder. Ich bin dann mit meinem Hund nach London gezogen. Aber dann starb er Ende März, mit stolzen fünfzehneinhalb Jahren. Wir standen uns sehr nahe.

Hast du denn mit deiner Autobiografie alle dunklen Schatten aus dem Weg geräumt, um dich jetzt wieder hemmungslos deines Lebens zu erfreuen? Ja, schon. Ich werde älter, in diesem Jahr 45, aber das fühlt sich gut an. Ich neige nicht dazu, sehr viel über mich nachzudenken oder ständig irgendwas verarbeiten zu müssen, aufgeblasene Wichtigtuerei und zu viel Gefühliges sind mir eher zuwider. Aber tatsächlich wünsche ich mir immer häufiger eine eigene Familie, Kinder. Das ist so ein unerfülltes Verlangen, doch ansonsten führe ich ein ausgeglichenes Leben.

45 ist ja noch kein Alter, um Vater zu werden. Stimmt. Mein Dad war 50, als ich zur Welt kam. Man weiss nie, zu spät ist es sicher noch nicht.

Du bist 1978 geboren. Wo kommt deine Liebe zur Discomusik her, die auf dem neuen Album eine grosse Rolle spielt? Dance- und Disco-Musik habe ich erst später entdeckt, als ich aufs College kam. Ich habe in meiner Jugend in Seattle gelebt und war schon früh ein massiver Musikfan. Ich war mitten im Geschehen, als Grunge passierte, und ein Riesenfan von Nirvana. Wenig später kam ich mit Classic Rock in Berührung. Im Grunde liebe ich es bis heute, ältere Musik zu entdecken und sehr intensiv darin zu baden.

Du bist eng mit Elton John befreundet und hast nach deinem Umzug nach London zunächst in seinem Haus gewohnt. Hast du dir mittlerweile was Eigenes gesucht? Ja, ich habe ein schönes, schnuckeliges Appartement gefunden. Aber Eltons Tür wird mir immer offenstehen. Wir haben eine lebenslange Freundschaft, Elton ist für mich wie ein Familienmitglied. Er ist einer der wunderbarsten Menschen, die ich je kennengelernt habe.

Dein Mitbewohner in Eltons Villa war der Kollege Sam Fender. Wie kann man sich euer Zusammenleben vorstellen? So ein bisschen wie in einer Sitcom. Wir haben meistens morgens zusammen gefrühstückt und sind abends miteinander abgehangen. Sam ist süss. Er hat jetzt auch eine eigene Wohnung. Bei Elton auszuziehen, war für uns beide ein wenig so, als wenn man das Elternhaus verlässt.

Jake Shears
Jake Shears

Jake Shears

kam 1978 in Arizona zur Welt und wuchs im Bundesstaat Washington auf. Bekannt wurde er als Frontsänger der Scissor Sisters, die 2006 mit ihrer Single «I Don’t Feel Like Dancing» wochenlang die Charts dominierten. Auch wenn die Band seit Jahren pausiert, blieb der mittlerweile 44-Jährige umtriebig: 2018 veröffentlichte er seine Autobiographie «Boys Keep Swinging».

Am Broadway spielte er im Musical «Kinky Boots» mit und gemeinsam mit Elton John schrieb er sein eigenes Musical «Tammy Faye», das im Herbst in London Premiere feierte. Am 2. Juni erschien sein zweites Album «Last Man Dancing», darunter auch der Song «Too Much Music»

In der queeren Kultur hat sich viel getan, seit du mit den Scissor Sisters vor fast zwanzig Jahren erfolgreich wurdest. Damals wart ihr noch ziemliche Exoten. Das ist richtig, und ich finde es grossartig, wie sich die Dinge entwickelt haben. Es ist toll, dass LGBTIQ-Kids heute wissen, sie haben eine echte Chance, wenn sie musikbegeistert sind. Sie müssen sich nur Künstler*innen wie Sam Smith, Kim Petras oder Lil Nas X angucken, die mit ihrer Arbeit viele junge Menschen inspirieren.

Wird es eigentlich irgendwann ein Comeback der Scissor Sisters geben? Ich bin mir sicher, das wird eines Tages passieren. Ich freue mich darauf. Aber wir haben keine Eile. Wir machen das, wenn alle bereit sind. Im Moment haben wir alle gut mit anderen Sachen zu tun.

Du hast auf «Last Man Dancing» Spoken-Word-Beiträge von Jane Fonda und Iggy Pop eingebaut. Sind das Idole von dir? Ja. Ich bin fasziniert von Menschen, die ihr eigenes Ding machen und ihr Leben der Kreativität gewidmet haben. Iggy hat eine coole Philosophie, der Mann ist ein grossartiger Lehrmeister, wenn es darum geht, in Würde zu altern. Und Jane ist eine alte Freundin von mir, ausserdem liebt sie die Scissor Sisters. Als ich in Los Angeles lebte, ging ich oft zu ihren monatlichen Partys, die sie bei sich zuhause feierte. Das waren unübertreffliche Zusammenkünfte.

Wann ist dir Jane Fonda zum ersten Mal aufgefallen? Mit vier! Zusammen mit meiner Mutter Janes Aerobic-Videos anzuschauen, ist eine meiner frühesten Kindheitserinnerungen überhaupt. Ich habe es geliebt, Jane und die anderen Ladies beim Sportmachen zu bewundern. Ich fand auch die bunten Klamotten so toll, die sie anhatten. Und die Stirnbänder. Ich glaube, falls meine Mutter vorher noch nicht wusste, dass ihr Sohn schwul ist, wusste sie es spätestens, als ich stundenlang vor Janes Videos hockte (lacht).

Es gibt was Frisches auf die Ohren, die heissesten unter den aktuellen queeren Alben – und obendrauf unsere Playlist für einen schwungvollen Sommer!

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